»Saskia Jagemann weiß, was sie will – und was nicht geht.« Mit diesem Satz eröffnet die LVZ einen langen Text über Fachkräftemangel. Dabei zeigt die zitierte Friseurmeisterin, dass sie sich jenseits von Ressentiments nicht groß auskennt. Und die Leipziger Volkszeitung beweist einmal mehr, dass sie um journalistisches Einordnen nicht bemüht ist. Im Gegenteil: Da zieht sie als Quelle schon mal einen Verband heran, ohne dessen Ausrichtung zu benennen.
Credo des Textes ist ein bekanntes Lamento: Das gute Handwerk finde keine Arbeitskräfte, weil die Arbeitslosen faul seien. Der Staat zwinge diese Schmarotzer nicht zur Maloche, noch dazu würden viel zu viele Menschen sinnlos studieren und weder IHK noch Schule kümmerten sich um den Nachwuchs. Um diesen Schmarrn zu servieren, bemüht die LVZ das so genannte Mittelstandsforum für Deutschland (MfD), »dem Unternehmer vieler Branchen angehörten«, wie Autor Andreas Tappert schreibt. Was er verschweigt: Das in Leipzig ansässige MfD wirkt nicht nur in seiner Abkürzung wie ein verlängerter Arm der AfD; es ist fast identisch mit ihr. Das Forum wurde 2015 von der AfD gegründet mit einem Ziel, wie die damalige Co-Parteichefin Frauke Petry erklärte: »Mit diesem eingetragenen Verein wollen wir verstärkt ein offenes Ohr für den unternehmerischen Mittelstand haben«. Mit wem er vom MfD gesprochen hat, gibt Journalist Tappert – im Gegensatz zu den anderen Institutionen – nicht an. Möglicherweise war es Bundessprecher Gert Pasemann. Dem Leipziger AfD-Mitglied hat Tappert vor einigen Monaten ein ausführliches Porträt gewidmet. Ohne eine solche Einordnung erscheint das MfD als normaler Verband neben der IHK, der Arbeitsagentur oder der Friseur-Innung. Das normalisiert problematische Aussagen, wie die Gegenüberstellung von »wertschöpfenden Berufen« im Handwerk und anderen, als nicht »wertschöpfenden« für Hochschulabgänger. Da ist es nicht mehr weit zur Unterscheidung zwischen »raffendem« und »schaffendem« Kapital, einem alten antisemitischen Muster.
Ebenfalls keine journalistische Einordnung oder Korrektur begleiten die Aussagen der Friseurmeisterin Saskia Jagemann. Ausschweifend und ohne begleitende Einordnung darf die Leipziger Geschäftsführerin einer Friseurkette sich äußern. Warum Migration einen Fachkräftemangel nicht mildern könne, erklärt sie nicht, nur, dass es Zuwanderung nicht brauche. Dafür seien die Menschen aber hierzulande einfach zu faul, findet Jagemann. Und der Staat greife nicht durch. Von den vielfach verhängten Sanktion des Jobcenters hat sie anscheinend noch nichts gehört. Jedem Hartz-IV-Empfänger, der zum Beispiel nicht bei ihr zum Bewerbungsgespräch erscheint, wird die Grundsicherung um 30 Prozent gekürzt. Was daran milde sei, sagt weder Jagemann, noch erwähnt es Journalist Tappert. Insgesamt kommt Jagemann meinungsstark und ahnungslos daher. Sie behauptet allen Ernstes, dass man unter den rund 6,6 Millionen Leistungsempfängern, die Hartz-IV beziehen, doch wohl genügend Arbeitskräfte finden könnte. Was sie nicht erwähnt, und sich auch der Journalist nicht zu korrigieren bemüßigt: Unter diesen befinden sich 2 Millionen Kinder und Jugendliche. Andere sind Aufstocker, können also nicht von ihrer Arbeit leben. Nur 2,2 Millionen sind Erwerbslose. Das kann man immer noch zu viel und ungerecht finden, man sollte aber sauber mit den Zahlen arbeiten, statt das Bild vom Heer der Faulen zu bedienen.