anzeige
anzeige
Stadtleben

Verbrannte Orte

Auch in Leipzig fanden 1933 Bücherverbrennungen statt, Projekte wollen erinnern

  Verbrannte Orte | Auch in Leipzig fanden 1933 Bücherverbrennungen statt, Projekte wollen erinnern

»Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen«, sagte Heinrich Heine einst. An diesem Freitag jährt sich die Bücherverbrennungen der Nazis zum 86. Mal. Damit gewisse Bücher, gewisse Menschen wiederauferstehen, erinnern verschiedene Initiativen mit Veranstaltungen in Leipzig an den 10. Mai 1933.

Am 25. Februar steht Jan Schenck auf dem ehemaligen Leipziger Meßplatz, der heute Am Sportforum heißt. Vor sich hat er eine Kamera mit Stativ aufgebaut, weiter hinten parkt sein Van. Konzentriert schaut er durch die Linse und dreht sich einmal um sich selbst. »Ein Panorama«, erklärt er. In wenigen Tagen wird er die Bilder in seinen »Onlineatlas zu den Orten der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen 1933« einpflegen.

»Die Tatsache, dass es an kaum einem der Orte der Bücherverbrennungen Gedenktafeln oder andere Hinweise gibt, und meine Leidenschaft für Bücher von einigen Autoren, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, brachten mich zu dem Entschluss, ein fotografisches Projekt zu entwickeln. Ich wollte diese Orte dokumentieren und wissen, wie es heute dort aussieht«, sagt er. Am ehemaligen Meßplatz deutet nichts auf das Verbrechen hin, allerdings ist es zwar sehr wahrscheinlich, aber nicht hundertprozentig sicher, ob hier tatsächlich Bücherverbrennung stattfand. Anders ist das am Areal um das Volkshaus, wo Schenck auch ein Foto gemacht hat.

Im Visier stand vor allem marxistische Literatur

Bereits im Februar 1933 wurde in verschiedenen Organen der nationalsozialistischen Presse dazu aufgerufen, die Bücher in sämtlichen öffentlichen Bibliotheken zu sichten. Im Zuge der Reichstagswahlen Anfang März spitzte sich die Situation weiter zu und eskalierte nur wenig später auch in Leipzig. Im Visier der Aktion stand vor allem marxistische Literatur, gleichzeitig wurde gefordert, die frei werdenen Regalmeter mit Werken nationalsozialistischer Autoren zu füllen.

Walter Hofmann war seit 1913 Direktor der Städtischen Bücherhallen und erstellte eigens einen Richtlinienkatalog für das Ausfindigmachen und Beseitigen der betreffenden Werke. Unter den Schlagworten »artfremd, zersetzend, pazifistisch, liberalistisch« listete man alle Bücher, die in den folgenden Wochen eliminiert werden sollten. Bis Ende April wurden etwa 6,5 Prozent des Bestandes aussortiert – rund 7.000 Bücher.

Es ist davon auszugehen, dass auch die Studierenden des NS-Studentenbundes den Auftrag erhielten, eine Bücherverbrennung vorzubereiten.

SA besetzte Volkshaus – dort befand sich eine große Bibliothek

Bereits am 9. März besetzte die SA das Volkshaus, in dem nicht nur die Büros der Gewerkschaften untergebracht waren, sondern auch eine große Bibliothek. Sie beschlagnahmten die Bücher und verbrannten die Werke. Während einen Tag später auch landesweit Bücher brannten, blieben die gesperrten und von der SA beschlagnahmten Bände in Leipzig noch unangetastet. Vermutlich verschleppte sich die Umsetzung der eigentlichen Verbrennung auch durch das Zutun des damaligen Oberbürgermeisters Carl Friedrich Goerdeler, der bereits zuvor und auch später den Gehorsam verweigerte und die Aufforderungen der Nationalsozialisten überging. Als international anerkannte Buchstadt hatte Leipzig einen Ruf zu verlieren – bereits der Boykott jüdischer Geschäfte, zu dem die NSDAP am 1. April aufgerufen hatte, zog Sanktionen des Auslandes nach sich, man wollte keine weiteren wirtschaftlichen Einschränkungen riskieren. Schon im April war Goerdeler an den SA-Wachtposten im Brühl vorbeimarschiert, um die Geschäfte jüdischer Pelzhändler zu besuchen.

Am 2. Mai fiel die SA erneut ins Volkshaus ein, durchsuchte die Räumlichkeiten, zerstörte die Einrichtung und warf übrig gebliebene Bücher zusammen mit Schriftstücken, Unterlagen und Dokumenten in den Hof, wo sie einen Scheiterhaufen errichtete und alles verbrannte.

Jan Schenck schafft einen virtuellen Raum des Gedenkens

In der Presse erschienen nur wenige, unauffällige kurze Meldungen zu den Geschehnissen. Bis heute ist darum nicht ganz klar, ob bei beiden Plünderungen Bücher verbrannt wurden oder ob es nur beim ersten Überfall dazu kam.

Auch einige Jahre später gingen wieder Bücher in Flammen auf. Brandstifter zerstörten am 10. November 1938 die Ez-Chaim-Synagoge und damit auch die darin aufbewahrte Bibliothek der Gemeinde.

Obwohl die Buchstadt im deutschlandweiten Vergleich nur einen geringen Verlust zu beklagen hat, bleibt der Mai 1933 in Erinnerung. Nun schafft Jan Schenck mit dem von ihm initiierten Projekt einen virtuellen Raum des Gedenkens. »Für mich stellte sich die Frage: Betrachten wir die Plätze anders, wenn wir um deren Geschichte wissen?« Er packt seine Kamera ein und wirft einen letzten Blick auf den Meßplatz. Am Abend wird es eine Gesprächsrunde geben, morgen ist er schon wieder unterwegs in die nächste Stadt.

Carl Friedrich Goerdeler trat im November 1936 als Oberbürgermeister zurück, nachdem die Nationalsozialisten das Leipziger Denkmal Felix Mendelssohn Bartholdys zerstörten. Er widmete sich dem Widerstand gegen Hitler und wurde am 2. Februar 1945 in Berlin hingerichtet. Walter Hofmann wurde 1937 in den Ruhestand versetzt. 2014 benannte man die Bibliothek Südvorstadt nach ihm. Der Bibliothekar Ernst Adler, der Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet hatte, übernahm am 10. September 1945 das Amt des Direktors der Städtischen Bücherhallen. Eine Ernst-Adler-Bibliothek gibt es bis heute nicht.


Kommentieren


0 Kommentar(e)