anzeige
anzeige
Stadtleben

»Danger, Danger!« – Part II

kreuzer-Reporter an den »gefährlichen Orten« der Stadt: Der Hauptbahnhof

  »Danger, Danger!« – Part II | kreuzer-Reporter an den »gefährlichen Orten« der Stadt: Der Hauptbahnhof

Laut aktueller Gesetzeslage darf die sächsische Polizei nach eigenem Ermessen »gefährliche Orte« deklarieren, an denen Personen ohne konkreten Verdacht durchsucht werden dürfen. Aus welchen Gründen wann und wo kontrolliert werden darf, entscheidet die Polizei selbst, Parlamentarier beklagen fehlende Überprüfungsmöglichkeiten. Der kreuzer hat sich an den »gefährlichen Orten« in Leipzig umgesehen.

Auf meinem Weg zum Bahnhof höre ich bereits Sirenen. Ein gutes Omen, denke ich und radle auf den Eingang zur Osthalle zu. Nach den neuen Kriminalstatistiken ist der Leipziger Hauptbahnhof einer der gefährlichsten Orte in Leipzig, besonders bei Nacht. An drei aufeinanderfolgenden Abenden möchte ich das selbst herausfinden.Als ich mein bevorstehendes Abenteuer mit Freunden diskutiere, werden mir üble Geschichten erzählt – von Männern, die meine Freundinnen anfassten oder sogar bis vor die Haustür verfolgten. Selbst habe ich keine solchen extremen Erfahrungen gemacht. Schon häufig stand ich an den Straßenbahngleisen, um auf den Nachtbus zu warten, manchmal in Begleitung, manchmal alleine, oder kam spät mit dem Zug in Leipzig an. Bis auf unangemessene Kommentare (»Catcalling«) oder unerwünschte Kontaktaufnahme ist nichts passiert, und dieses Verhalten kenne ich auch aus der Südvorstadt. Ich bin groß und habe einen selbstsicheren Gang; reine Äußerlichkeiten, die aber dafür sorgen, dass ich von übergriffigem Verhalten nicht ganz so stark betroffen bin wie die meisten anderen Frauen. Trotzdem bin ich nicht naiv. Ich schaue zweimal nach, ob mein Handyakku geladen ist, und auch im schlimmsten Fall kann ich mich verteidigen.

Auf städtischer Ebene sehen einige Politiker einen kritischen Anstieg von Kriminalität. Oberbürgermeister Burkhard Jung sagt gegenüber der LVZ, dass er den Eindruck habe, die gefühlte Sicherheit der Bürger könne sich nur dann verbessern, wenn mehr uniformierte Polizei im Stadtbild wahrgenommen würde. Doch es ist schwierig, dieses Kriterium zu erfüllen, wenn Arbeitsplätze der Polizei immer weiter abgebaut werden, während die Bevölkerungzahl in Leipzig in den letzten Jahren explodiert ist. Im Jahr 2020 soll jedoch aufgestockt werden. Dafür muss der Freistaat sorgen. Der Präsident des Amtsgerichts Leipzig, Michael Woltig, nimmt die Sicherheit in Leipzig als »schlechter als je zuvor« (LVZ) wahr. Den sinkenden Zahlen der Kriminalstatistik vertraut er nicht und sagt: »In die Statistik fließen natürlich nur Taten ein, die festgestellt werden. Also: Viele Polizei-Kontrollen, viele Straftaten. Keine Kontrollen – keine Straftaten für die Statistik.« Auf die Statistiken, die sinkende Straftaten ermittelten, könne man sich also auch nicht verlassen. Soll man denn jetzt nun Angst haben oder nicht?

Manfred Bornewasser befasst sich in seinem Beitrag »Kriminalitätsfurcht« für die Bundeszentrale für politische Bildung mit Ursachen und Folgen auf wissenschaftlicher Ebene. Schon viele Studien hätten sich laut Bornewasser mit diesem Phänomen beschäftigt und aus ihnen gehe hervor, dass genau die Personen, die statistisch am wenigsten bedroht seien von Kriminalität, am meisten Angst vor krimineller Gewalt hätten – wie beispielsweise alte Menschen oder Frauen. Außerdem zeigten Menschen, die bereits Opfer von Kriminalität geworden seien, besonders viel Angst und gäben an, die Sicherheit in ihrem Wohnviertel habe sich verschlechtert. Am Hauptbahnhof steht es natürlich schlecht um die gefühlte Sicherheit, da sogar Taxifahrer Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um nicht Opfer zu werden. Auf die Frage nach konkreten Vorfällen bekomme ich keine klare Antwort.

