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Literatur

»Kinder lieben Geschichten«

Sven Riemer, Künstler und einer der Geschäftsführer der »Buchkinder«, im Interview

  »Kinder lieben Geschichten« | Sven Riemer, Künstler und einer der Geschäftsführer der »Buchkinder«, im Interview

Seit 2001 gibt es in Leipzig den Verein der Buchkinder, der es Kindern ermöglicht, ihre eigenen Ideen in Bücher umzusetzen. Ein Angebot mit großer Nachfrage. So betreibt der Verein inzwischen auch einen Buchkindergarten. Im kreuzer-Interview erzählt Sven Riemer von seiner Arbeit mit den Buchkindern, der Leipziger Messe und der Kunst des Zuhörens.

kreuzer: Was ist das Besondere an den Buchkindern?

SVEN RIEMER: Das Besondere ist, dass da eine Augenhöhe zwischen Erwachsenem und Kind hergestellt wird. Wir haben ein wirkliches Interesse daran, dem einen Raum zu geben, was das Kind uns mitteilen möchte. Kinder haben ein sehr starkes Mitteilungsbedürfnis und Kinder lieben Geschichten. Dass ihnen jemand mit so einer Genauigkeit zuhört, das ist eine Besonderheit. Dazu kommt dann die Fortführung der Geschichten. Dass nicht nur aufgehoben wird, was in den Kursen entsteht, sondern dass die Kinder den ganzen Prozess der Buchherstellung erleben können – von der eigenen Idee, über die Umsetzung bis hin zur Präsentation des eigenen Buches bei Lesungen oder auf dem Podium jüngster Autoren sogar auf der Buchmesse.

kreuzer: Gibt es in Zeiten der digitalen Medien überhaupt noch ein Interesse der Kinder am gedruckten Buch und am Geschichtenerzählen?

RIEMER: Ja, das Interesse ist ungebrochen. Wir haben etwa 200 Kinder, die wir wöchentlich in Kursen begleiten. In dem Moment, in dem man sich ernsthaft mit diesen Kindern auseinandersetzt und das was von ihnen geäußert wird, versucht aufzunehmen, ist die Lust der Kinder aufs Erzählen ihrer Geschichten ungebrochen. Auch in unseren Kooperationen mit Schulen und Kindergärten merken wir, dass das Interesse, egal wo wir das machen, immer greift.

kreuzer: Was sind das für Themen, die die Kinder beschäftigen?

RIEMER: Das ist sehr individuell und speist sich auch aus den familiären Zusammenhängen. Es gibt Themen, die vom Umfeld aufgegriffen werden. Das eine Buch hieß beispielsweise »Rapunzel und der Frisörtermin«. Da werden also Themen aufgenommen und dann zu neuen Sichtweisen zusammengestellt, die so eine Geschichte nicht besser auf den Punkt bringen könnten. Wichtig ist, dass die Denkbewegung beim Kind verbleibt. Dass die Fragen zu seinen Impulsen so gestellt werden, dass man nicht eine eigene Richtung für die Geschichte damit verfolgt. Sondern das man sagt, ich bin interessiert, wie die Geschichte bei dem Kind weitergeht.

kreuzer: Wie kann man sich die Arbeit in den Kursen vorstellen?

RIEMER: Erstmal haben wir eine Gruppengröße von fünfzehn Kindern und drei Erwachsenen pro Kurs. So kann jedem Kind genügend Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dieser Schlüssel lässt aber auch die Möglichkeit der eigenen Gruppenbildung oder des eigenen Freiraums. Jedes Kind hat seine eigene Schublade. Dort sammeln sich seine Arbeiten Woche für Woche, bis zu dem Punkt, an dem man sagt, jetzt ist doch genügend Material für ein Buch zusammen. Da sind die Kinder sehr unterschiedlich. Manche haben schon nach zwei, drei Kurseinheiten Ideen für ein Buch und wollen die umsetzen, andere Ideen dauern Jahre. Es gibt Kinder, die sind mit vier, fünf Jahren eingetreten und sind jetzt mit vierzehn, fünfzehn immer noch dabei.

kreuzer: Warum ist es wichtig, dass man Kindern den Raum gibt, ihre eigenen Geschichten zu erzählen?

RIEMER: Wir sind davon überzeugt, dass es ein Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung ist. Erstmal gibt es natürlich diese Hinführung zum Buch, zum Lesen, zum Schreiben. Die Kurse tragen dazu bei, wertzuschätzen, wie viel Mühe es braucht, bis ein Buch fertig ist. Ein ganz wichtiger Punkt ist aber auch, dass die Kinder im Laufe ihrer Arbeit eigene Reflexionsräume erkennen lernen. Wenn man von Teilhabe oder einer demokratischen Gesellschaft sprechen möchte, ist es wichtig, dass man lernt, Inhalte zu reflektieren und auch eigene Meinungen davon abzuleiten und zu äußern.

kreuzer: Wie wirkt sich die Erfahrung mit den Buchkindern auf den Buchkindergarten aus?

RIEMER: Der Buchkindergarten ist der erste seiner Art in Deutschland und wird jetzt seit 2013 vom Verein betrieben. Dort gibt es auch dieses zentrale Element einer Buchkinderwerkstatt. Das ist ein zusätzlicher Raum mit Schreibutensilien, einem großen Tisch und Druckmaschinen, in dem ähnliche Kurse wie im Verein stattfinden. Aber in einer viel engeren Verzahnung zum Kindergartenalltag. Das Besondere am Buchkindergarten ist, dass wir merken, dass wir mit dieser Haltung des Zuhörens und der Fragestellung, wie eine Geschichte weitergehen kann, ein pädagogisches Grundinstrument haben, das auf den ganzen Lebensalltag übertragbar ist. Daraus hat sich mittlerweile eine sehr tragfähige Substanz herausgebildet; wie wir mit den Kindern umgehen, wie sie das annehmen und mit welcher Selbstverständlichkeit sie auch in die verschiedenen Prozesse reingehen, welche Verantwortung sie da übernehmen.

kreuzer: Was wird von den Buchkindern auf der Leipziger Buchmesse zu sehen sein?

RIEMER: Wir haben auf jeden Fall wieder einen großen Stand, diesmal auch explizit zusammen mit dem Buchkindergarten, wo wir die Entwicklung des Buchkindergartens nochmal darstellen. Außerdem hat ein Trupp aus dem Verein eine Zeichenmaschine gebaut. Das ist ein großer Kasten, wo man einen Keks oder einen Euro reinwerfen kann und am Ende kommt ein Porträt raus. Sehr mysteriös mit Lichtanlagen und Druckgeräuschen. Dazu haben wir noch die mobile Druckwerkstatt, also unser Set auf der Messe. Da gibt es einen Drucktisch und die Platte, auf die die Farbe kommt und die ganzen Utensilien sind mit dabei: Stifte, Papier und Linoleummesser, Linoleum. Die Kinder, die vorbeikommen, können sich also ausprobieren.


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