Leipzig bekommt einen Helmut-Kohl-Platz. Die Entscheidung ist richtig, nur der Ort völlig falsch gewählt.
Bimbes, Birne, Landschaftsblühen: Leipzigs Stadtraum wird ein Helmut-Kohl-Etikett bekommen. Das hat der Stadtrat vor zwei Jahren beschlossen. Das mag auf den ersten Blick befremdlich wirken. Aber genauer betrachtet, ist die Benamsung folgerichtig und kommt zur historisch korrekten Stunde. Nun soll es einem Verwaltungsvorschlag zufolge ein Platz werden, und zwar jener draußen vor der Glashalle an der Neuen Messe.
Dabei spielt die besondere Liebe, die der Altkanzler für Leipzig gehegt haben soll, keine Rolle, auch wenn die hiesige CDU das gern kolportiert. Begründet wird diese mit dem Hinweis auf seine Frau Hannelore, eine gebürtige Leipzigerin, aber dann sollte man ja lieber einen Hannelore-Kohl-Platz ausrufen. Aber es gibt andere Gründe für den Kohl-Platz.
[caption id="attachment_75406" align="alignright" width="148"] Tobias Prüwer ist Theaterredakteur des kreuzer[/caption]
Eine komplette Großstadt, gewaltige 320.000 Menschen, drängten sich am 14. März 1990 auf dem damaligen Karl-Marx-Platz in Leipzig, als Kohl von der Oper aus eine Rede an die Bevölkerung hielt: »Liebe Landsleute!« Es war der triumphalste Auftritt Kohls und sein letzter vor der DDR-Volkskammerwahl, auf der er für die AfD warb. Ja: Er warb für die AfD. Allerdings war damals die Allianz für Deutschland gemeint, die die deutsch-deutsche Vereinigung als obersten Punkt auf ihre politische Agenda gesetzt hatte. Die Menge jubelte, schwenkte Fahnen, schunkelte im Taumel nationaler Erregung. In Leipzig.
Nur kurz darauf sollte Kohl das erste Mal jenen »blühenden Landschaften« das Wort reden, die legendär geworden sind. Kohl wusste um das uneinlösbare Versprechen. Aber was juckte das schon im Wahlkampf. Die Realität holte viele Ostdeutsche dann früh genug ein, aber da war Kohl schon Gesamtkanzler. Daran kann man erinnern, nur der Ort sollte eine anderer als dieser entfernte Flecken am Stadtrand sein.
Wäre denn nicht der Augustusplatz, der historische Ort seiner Rhetorikstunde, viel besser geeignet? Es wäre die konsequente Vollendung der Geschichtsschreibung. Der 14. März am Augustusplatz steht für das Finale des revolutionären Funkens, der '89 von Menschen auch in Leipzig auf die Straßen getragen wurde. Er steht für die nationale Restauration, in die die Revolution mündete. Er steht für die Forderung »Wir sind ein Volk!« und den darin artikulierten Ausschluss aller anderen.
Der Helmut-Kohl-Platz, zumal am tatsächlichen Geschichtsort, käme zur richtigen Zeit. Um die Deutungshoheit der Ereignisse 89/90 wird wieder gestritten. Der Platz kann Anlass sein, das permanent zu tun. Ja, viel zu spät wird endlich auch öffentlich über die Brüche im sogenannten Transformationsprozess Ost gesprochen, werden die Schicksalsschläge in den Biografien vieler Ostdeutscher wahrgenommen. Aber sie werden auch zur Einzelerklärung für Pegida und die AfD-Erfolge gemacht. Ein Helmut-Kohl-Platz mag daran erinnern, dass sich noch über vieles zu verständigen ist, aber zudem an eine andere Wahrheit: Es war die Mehrheit der Ostdeutschen, die Kapitalismus und Ein-Volk-Werdung wollte. Sie also bloße Opfer des Westens hinzustellen, würde bedeuten, ihnen die politische Mündigkeit abzusprechen. Dass die Menschen gewarnt waren, daran erinnerte wiederum der alte Name Karl-Marx-Platz. Sie stimmten damals zu, bejubelten Kohl begeistert, setzten 1990 bewusst ihr Kreuz in der Wahlkabine. Die Enttäuschten waren verantwortlich für ihre Lage. Auch das würde ein Helmut-Kohl-Platz dokumentieren.