Beim Gesprächstermin im Machtlos-Büro ist von Aufbruchstimmung auf den ersten Blick nicht viel zu spüren. Warme Winterjacken für Bedürftige warten in einem Regal auf Abholung, daneben liegen Spiele, Infobroschüren – und eine Petition. Ihr Titel: »Erhalt der mobilen Jugendarbeit und eine adäquate Förderung der Jugendhilfe«. Noch sitze man nicht auf gepackten Koffern, sagen die Streetworker Becky Wehle und Michael Schmieder. Die Betonung liegt auf »noch«. Diesen Mittwoch soll der neue Doppelhaushalt vom Stadtrat beschlossen werden.
kreuzer: Am 30. Januar wird der neue Haushalt für Leipzig verabschiedet. Was bedeutet das nach aktuellem Stand für Ihre Zukunft?
MICHAEL SCHMIEDER: Das Amt für Jugend, Familie & Bildung hat Abschläge bis Ende März auf dem Niveau des Vorjahres gezahlt. Wie es danach weiter geht, wissen wir offiziell nicht. Wir haben natürlich Vermutungen und falls der entsprechender Antrag von SPD, Grünen und Linke durchgeht, sieht es unter Umständen gar nicht so schlecht aus.
kreuzer: Können Sie denn bei so einem Stand überhaupt Projekte und Jugendarbeit planen?
MICHAEL SCHMIEDER: Alles was über den März hinausgeht, können wir nicht planen, nein.
kreuzer: Ist diese Unsicherheit in der Planung üblich?
MICHAEL SCHMIEDER: Eine gewisse Planungsunsicherheit hatten wir in den letzten Jahren eigentlich immer. Was dieses Jahr allerdings besonders ist, ist dass bisher niemand sagen kann, wieviel Geld für Jugendarbeit zur Verfügung steht. Und mittlerweile wird anscheinend in anderer Weise gekürzt. Bisher war es so, dass ein niedriger Etat dazu geführt hat, dass bei allen Projekten gleichmäßig »mit dem Rasenmäher« gekürzt wurde, jetzt sollen einzelne Projekte vollständig auf Null gesetzt werden.
kreuzer: Was würde ein solcher Nullbescheid für Ihr Projekt bedeuten?
MICHAEL SCHMIEDER: Sobald der Bescheid hier eintrifft, müssen wir die Anlaufstelle schließen und die komplette Arbeit mit den jungen Menschen einstellen. Wir beide wären als hauptberufliche Ansprechpartner für die Jugendlichen nicht mehr im Viertel präsent. Und wir sind ja nicht die einzigen, die das hier im Süden betrifft. Da würde im Viertel ziemlich viel weg brechen.
kreuzer: Wie sieht Ihre Arbeit aus, die dann wegfallen würde?
BECKY WEHLE: Wir sind ein Streetwork-Projekt und eines der wenigen Projekte in Leipzig, die »aufsuchende Arbeit« betreiben, also konkret in die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen gehen und dort Angebote unterbreiten. Wir unterstützen beispielsweise im Alltag, begleiten zu Ämtern, helfen bei der Wohnungssuche oder bei Konflikten im Elternhaus. Darauf aufbauend können wir auch in weiterführende Projekte der Jugendhilfe vermitteln. Wir arbeiten mit den Jugendlichen auch in Gruppen und bieten sportliche oder kulturelle Angebote an, zu denen die jungen Menschen sonst keinen Zugang hätten. Dazu kommt, dass wir uns hier im Viertel als Stellvertreter für die Belange der Jugendlichen sehen und entsprechend engagieren. Aber es geht gar nicht darum, unsere Arbeit jetzt als etwas Besonderes von anderen Projekten abzugrenzen. Jeder Bereich der Jugendhilfe in freier Trägerschaft, egal ob offener Freizeittreff oder Schulsozialarbeit ist von diesem Förderverfahren und der aktuellen Politik betroffen und in der gleichen Situation wie wir. Und am Ende leiden vor allem die Jugendlichen darunter, wenn der Streetworker nicht mehr kommt, der Jugendtreff geschlossen ist oder andere Hilfsangebote wegfallen. Da brechen sowohl Bindungen zu Fachkräften weg als auch hilfreiche Gruppenstrukturen, die sich dort gebildet haben.
