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Politik

»Anstand und Haltung«

Der grüne Landtagsabgeordnete Valentin Lippmann über eine Koalition mit der CDU, den Frame von Rot-Rot-Grün und sein Angebot an konservative Wähler

  »Anstand und Haltung« | Der grüne Landtagsabgeordnete Valentin Lippmann über eine Koalition mit der CDU, den Frame von Rot-Rot-Grün und sein Angebot an konservative Wähler

Wenn es in Sachsen um Themen wie das Polizeigesetz oder Rechtsextremismus geht, kommt man um den Grünen-Innenpolitiker Valentin Lippmann kaum noch herum. Der 28-Jährige war schon als Schüler Schatzmeister des Grünen-Kreisverbandes Dresden, seit 2014 sitzt er im Landtag. Während seine Partei im Umfragenhoch schwebt, spricht Lippmann über die Perspektiven zur sächsischen Landtagswahl.

kreuzer: Würden die Grünen einer großen Koalition in Sachsen beispringen, wenn es nach der Landtagswahl für CDU und SPD nicht für eine Mehrheit reicht?Valentin Lippmann: Wir werden am 1. September sehen, was das Wahlergebnis bringt. Aus den aktuellen Umfragen ergibt sich eine neue Situation. Plötzlich bekommt die Alternative von Rot-Grün-Rot wieder Aufschwung. Wir sind sehr klar in dem, was wir wollen. Und das ist: die Macht der CDU in Sachsen zu brechen. Sie ist verantwortlich für die sächsischen Verhältnisse, mit denen ich als Innenpolitiker jeden Tag zu tun habe. Mein klares Ziel ist daher auch, die CDU von der Macht abzulösen.

kreuzer: Sie schließen eine Koalition mit der CDU aber nicht grundsätzlich aus?Lippmann: Ich glaube, wir sind in einer Situation, wo der Ausschluss von Bündnissen – bei allen Parteien – nicht zielführend ist. Es wurde vor Kurzem noch diskutiert, ob man sogar Vierer-Bündnisse schmieden müsse, um die AfD zu verhindern. Die Frage ist nicht, was wir nicht wollen, sondern, was wir wollen. Und das ist, dass wir Grünen gemeinsam mit Partnern anstreben, diese CDU von der Macht abzulösen.

Über eine Koalition mit der CDU wird am Ende die ganze Partei  entscheiden
kreuzer: Wie sind die Grünen politisch auf eine Koalition mit der CDU vorbereitet?Lippmann: Über so eine Koalition wird am Ende die ganze Partei anhand unserer Grünen-Inhalte entscheiden – mit einer Urabstimmung, an der alle Parteimitglieder beteiligt sind. Das ist nichts, was im Hinterzimmer ausgedealt wird.

kreuzer: Was passiert, wenn doch solch eine Situation entsteht: in der nur durch den Beitritt der Grünen in eine große Koalition die AfD an der Macht verhindert werden kann?Lippmann: Wir werden dafür kämpfen, dass wir nicht eine solche Lage kommen. Dass wir nicht einen Zustand haben, in dem wir Koalitionsverhandlungen unter dem faktischen Dauerdruck führen, eine Partei von der Macht fernhalten zu müssen. Dann ginge es kaum noch um Inhalte.

kreuzer: Stimmt es, dass die sächsischen Grünen ein großes Potenzial sehen in ehemaligen CDU-Wählerinnen und -Wählern, denen deren Rechtskurs nicht passt?Lippmann: Es gibt so ein Potenzial. In diesem Land gibt es Menschen, die einen sehr klaren Wertekanon haben, denen es nicht egal ist, wenn Politik auf Kosten von Minderheiten gemacht wird, und die eine Vorstellung von einer lebenswerten Zukunft haben. Vielleicht haben die früher auch mal CDU gewählt. Ich glaube aber, dass bei denen der Spaß aufhört, wenn eine CDU derart nach rechts blinkt. Und dass diese Menschen dann nach einer Partei suchen, die mit Anstand und Haltung zu den zentralen Werten von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit steht.

