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Literatur

»Fahrt im Nebel«

Interview mit dem Leipziger Autor Anselm Oelze

  »Fahrt im Nebel« | Interview mit dem Leipziger Autor Anselm Oelze

Mit seinem Roman »Wallace« ist der Leipziger Autor Anselm Oelze für den Debütpreis der lit.COLOGNE nominiert. Mit dem kreuzer sprach er über tragische Helden, Recherchearbeit und wie es für ihn jetzt weitergeht.

kreuzer: Herr Oelze, sie lehren an der Ludwig-Maximilian-Universität München, kommen aus der Philosophie, und trotzdem ist Ihr Roman sehr erfolgreich – oder gerade deshalb?

ANSELM OELZE: Das war für mich ein Stück weit eine Fahrt im Nebel – ich wusste nicht, was einen guten Roman ausmacht, wie man schreibt. Ich habe einfach sehr viel Autoren gelesen, die mich beeindruckt haben, und deren Schriftstellertagebücher, um zu sehen, was die so gelesen haben und dann natürlich gemerkt: Die haben die gleichen Probleme, die ich habe. Die können diese Frage, was einen guten Roman am Ende ausmacht, auch nicht beantworten. Und dann bin ich einfach sehr stark nach Intuition und Gefühl gegangen.

kreuzer: Der historische Roman ist momentan total gefragt. Hat dieser Aspekt bei der Auswahl der Form eine Rolle gespielt?

OELZE: Nein, ich habe nicht nach Vorbildern oder Figuren gesucht. Immer, wenn ich Bücher aus dieser Richtung in die Hand genommen habe, musste ich sie nach kurzer Zeit wieder weglegen und mich darauf besinnen, an meinem eigenen weiter zu machen. Es kam eigentlich nach wenigen Wochen schon das Gefühl auf, dass ich keinen schlichten historischen Roman produzieren will, der einfach nur das Leben der Personen wiedergibt. Ich wollte eine zweite Ebene schaffen, eine Figur, Bromberg, die in der Gegenwart lebt und auf Wallace stößt, genau wie ich selbst.

So konnte ich gewissermaßen auf einer Metaebene Fragen diskutieren, die in einem klassischen historischen Roman weniger hätten thematisiert werden können. Wie hat sich Wallace gefühlt? War es fair oder nicht, wie es ihm ergangen ist? Das hätte man auf historischer Ebene auch machen können, dann hätte man sich aber festlegen müssen. So konnte ich immer verschiedene Sichtweisen miteinander konkurrieren lassen.

kreuzer: Es gibt relativ weit hinten im Buch eine lustige Stelle, an der Bromberg unter der Dusche steht und sich überlegt, was für ein Mensch überhaupt so eine Geschichte schreibt. Beschreiben Sie an dieser Stelle sich selbst aus einer sehr persönlichen Perspektive heraus?

OELZE: Es gibt, um genau zu sein, zwei Stellen. Wallace und Bromberg referieren jeweils auf mich als Autor. Wenn ich selbst solche Elemente bei anderen Schriftstellern entdecke, finde ich sie manchmal sogar fast zu platt. An dieser Stelle fand ich es einfach lustig, so etwas einzubauen.

kreuzer: Was waren die Schritte, die Sie bei der Arbeit zu Ihrem Buch durchlaufen haben?

OELZE: Der Ansatz war derselbe wie beim wissenschaftlichen Arbeiten. Erstmal Primärliteratur lesen. Werke von Wallace selbst – allein seine Autobiografie umfasst um die 900 Seiten. Dann seine Reiseberichte, seine wissenschaftlichen Sammelbände und Aufsätze. Und danach kam die ganze Sekundärliteratur von vielen Wissenschaftshistorikerinnen, die sich mit Darwin und Wallace beschäftigt haben. Das war sehr wichtig, denn man merkt auch, dass man den Erzählungen der beiden nicht immer trauen kann, hier und da haben sie zu einer Art Legendenbildung bei sich selbst beigetragen. Ich bin viel gereist – nach Oxford, London, Berlin, Paris, in große naturhistorische Museen, habe mit Wallace-Experten gesprochen und war in Archiven, wo ich mir, soweit das ging, exklusive Werke von ihm angeschaut habe, die vor der Öffentlichkeit verschlossen sind. Währenddessen sind mehrere Jahre ins Land gegangen. Anfang letzten Jahres schnürte ich den Sack dann zu und begann damit, sieben Monate am Stück kontinuierlich zu schreiben.

