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Kultur

»Leipzig ist fast zu schön«

Regisseur Armin Petras über Feinde der offenen Gesellschaft und Unterschiede zwischen Leipzig und Dresden

  »Leipzig ist fast zu schön« | Regisseur Armin Petras über Feinde der offenen Gesellschaft und Unterschiede zwischen Leipzig und Dresden

Leipzigs Bühnen entdecken die Cliquen, die unterm Hakenkreuz aufmuckten. Am Schauspiel bringt Armin Petras das Thema Leipziger Meuten mit Hans Fallada zusammen. Im kreuzer-Gespräch erklärt er, was ihn am Thema reizt und warum er vorerst kein Intendant mehr sein will.

kreuzer: Wie entstand die Idee, die Leipziger Meuten mit Fallada zu verzahnen?ARMIN PETRAS: Wir hatten nach der Romanadaption von Lutz Seilers »Kruso« beschlossen, wieder zusammen zu arbeiten. Ich wollte neben Mitgliedern des Ensembles auch gerne erneut die Studierenden des Schauspielstudios dabei haben und auch wieder choreografisch arbeiten. Wir hatten früh die Idee, das Thema der Leipziger Meuten mit einem weiteren Stoff zu verknüpfen. Und weil ich wusste, dass ein Roman wie der von Hans Fallada uns viele Freiheiten im Erarbeitungsprozess lassen würde, habe ich ihn vorgeschlagen.

kreuzer: Gab es auch einen inhaltlichen Grund?PETRAS: Ja, in Falladas Roman sind Entwicklungen enthalten, die in den letzten Jahren extrem sichtbar geworden sind. Ich formuliere mal vorsichtig: Dass die offene Gesellschaft von Teilen dieser Gesellschaft in Frage gestellt wird. Und der Roman ist sowohl Hochkultur als auch sehr publikumsoffen. Ich bin jetzt in einer Altersklasse, in der ich immer weniger an der reinen Avantgarde interessiert bin. Im Stadttheater sollen sich alle Schichten und Bildungsschichten treffen – es soll für die ganze Stadtgesellschaft zugänglich sein. Da hat sich der Fallada angeboten.

kreuzer: Und wie kamen die Meuten dazu?PETRAS: Ich wusste gar nicht, dass es die Leipziger Meuten gab. Da hatten die Kolleginnen am Haus die Idee, die mich sofort gereizt hat, gerade in Verbindung mit »Jeder stirbt für sich allein«. Natürlich ist es eine Gefahr, einen Riesenroman und noch die Geschichte der Meuten zusammenzubringen – weil es ein wahnsinniger Berg an Material ist. Die zweite Gefahr ist, dass man auf der Bühne nur noch Widerstandskämpfer zeigt – und die Situation nicht wirklich abbildet.

kreuzer: Was die Meuten ja auch nicht waren, die hatten ja oft einfach keinen Bock auf Hitlerjugend und Gleichschaltung und wehrten sich dagegen. Was ja nicht kleinzureden ist.PETRAS: Genau. Sie waren nicht einverstanden mit den Nazis und sehnten sich nach mehr Autonomie im Alltag. Wir haben mit Sascha Lange einen Spezialisten für das Thema an unserer Seite, der uns berät. Es geht um den historischen Kontext; gleichzeitig heben wir ihn aber in eine Zeit, die offen ist, bis ins Heute reicht. Es geht uns um die Konstellation heute, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ungarn, Mexiko, den USA oder Russland. Es geht ums Nachdenken, ob man die Gesellschaft, in der wir leben, verteidigen will oder nicht.

kreuzer: Warum haben Sie von Fallada gerade »Jeder stirbt für sich allein« ausgewählt?PETRAS: Mich interessiert das Thema Faschismus und damit setzt sich der Roman radikal auseinander. Mich interessiert, was das für ein politisches und soziales Phänomen ist. Was sind die Ursachen für faschistisches Verhalten und faschistoide Tendenzen? Und dann finde ich es eine reizvolle Idee, das Verhalten zweier älterer Menschen, die gegen das System aufbegehren, parallel zu dem der sehr viel jüngeren Mitglieder der Meuten zu zeigen – also die Gegenüberstellung zweier Generationen, auf ihrer Suche nach Selbstbestimmung.

kreuzer: Wenn Sie die Inszenierung gemeinsam erarbeiten, wie verläuft da der Prozess? Gibt es eine Strichfassung?PETRAS: Ja, der Roman wäre ja sonst zu umfassend. Ich schreibe selbst viel und habe eine Fassung des Romans gemacht. Die Szenen rund um die Meuten haben wir im Team erarbeitet. Auf den Proben besprechen wir dann jede einzelne Szene, überprüfen, ob wir das noch gut finden oder nicht und diskutieren die Themen – was heute noch aktuell ist, das wollen wir zeigen.

kreuzer: Sie waren Hausregisseur in Leipzig und kommen immer wieder zum Inszenieren hierher. Wie fühlt sich das an?PETRAS: Ich bin ein viel Reisender. Berlin ist meine Heimatstadt, aber Leipzig ist inzwischen die Stadt, in der ich am häufigsten inszeniert habe. Ich schätze, das sind bisher etwa 15 Inszenierungen gewesen. Das ist ein luxuriöser Zustand, immer wieder herkommen zu dürfen.

kreuzer: Haben Sie Veränderungen wahrgenommen?PETRAS: Ich bin gern hier, aber es ist fast zu schön. Es gibt eine deutliche Gentrifizierung. Gleichzeitig ist die Entwicklung hier etwas charmanter, weil die Mieten noch nicht ganz so teuer werden und irgendwie doch noch jeder eine Wohnung zu kriegen scheint, auch wenn es nicht im Lieblingsstadtteil ist. In Berlin ist das anders, da bist Du dann schnell in Eberswalde, wenn Dir einmal gekündigt wird. Außerdem gibt es hier nicht so viele Großschnauzen, was mir gefällt. Es scheint aber auch nicht zu bürgerlich wie in Dresden.

kreuzer: Auf dieses Sachsen-Derby sollte das gar nicht hinauslaufen...PETRAS: Naja, ich inszeniere in dieser Spielzeit auch in Dresden, da habe ich den Vergleich. Leipzig wirkt auf mich ausgewogener. Dresdner lieben ihr Theater vielleicht noch mehr als die Leipziger. Aber sie sind durchaus konservativer.

kreuzer: Sie haben die Intendanz in Stuttgart nicht verlängert. Sind Sie zufrieden, wieder als Regisseur zu reisen?PETRAS: Ja, sonst würde ich es nicht machen. Ich habe in Berlin und dann in Stuttgart nicht verlängert, sondern gesagt: Ich mach mal früher Schluss. Jahreszeit: dritter Frühling und den genieße ich sehr.

kreuzer: Warum wird ein normaler Vorgang wie ein Nichtverlängern immer als Hinschmeißen, als Aufgeben und Niederlage aufgefasst – das war bei Sebastian Hartmann am Schauspiel Leipzig ja auch so?PETRAS: Es gibt von außen klare Vorstellungen, wie so ein Künstlerleben auszusehen hat. Und es gibt Leute, die machen 50 Jahre lang eine Intendanz. Das ist aber nichts für mich. Ich bin da anders rhythmisch organisiert.


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