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»Zuhören als politische Haltung ist Käse«

Politik-Professorin Rebecca Pates über das Jammern der Sachsen, deren moderaten Konservatismus und warum es vorschnell ist, im Erstarken der AfD einen Rechtsruck zu sehen

  »Zuhören als politische Haltung ist Käse« | Politik-Professorin Rebecca Pates über das Jammern der Sachsen, deren moderaten Konservatismus und warum es vorschnell ist, im Erstarken der AfD einen Rechtsruck zu sehen

Rebecca Pates ist Professorin für politische Theorie an der Universität Leipzig. Für »die Ossis« hat sie sich schon interessiert, als noch kaum jemand »das Gejammer« hören wollte. In dem, was viele Rechtsruck nennen, sieht sie auch einen demokratischen Aufbruch und hofft gleichzeitig, dass sie sich nach der Landtagswahl nicht nach dreißig Jahren Stagnation zurücksehnen muss.

kreuzer: Seit den ersten Wahlen in Sachsen gewinnt immer wieder die CDU. Kurios, oder?

REBECCA PATES: Gerade einmal die Hälfte der Wahlberechtigten hat an den letzten Landtagswahlen teilgenommen. Im Grunde hat also nicht einmal ein Viertel der sächsischen Wahlbevölkerung die jetzige Regierung gewählt. Das ist nicht ganz das, was man von einer Volkspartei erwarten würde. Wer in Sachsen wählt, wählt Establishment, das ist hier die CDU, aber viele wählen weder das Establishment noch sonst wen.

kreuzer: Warum?

PATES: Wohl auch, weil die anderen Parteien keine attraktiven Angebote machen. Warum, fragte ich mich letztens, ist der Wolf in Sachsen so ein Thema? Nicht mal ein Prozent des jährlich erlegten Wildes geht auf das Konto von Wölfen. Sie verursachen recht überschaubare Veränderungen in den Wäldern und für die Jäger. Wenn man genau hinhört, versteht man: Es geht dabei nicht nur um den Wolf. Er ist Anlass, um über gravierende wirtschaftliche und soziale Herausforderungen für Leute auf dem Land zu sprechen, insbesondere die Probleme ländlicher Kleinbetriebe und sterbender Ortschaften. Darüber zu reden, gilt als jammern. Aber über den Wolf darf man sich eben aufregen. Das haben AfD und Die Blaue Partei verstanden. Sie nehmen Themen auf, die für andere schon ausgehandelt scheinen. Der Wolf ist für Naturschützer ein Hinweis auf eine sich wiederherstellende Natur, aber diese Natur ist natürlich nicht in den Städten, sie ist geradezu das romantische Gegenbild zur zivilisierten Stadt. Aber für Leute auf der Fläche ist der Wolf nur das Tüpfelchen, und wenn sie von der urbanen, sich als aufgeklärt verstehenden Bevölkerung als Wolfsmörder abgestempelt werden, löst das ja ihre Probleme nicht.

kreuzer: Dann steht der Wolf als Chiffre für verpasste Debatten und nicht stattfindende Diskurse auf dem Land?

PATES: Die bisherigen Oppositionsparteien verstehen sich bisher nicht als Parteien des ländlichen Raumes und werden für diesen immer weniger wählbar. Die CDU hat sich da einfach mehr Mühe gegeben. Außerdem punktet die CDU damit, dass sie ein regionales Identifikationsangebot macht, wie die CSU in Bayern. So nennt sie sich ja auch »sächsische Union«. Bundesländer ohne Bindestrich haben immer stärkeren Erfolg mit ihren Identifikationsangeboten. »Ich bin Sachse« geht einfacher zu sagen als »ich bin Sachsen-Anhaltiner«; das Nationalbewusstsein hat hier also stärker regionale Züge, ähnlich wie in Bayern, was auch das manchmal trotzige Selbstbewusstsein stärkt.

kreuzer: Noch mehr davon wäre unangenehm.

PATES: Sachsen ist außerhalb der Großstädte schon national-konservativ eingestellt, mehr als die Bevölkerung in vielen anderen Bundesländern. Dafür gibt es neben dem Selbstbewusstsein auch eine geografische Komponente. Sachsen teilt Außengrenzen mit zwei postsozialistischen Staaten, die selber noch viel erfolgreichere national-konservative Strömungen haben. Im regionalen Vergleich ist Sachsen also bislang recht moderat in seinem Konservatismus. Hoffentlich werden wir uns nach der Stagnation der letzten dreißig Jahre nicht zurücksehnen müssen. Denn das Ende der sächsischen CDU als »Erbmonarchie« ist wohl nur eine Frage der Zeit.

kreuzer: Wofür steht denn diese Kontinuität? Für politische Stabilität, oder für die Abwesenheit von Politik?