MICHAEL SCHMIEDER: Von einer Schließung wären auch nicht nur wir beide und unsere Praktikantin betroffen, sondern bei einer Schließung würden auch diverse andere Angebote wie unsere Sozialberatung, die Möglichkeit zum ehrenamtlichen Engagement für unsere Vereinsmitglieder und die Koordination des Vereins Bunter Hund, der eine ärztliche Grundversorgung für die Tiere von Bedürftigen sicherstellt, wegfallen. Damit würden also auch viele Angebote wegfallen, die nicht durch das Jugendamt gefördert werden, aber auf die Vereinsstruktur angewiesen sind.
kreuzer: Warum ist vor allem die Jugendarbeit jetzt so durch den Haushaltsplan bedroht?
BECKY WEHLE: Grundsätzlich wäre es die Aufgabe der Verwaltungen, zu ermitteln, welche Angebote eine Gesellschaft braucht und dann daran gemessen einen konkreten Bedarf und eine konkrete Fördersumme festzusetzen, mit der alles abgedeckt ist, was zum Beispiel Jugendliche benötigen. Aber aktuell läuft es anscheinend genau umgekehrt. Man geht mit einer bestimmten Fördersumme an die Planung und guckt dann, was man damit an Jugendarbeit umsetzen kann. So entfällt aber auch eine politische Diskussion darüber, wie der konkrete Bedarf an Jugendarbeit tatsächlich aussieht, welche Priorität Jugendhilfe in der Stadt hat und wie das mit dem restlichen Haushalt zu vereinbaren wäre.
kreuzer: Liegt das möglicherweise daran, dass die Arbeit in der Jugendhilfe für viele recht abstrakt ist? Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Arbeit wertgeschätzt wird?
MICHAEL SCHMIEDER: Wenn man mit einzelnen Stadträten spricht, dann ja, da kommt eigentlich viel positive Resonanz. Von unseren Jugendlichen bekommen wir natürlich auch Feedback und hier im Viertel sind wir ebenfalls bekannt.
BECKY WEHLE: Aber es stimmt, dass soziale Arbeit und Jugendarbeit ein Imageproblem in der Gesellschaft hat. Sie ist schwer wahrnehmbar, egal ob es sich um ein mobiles Angebot oder einen festen Jugendtreff handelt. Teilweise wissen ja nicht einmal die Eltern, was ihre Kinder zwischen Schule und Abendessen machen – und wie in der Zeit möglicherweise noch Pädagoginnen oder Sozialarbeiter eine Rolle spielen. Das ist für viele viel schwerer greifbar, als etwa wirtschaftliche Investitionen der Stadt, bei denen sich ein unmittelbarer Effekt in Form von einer bestimmten Anzahl an Arbeitsplätzen erkennen lässt. Das ist viel einfacher nachvollziehbar als Jugendhilfe.
kreuzer: Eine Leipziger Stadträtin hatte auf Twitter kommentiert, man solle ihr gerne sagen, wo denn stattdessen gekürzt werden solle. Was würden Sie dazu sagen?
MICHAEL SCHMIEDER: Vor allem, dass ich es unverantwortlich von einer Stadträtin finde, zu sagen, »Wenn wir das eine Notwendige fördern, kürzen wir das halt woanders«. Das ist ja ein ewiges Spiel. Beim nächsten Mal wird dann vielleicht Kulturförderung gegen Sozialarbeit ausgespielt, statt das Ganze mal von Grund auf zu durchdenken und am Bedarf zu planen. Wir reden hier ja schließlich auch von Pflichtaufgaben der Stadt.