kreuzer: Was für ein Angebot können Sie solchen eher konservativ eingestellten Wählern machen?Lippmann: Das Angebot, dass wir die Werte von Rechtsstaatlichkeit mit Vernunft verteidigen, dass wir keine freiheitsfeindliche Symbolpolitik machen, wie die CDU beim Polizeigesetz. Wir können eine klare Zukunftsperspektive geben mit der Aussage, dass wir drängende Probleme nicht länger aussitzen, sondern sie jetzt angehen müssen.

kreuzer: In Baden-Württemberg plädiert ein grüner Ministerpräsident dafür, die Grünen zum Sammelbecken einer neuen, konservativen Mitte zu machen. Ist das ein Modell auch für Sachsen?Lippmann: Ich persönlich bin eher Liberaler als Konservativer, darum tue ich mich damit schwer. Wir Grüne in Sachsen haben eine andere Struktur und eine ganz andere Historie. Ich will nicht, dass die Grünen sich einer Mehrheitsmeinung anpassen, sondern ich will mit unseren Positionen Leute überzeugen, die früher vielleicht gesagt haben: Ach, die Grünen, das ist nichts für mich. Ich erlebe zudem, dass diese ganzen abstrakten Ausrichtungsfragen – wird man jetzt linker oder konservativer – innerhalb der Partei gar nicht die Rolle spielen, wie das manchmal von außen gedacht wird.

kreuzer: Sind die Grünen in Sachsen eine linke Partei?Lippmann: Ich tue mich auch da schwer mit einer derartigen Geografie politischer Ausrichtungen. Da könnte man genauso fragen, ob wir eine liberale oder konservative Partei sind. Es gibt Schnittmengen.

kreuzer: Wie wichtig ist für die Grünen der ländliche Raum in Sachsen?Lippmann: Er ist wichtig, weil wir erkennen, dass wir dort Wachstumspotenzial haben. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir breit aufgestellt sind. Die Mobilitätsfrage ist nicht nur in den Großstädten bedeutend, sondern gerade im ländlichen Raum eine ganz entscheidende.

Wir ermöglichen durch unsere Stärke, dass wir überhaupt über Rot-Rot-Grün reden können und dieses alte »es ist rechnerisch unmöglich« endlich mal weg ist.
kreuzer: Sie haben gegen einen Lagerwahlkampf, links gegen rechts, plädiert. Warum?Lippmann: Wenn wir Rot-Rot-Grün wollen, dann müssen wir alle drei unsere Wählerpotenziale nutzen. Und wir sehen ja, was aktuell passiert: SPD und Linke sind in allen Umfragen stabil. Wir ermöglichen durch unsere Stärke, dass wir überhaupt über Rot-Rot-Grün reden können und dieses alte »es ist rechnerisch unmöglich« endlich mal weg ist. Ich glaube nicht, dass die Maximierung des jeweiligen Wählerpotenzials durch die Beschreibung eines politischen Lagers funktioniert. Vielleicht gibt es sowas wie einen gemeinsamen inhaltlichen Frame. Bei der Frage von sozialer Gerechtigkeit beispielsweise hat die Linke einen anderen Zugang als wir und die SPD hat bei der Frage von Wirtschaft ein anderes Herangehen als wir.

kreuzer: Was ist dieser inhaltliche Frame?Lippmann: Dieser Frame ist eine gesellschaftliche Modernisierung dieses Freistaates. Wir haben jetzt oft das Gefühl, dass wir alles, was wir haben, gegen die AfD verteidigen müssen, weil es das Nonplusultra sei. Das ist es aber nicht. Sachsen hat erheblichen Nachholbedarf bei sehr vielen gesellschaftlichen Entwicklungsfragen.