Mein erster Ausflug ist in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Gegen halb eins sind die Eingangsbereiche vor den Bahnhofshallen leer, genau wie das Gebäude. Auf dem Platz gegenüber dem Westeingang steht eine Gruppe von etwa 20 jungen Männern. Sie diskutieren so laut, dass Passanten einen Bogen um sie machen. Mit einem von ihnen komme ich ins Gespräch: Amid fragt mich auf Französisch nach Feuer. »Merci.« »De rien«, antworte ich. Sein gebrochenes Deutsch und mein mehr als schlechtes Französisch lassen keine tiefen Gespräche zu, doch genug, damit er mir erzählen kann, dass er aus Marokko kommt, die vielen Narben in seinem Gesicht von der dortigen Polizei stammmen und die anderen Männer nicht seine Freunde sind. Ob sie wohl Handtaschen klauen oder doch Drogen verkaufen? Amid hält zumindest stets einen Sicherheitsabstand von zwei Metern und akzeptiert schon nach dem ersten »Nein«, dass er meine Handynummer nicht bekommen wird. Ich fühle mich total sicher. Erst als eine Gruppe von fünf anderen Männern in unsere Nähe kommt und einer davon anfängt, mit Amid zu diskutieren, gehe ich weiter.

In den Park um den Schwanenteich gegenüber dem Bahnhof schlendere ich jeden Abend. Einmal werden mir Drogen angeboten, einmal möchte sich ein Mann so dringend mit mir unterhalten, dass er meine Hand nicht loslassen will. Als ich ihm zum dritten Mal versichere, dass ich alleine nach Hause gehen werde, und ihm meine Hand zum zweiten Mal entziehe, lässt er locker. Alles Situationen, in denen ich schon einmal gewesen bin. Unangenehm? Auf jeden Fall. Doch diese Situationen sind mir aus der Vergangenheit zu vertraut, um mich ernsthaft bedroht zu fühlen.

Gegen 22 Uhr ist am Bahnhof mehr los. Touristen, Obdachlose, Kids. Am Montag sehe ich das einzige Mal Polizisten. Sie fordern einen Passanten auf, den Pappbecher, der den Mülleimer verfehlt hat, wieder aufzuheben. Ich wende den Kopf, um die Augen zu verdrehen. Sie gehen nicht einmal in die Nähe des Parks.

Ein Mann, der oft vor dem Bahnhofsgebäude lungert, nennen wir ihn Tobi, erzählt, dass er selbst schon manchmal die Polizei rufen musste, »aber die kommen oft gar nicht mehr«. Er fühlt sich häufig unsicher, kommt nur noch wegen seiner Freunde an den Hauptbahnhof. »Um 4 Uhr morgens möchte ich hier nicht umkippen.« Die Bindehaut um seine Iris ist leicht gelb gefärbt. Tobi erzählt auch von der Naziszene am Bahnhof: »Sobald man da Kontakte knüpft, muss man schon aufpassen.« Es scheint, als wäre man unter Beobachtung, wenn man mehr Zeit dort verbringt. Er siezt mich und verabschiedet sich mit den Worten: »Sie sind sehr freundlich.« Bedrohlich ist anders.

Ein Mann, Mitte zwanzig, gepflegt, gut gekleidet, steht neben einem Obdachlosen, der vor dem Eingang zur Osthalle auf einer Luftmatratze liegt. Er erzählt, dass sie sich vor zwei Wochen im Park kennengelernt haben und dass sein Freund im letzten Monat bereits dreimal ausgeraubt wurde. Sein Rucksack mit Personalausweis und dem bisschen, was er hatte, sei ihm geklaut worden. Er sei verprügelt, sein Schlafsack angezündet worden – während er darin geschlafen hat. Die Ursache für all die Gewalt sieht er im Drogenhandel, der um den Bahnhof recht offen stattfindet. »Da werden Leute wegen 20 Euro abgestochen. Erst vor zwei Wochen wieder da drüben.« Erzählt er und zeigt auf den Platz, auf dem sich wieder die üblichen jungen Männer herumtreiben. Er glaubt, die Drogenkriminalität habe in den letzten Monaten sehr zugenommen, und gerade jene, die nichts hätten, könnten besonders leicht zum Opfer werden.

Mein Eindruck nach den drei Tagen hat sich verändert. Vielen Situationen wäre ich aus dem Weg gegangen, um genau mit den Menschen nicht in Kontakt zu kommen, mit denen ich positive Erfahrungen gemacht habe.


Kommentieren


0 Kommentar(e)