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»Das Feuilleton ignoriert mich«

Marcus Hünnebeck aus Leipzig schreibt acht Krimis im Jahr – und ist ohne Verlag erfolgreich

  »Das Feuilleton ignoriert mich« | Marcus Hünnebeck aus Leipzig schreibt acht Krimis im Jahr – und ist ohne Verlag erfolgreich

Der Kindle-Bestseller-Autor Marcus Hünnebeck wirkt eigentlich ganz nett – wenn auf seinen Pressebildern nicht immer eine Frauenleiche im Hintergrund liegen würde. Der kreuzer traf sich mit ihm in seiner Wohnung in der Leipziger 
Innenstadt. Durch ein meterhohes Fenster werden die großzügigen Räume lichtdurchflutet, auf einem Fensterbrett steht ein Holzding in Form einer Kaffeefiltertüte, in dem Kaffeefiltertüten stecken.

kreuzer: Herr Hünnebeck, Sie wurden schon mal »versehentlich« polizeilich gesucht. Was hat es damit auf sich?Marcus Hünnebeck: Es gab Ende der neunziger Jahre in Bochum, wo ich studiert habe, eine Vergewaltigungsserie. Die Polizei hat deswegen ein Massen-
DNA-Screening gemacht, an dem ich nicht teilgenommen habe, weil in dem Bescheid stand, dass mir versichert wird, dass meine DNA-Probe anschließend vernichtet wird – aber eben nur »versichert«, nicht, dass sie tatsächlich vernichtet wird. Also habe ich mich geweigert und wurde dann von der Polizei vorgeladen. Jeder dort konnte sehen, dass ich überhaupt nicht wie der Typ auf dem Phantombild aussehe.

kreuzer: Hat Sie das zum Krimi gebracht?Hünnebeck: Nö, ich habe damals schon geschrieben. So viel wie hier in Leipzig habe ich aber noch nie geschrieben. Wir sind 2017 hergezogen, ich war aber schon 1999 das erste Mal hier bei einem Studienfreund. Es hat sich seitdem ja noch mal richtig was getan, aber ich fands schon damals richtig schön. Ich finde das ganze Umfeld hier sehr inspirierend. Ich habe letztes Jahr acht Bücher veröffentlicht, was nicht ganz so wenig ist. (lacht) Ich war alleinerziehender Vater, da musste ich mich ja auch kümmern. Was wir an der Wohnung hier wirklich sehr mögen: Wenn man den ganzen Tag so allein vorm PC sitzt, dann kann man rausgehen und ist direkt unter Menschen. Ich finde es toll, wenn dienstags und freitags Markt ist. Die Händler sind freundlich, das Angebot ist gigantisch. Da kann man gut ins Gespräch kommen. Ich habe meinen Blumenhändler, mit dem rede ich immer, und der Eierhändler ist ganz toll. Da lernt man wirklich nette Menschen kennen.

kreuzer: Wieso schreiben Sie denn dann keine kitschigen Romane?Hünnebeck: Habe ich auch schon geschrieben, aber die verkaufen sich tatsächlich nicht so gut.

kreuzer: Haben Sie literarische Vorbilder?Hünnebeck: Also, ich verehre Stephen King. Mit ihm hat meine Leseleidenschaft angefangen. Er sagt von sich, er schreibe jeden Tag mindestens zehn Seiten, außer an seinem Geburtstag und Weihnachten. Im Prinzip mache ich das genauso. Wir sind Frühaufsteher und schreiben von halb neun bis fünf, jeder in seinem Büro hier. Es geht aber auch in der Bahn oder im Urlaub, wenn ich aufs Meer schaue. Wenn es laut ist, brauche ich Kopfhörer, aber nur mit instrumentaler Musik, so dramatische Soundtracks.

kreuzer: Keine Schreibblockaden?Hünnebeck: Hatte ich noch nie. Andreas Eschbach hat mal gesagt, so was gibts gar nicht, man ist dann nur schlecht vorbereitet. Mein aktueller Roman ist gerade beim Lektor, einen habe ich jetzt fertig geplottet und angefangen zu schreiben und danach folgt der, für den ich gerade die Handlung entwerfe. Ich veröffentliche alle zwei Monate einen neuen Roman.