kreuzer: Zum Beispiel?Lippmann: Beim Thema Zivilgesellschaft. Wie gehen wir mit den Leuten um, die hier jeden Tag den Kopf hinhalten, sei es für Demokratie, für Integration oder gegen Nazis. Da ist ein Verständnis von Obrigkeitsdenken nach wie vor in Sachsen vorhanden, das ich fatal finde. Wenn eine Zivilgesellschaft ständig gegängelt wird, dann brauche ich mich nicht wundern, wenn sie nicht da ist, wenn ich nach ihr rufe. Wir brauchen einen Demokratieschub, wir brauchen mehr Freiheit. Wir müssen wegkommen von diesen ganzen Repressionsüberlegungen der Vergangenheit, die auch nichts gebracht haben. Ich bin sehr dafür, dass Sachsen zum Beispiel eine Vorreiterrolle bei der Liberalisierung von Cannabis übernimmt. Wir brauchen mehr Gleichstellung, mehr Transparenz ... das sind alles gesellschaftliche Modernisierungsvorstellungen, die in anderen Bundesländern ja schon umgesetzt sind. Da ist auch nicht die Welt untergegangen, ganz im Gegenteil.

kreuzer: Gesellschaftliche Erneuerung: Meinen Sie wirklich, dass sich damit in Sachsen die Massen überzeugen lassen?Lippmann: Ich glaube schon, dass es eine ganze Menge Leute gibt, die mit diesem Allmachtsgehabe der CDU nicht mehr einverstanden sind.


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1 Kommentar(e)

Ulrich Ingenlath 07.05.2019 | um 10:32 Uhr

Ich habe ja Respekt vor den Äußerungen von Herr Lippmann und würde seiner Partei bestätigen, dass BD90/GRÜNE zur Zeit auch in Sachsen einen ganzen guten Lauf haben, weil immer mehr WählerInnen erkennen, was für große gesellschaftliche Defizite und Strukturprobleme eine nunmehr 29jährige CDU-Alleinherrschaft in Sachsen hervorgebracht hat. Dass die Sächsische SPD sich dabei immer wieder in Nibelungentreue zu einer Rechts-Außen-Union bekennt, entbehrt dabei nicht einer gewissen Tragik. Nach 25 Jahren in Sachsen habe ich aber erst mal die Hoffnung aufgegeben, dass sich der Freistaat zu einem weltoffenen und modernen Gebilde entwickeln wird. Hier in der Lausitz ist das Kind längst in den Brunnen gefallen. Die AfD liegt hier bei 35 Prozent und die beherrschenden Themen sind neben Heimat und Vaterland vor allem der ˋ WOLF, der MIGRANT und die BRAUNKOHLE ´. Nach Michael Kretschmers desaströsem Auftreten bei Anne Will, ist bei mir der Glauben an eine moderne Landespolitik sowieso gänzlich abhanden gekommen. Sachsen wird schon bei der Europawahl nach Rechts abdriften. Fremdenfeindliche bzw. faschistoide Strukturen habe ich in Sachsen übrigens erstmals in Leipzig kennengelernt. Die Stadt Leipzig hat bis 2003 einen stramm rechten Eigenbetrieb namens bfb (Betrieb für Beschäftigungsförderung) betrieben, welcher nicht nur über 400 Mio Euro Steuergelder ˋverbraten´ hat sondern bis in die Spitze mit ehemaligen MfS´lern durchsetzt war. Und schon Mitte der 90er Jahre war ich in Leipzig bei Burschenschaften zu Gast, welche sich gedanklich am äußersten rechten Rand unser Freiheitlich demokratischen Grundordnung bewegt haben. Nein; in Sachsen kommt - neben dem chauvinistischen Agieren der Sächsischen Union - seit Jahrzehnten vieles zusammen, was dieses Bundesland quasi politisch ˋ reif´ gemacht hat, für das was da ab dem 01. September 2019 kommen wird. Ich bin da - trotz solch engagierter Menschen wie Hr. Lippmann und anderer BürgerInnen im Land - sehr pessimistisch. Ulrich Ingenlath, Bautzen