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»Zuhören als politische Haltung ist Käse«

Politik-Professorin Rebecca Pates über das Jammern der Sachsen, deren moderaten Konservatismus und warum es vorschnell ist, im Erstarken der AfD einen Rechtsruck zu sehen

  »Zuhören als politische Haltung ist Käse« | Politik-Professorin Rebecca Pates über das Jammern der Sachsen, deren moderaten Konservatismus und warum es vorschnell ist, im Erstarken der AfD einen Rechtsruck zu sehen

Rebecca Pates ist Professorin für politische Theorie an der Universität Leipzig. Für »die Ossis« hat sie sich schon interessiert, als noch kaum jemand »das Gejammer« hören wollte. In dem, was viele Rechtsruck nennen, sieht sie auch einen demokratischen Aufbruch und hofft gleichzeitig, dass sie sich nach der Landtagswahl nicht nach dreißig Jahren Stagnation zurücksehnen muss.

kreuzer: Wer in Sachsen zelebriert derzeit nicht dieses Zuhören? Petra Köpping, sächsische Integrationsministerin und Sozialdemokratin, widmet sich programmatisch den Seelennöten der Ostdeutschen. Muss das sein?

PATES: Zuhören ist als politische Haltung Käse, Politik ist ja nicht Therapie. Aber Interessenvertretung ist Grundlage der Politik, und da hapert es. Die working classes fühlen sich von sozialdemokratischen Parteien nicht vertreten, sondern eher von sogenannten rechtspopulistischen Parteien. Das liegt nicht daran, dass sie eigentlich rassistisch sind. Sondern es liegt daran, dass wir kein Vokabular mehr haben, welches die Nöte der schlechter und schlecht Vertretenen adäquat ausdrückt. Vorteil des Nationalismus ist eben, dass die Zugehörigkeit zur ethnisch gedachten Nation ein Geburtsrecht ausmacht, das im Gegensatz zur Würde oder zur gesellschaftlichen Stellung einem niemand absprechen kann. Wenn man viel verloren hat, bleibt eben noch die Nation. Aber das Problem ist doch, dass wir darüber reden müssen, welche Rolle die Nation hier erfüllen muss. Welche Verlusterfahrungen wurden den Menschen in Sachsen systematisch aufgebürdet? Wie kann man das geraderücken? Müssen Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben, um ihre Würde, Wärme, ein Obdach im Alter fürchten?

kreuzer: Aber wenn es nicht um diese typische ostdeutsche Erzählung geht, wenn es zum Beispiel um das Polizeigesetz geht, um den Kohleausstieg, oder die Jugendlichen auf dem Dorf, da kann offenbar wieder weggehört werden. Seltsam, oder?

PATES: In der Tat. Die Regierungsparteien versuchen einen Spagat: einerseits ihren Werten einigermaßen gerecht werden, andererseits den sich neu etablierenden Rechten die Themen wegnehmen, das sind nun mal Themen wie Recht und Ordnung, Migrationsskepsis, der Wolf und die Kohle. Das Problem dabei ist, dass die urbane Mitte da ein wenig aus dem Blickfeld gerät, die ist eher für Minderheitenrechte, Pluralismus, Naturschutz und sie ist auch etwas weniger aufgeregt, was ein gewisses Maß an sozialer Unordnung anbelangt. Der Versuch der Regierungsparteien, rechte Themen abzudecken, führt also zu einem Zuwachs des Wählerinteresses an den Grünen.

kreuzer: Liegt es vielleicht daran, dass man den Ostdeutschen Demokratie nicht beigebracht hat? Hätte es ein Reeducationprogramm für den Osten gebraucht?

PATES: Die friedliche Revolution war eine demokratische Revolution. Es ist anmaßend, den ehemaligen Bürgerinnen und Bürgern der DDR Demokratie beibringen zu wollen. Diese herablassende Haltung, dass Leute, die andere Werte vertreten, einfach nicht wüssten, was sie tun, sollten wir uns schleunigst abgewöhnen.

kreuzer: Es ist doch eine Binsenweisheit, dass sich das rechte Denken in den Köpfen festgesetzt hat.

PATES. Die Wähler der AfD sind nicht alle Rassisten und Nationalisten, aber diese Merkmale der AfD-Auftritte machen ihnen wohl auch nichts aus, im Gegenteil: Das provoziert das Establishment. Sie wollen vor allem das Establishment herausfordern. Genau das schaffen sie in Sachsen gerade. Es wäre also vorschnell, allein im Erstarken der AfD einen Rechtsruck zu lesen. Das Problem ist aber, dass andere Parteien meinen, die national-konservativen Themen der AfD und der Blauen Partei übernehmen zu müssen, um zu punkten. Dabei verursacht das hohe Kosten. Sie verlieren dann die urbanen Wähler, die weitaus queer- und migrationsfreundlicher sind. Daher erstarken mit dem Aufkommen rechtspopulistischer Parteien in ganz Europa auch die Grünen. Ein Schwenk weiter nach rechts ist für die CDU in einem sich rasch urbanisierenden Sachsen kein Heilmittel.


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