kreuzer: Viele angehende Literaten wissen, sie wollen unbedingt schreiben, aber nicht genau, worüber. Bei Ihnen ist es andersherum. Werden Sie nach diesem Roman mehr als Autor oder als Wissenschaftler wahrgenommen werden, was denken Sie?

OELZE: Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mich zu hundert Prozent für Ersteres entscheiden. Andererseits ist für mich die philosophische Arbeit auch wichtig, weil es immer wieder Querverbindungen zwischen Fragen gibt, die ich im Literarischen wie auch im Philosophischen zu beantworten suche. Somit befruchten sich die beiden Bereiche manchmal gegenseitig. Ich arbeite aber bereits an den nächsten Romanen. Mindestens ein weiterer wird folgen, Ideen für den dritten und vierten sind bereits da. Wenn man an der Universität arbeitet, muss man zu zweihundert Prozent da sein. Das bin ich momentan nicht und ich denke, das will ich auch gar nicht sein.

kreuzer: Also markiert Ihre Auseinandersetzung mit Wallace nicht gleichzeitig Anfang und Ende Ihrer literarischen Karriere. Es geht weiter?

OELZE: Für mich war das Buch keine einmalige Sache, es war eher der Versuch, den Stein ins Rollen zu bringen. Ich überlege im Vorfeld nie, ob ich eine wissenschaftliche Arbeit oder einen Roman schreiben will. Am Anfang steht da immer die Frage, die ich beantworten will. Dann folgt automatisch die Form. Ich könnte mir für die Zukunft auch vorstellen, Kurzgeschichten oder Gedichte zu schreiben. Das Schöne an der Romanform ist die Freiheit, die man beim Erzählen hat. Gleichzeitig kann ich trotzdem die ganze wissenschaftliche Literatur, die mich interessiert, einbinden.

kreuzer: Bromberg lässt einen Brief fälschen, um Wallace zu neuer Aufmerksamkeit zu verhelfen. Dachten Sie auch selbst im Verlauf des Schreibprozesses, dass er es verdient hat, mehr Aufmerksamkeit zu erlangen?

OELZE: Das hängt davon ab, ob ich diese Frage als Philosoph beziehungsweise Wissenschaftler beantworte, oder als Schriftsteller. Als Wissenschaftler stellt sich die Frage gewissermaßen nicht. Es gibt eben die historisch so gut wie möglich ergründete Faktenlage. Und als Schriftsteller kann man auf eine andere Weise Partei ergreifen. Für mich war es elementar, dass es nach dem vorletzten Kapitel, in dem es zu dieser Brieffälschung kommt, einen Epilog gibt, in dem Wallace das letzte Wort hat. Ich habe mich manchmal gefragt, was Wallace dazu gesagt hätte, wenn er gewusst hätte, ich schreibe einen Roman über ihn. Und ich glaube, er hätte so müde gelächelt, wie das Bromberg am Anfang tut. Hat er es verdient, so bekannt zu werden? Ich weiß nicht, woran macht man fest, wann jemand das verdient hat? Mir ist im Verlaufe der Arbeit zum Buch aufgefallen, dass auch historische Faktizität immer einer Art des Erzählens entspringt. Diesen Unterschied, den wir zwischen »Geschichten« und »Geschichte« im Deutschen machen, gibt es in anderen Sprachen so nicht. Historiker würden da jetzt vielleicht protestieren. Aber schon in Aristoteles‘ Poetik gibt es die Aussage, Historiker müssten sich darum kümmern, wie die Dinge gewesen sind und Schriftsteller und Poeten darum, wie die Dinge gewesen sein könnten. Für mich war dieser Gedanke ein wichtiger Moment in der Bearbeitung: Zu erkennen, ich schreibe dieses Buch als Schriftsteller und nicht als Historiker oder Wissenschaftler.


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