PATES: In allen Gesellschaften, in denen sogenannte populistische Parteien Aufwind haben, führt das paradoxerweise zu einer Stärkung der Demokratie. Populistische Parteien sind elitenkritisch. Wo sich Teile der Bevölkerung nicht repräsentiert fühlen, verweigern sie sich den Wahlen. Bis jemand kommt, der verspricht, alles anders zu machen, sie anzuhören, ihre Interessen aufzunehmen. Sollten solche Parteien an die Macht kommen, geht das dann oft einher mit der Einschränkung von Rechten für sozial Schwache, Minderheiten, auch von Frauen und Migrierten. Aber zunächst gehen wieder mehr Leute wählen, Parteimitgliedschaften erhöhen sich, öffentlich wird wieder politisch diskutiert. Die politische Stagnation, von der wir gewiss in Sachsen lange Zeit reden konnten, wird aufgebrochen – auch durch den sehr umtriebigen Michael Kretschmer, der sich der Herausforderung der Repolitisierung und des Zuhörens stellt.

kreuzer: Wer in Sachsen zelebriert derzeit nicht dieses Zuhören? Petra Köpping, sächsische Integrationsministerin und Sozialdemokratin, widmet sich programmatisch den Seelennöten der Ostdeutschen. Muss das sein?

PATES: Zuhören ist als politische Haltung Käse, Politik ist ja nicht Therapie. Aber Interessenvertretung ist Grundlage der Politik, und da hapert es. Die working classes fühlen sich von sozialdemokratischen Parteien nicht vertreten, sondern eher von sogenannten rechtspopulistischen Parteien. Das liegt nicht daran, dass sie eigentlich rassistisch sind. Sondern es liegt daran, dass wir kein Vokabular mehr haben, welches die Nöte der schlechter und schlecht Vertretenen adäquat ausdrückt. Vorteil des Nationalismus ist eben, dass die Zugehörigkeit zur ethnisch gedachten Nation ein Geburtsrecht ausmacht, das im Gegensatz zur Würde oder zur gesellschaftlichen Stellung einem niemand absprechen kann. Wenn man viel verloren hat, bleibt eben noch die Nation. Aber das Problem ist doch, dass wir darüber reden müssen, welche Rolle die Nation hier erfüllen muss. Welche Verlusterfahrungen wurden den Menschen in Sachsen systematisch aufgebürdet? Wie kann man das geraderücken? Müssen Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben, um ihre Würde, Wärme, ein Obdach im Alter fürchten?

kreuzer: Aber wenn es nicht um diese typische ostdeutsche Erzählung geht, wenn es zum Beispiel um das Polizeigesetz geht, um den Kohleausstieg, oder die Jugendlichen auf dem Dorf, da kann offenbar wieder weggehört werden. Seltsam, oder?

PATES: In der Tat. Die Regierungsparteien versuchen einen Spagat: einerseits ihren Werten einigermaßen gerecht werden, andererseits den sich neu etablierenden Rechten die Themen wegnehmen, das sind nun mal Themen wie Recht und Ordnung, Migrationsskepsis, der Wolf und die Kohle. Das Problem dabei ist, dass die urbane Mitte da ein wenig aus dem Blickfeld gerät, die ist eher für Minderheitenrechte, Pluralismus, Naturschutz und sie ist auch etwas weniger aufgeregt, was ein gewisses Maß an sozialer Unordnung anbelangt. Der Versuch der Regierungsparteien, rechte Themen abzudecken, führt also zu einem Zuwachs des Wählerinteresses an den Grünen.

kreuzer: Liegt es vielleicht daran, dass man den Ostdeutschen Demokratie nicht beigebracht hat? Hätte es ein Reeducationprogramm für den Osten gebraucht?

PATES: Die friedliche Revolution war eine demokratische Revolution. Es ist anmaßend, den ehemaligen Bürgerinnen und Bürgern der DDR Demokratie beibringen zu wollen. Diese herablassende Haltung, dass Leute, die andere Werte vertreten, einfach nicht wüssten, was sie tun, sollten wir uns schleunigst abgewöhnen.

kreuzer: Es ist doch eine Binsenweisheit, dass sich das rechte Denken in den Köpfen festgesetzt hat.

PATES. Die Wähler der AfD sind nicht alle Rassisten und Nationalisten, aber diese Merkmale der AfD-Auftritte machen ihnen wohl auch nichts aus, im Gegenteil: Das provoziert das Establishment. Sie wollen vor allem das Establishment herausfordern. Genau das schaffen sie in Sachsen gerade. Es wäre also vorschnell, allein im Erstarken der AfD einen Rechtsruck zu lesen. Das Problem ist aber, dass andere Parteien meinen, die national-konservativen Themen der AfD und der Blauen Partei übernehmen zu müssen, um zu punkten. Dabei verursacht das hohe Kosten. Sie verlieren dann die urbanen Wähler, die weitaus queer- und migrationsfreundlicher sind. Daher erstarken mit dem Aufkommen rechtspopulistischer Parteien in ganz Europa auch die Grünen. Ein Schwenk weiter nach rechts ist für die CDU in einem sich rasch urbanisierenden Sachsen kein Heilmittel.


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