kreuzer: Sie haben mittlerweile über 25 Bücher geschrieben. Welche Themen mögen Ihre Leser und Leserinnen besonders?Hünnebeck: Meine Leserinnen, meist Frauen, lesen total gerne Krimis, in denen Frauen umgebracht werden. Da muss ich dann durch. Vielleicht können sich die Leserinnen da besser hineinversetzen, wenn eine Frau das Opfer ist. Kinderentführung läuft auch immer gut, weil das was Emotionales ist.

kreuzer: Was macht für Sie einen guten Krimi aus?Hünnebeck: Er muss natürlich spannend sein! Ich rätsele gern mit, wer der Mörder ist. Und die Handlung muss nachvollziehbar sein. Wenn sie das nicht ist, breche ich die Lektüre ab. Gerade eben habe ich mit einem Justizvollzugsbeamten aus Bochum telefoniert, der mir Hilfe angeboten hat für meinen übernächsten Roman. Viele Informationen bekommt man heute ja auch im Internet, aber manchmal braucht es auch Fachwissen. Meinen Hausarzt muss ich auch noch befragen.

kreuzer: Gibt es auch Sachen, über die Sie nicht schreiben?Hünnebeck: Ich würde nie über Kindesmissbrauch schreiben. Ich habe das bei »Sommers Tod« angedeutet, aber ich würde so was nie beschreiben. Und die Kinder, die in meinen Büchern entführt werden, werden am Ende auch immer befreit. Es gibt einfach Sachen, die ich mir beim Schreiben ersparen will.

kreuzer: Wie würden Sie denn zu einer Verfilmung Ihrer Bücher stehen?Hünnebeck: Super! Aber ich finde, die wären am besten auf Netflix aufgehoben. Es gibt aber bisher noch keine Pläne – ich verstehe überhaupt nicht, warum.

kreuzer: Wie finden Sie eigentlich den »Tatort«?Hünnebeck: Dortmund mag ich total gerne. Und wir wollen unbedingt noch »Murot und das Murmeltier« anschauen. Die anderen Reihen können mich nicht so überzeugen.

kreuzer: Zurück zu Ihren Büchern. Sie haben früher in einem Verlag veröffentlicht, tun dies nun aber schon eine Weile im Selfpublishing, also als Ihr eigener Chef, ohne Verlag, über E-Book-Plattformen. Warum?Hünnebeck: Na ja, im Thrillerbereich wollen Verlage mindestens 70.000 Wörter, während ich momentan bei rund 50.000 bin. Und ich hatte den Eindruck, dass Verlage glauben zu wissen, was Leser wollen, und da auch relativ strenge Vorgaben machen. In meiner Anfangszeit wurde »Verräterisches Profil« abgelehnt, weil der Mörder angeblich nicht gut genug in seiner Motivation dargestellt war. Aber die Erfahrung, die ich mache, ist die, dass zu viel Realismus in Büchern gar nicht gewünscht ist von den Lesern, zumindest von den E-Book-Lesern. Wenn wir uns als Krimi-Autoren austauschen, da haben wir den Eindruck, dass sich die Leser – die kennen ja Soko, Polizeiruf und so – Polizeiarbeit genau so vorstellen, und so muss dann der Krimi auch sein. Wenn man wirklich einen realistischen Roman aus der JVA schreiben würde, würde das für die Leser wie Science-Fiction klingen.

kreuzer: Gab es für Sie einen ausschlaggebenden Moment, ganz unabhängig von Verlagen zu arbeiten?
Hünnebeck: Ja, ich hatte ja schon vor meiner Zeit beim Lyx-Verlag vieles selbst gemacht. Aber dann kam dieses wirklich gute Angebot, auch weil Piper mich damals ebenfalls wollte und die beiden Verlage sich gegenseitig überboten haben. Aber man ist dann da völlig abhängig von Dingen, die man nicht beeinflussen kann. Lyx wollte damals den Thriller-Bereich im Verlagsprogramm aufbauen und hat mir deshalb einen wirklich guten Vertrag angeboten. Aber noch bevor mein Buch erschien, wechselte der Programmleiter, der neue hatte kein Interesse an Thrillern. Dann wurde Lyx von Lübbe aufgekauft und das Interesse an Thrillern sank noch weiter. Meine Bücher liefen nur so nebenbei. Ich habe bis 2012 in Teilzeit bei Vodafone gearbeitet und als die Personal loswerden wollten, habe ich die Abfindung genommen und mir mein Self-Publishing-Geschäft aufgebaut. Wenn heute ein Verlag auf mich zukommen würde, müsste er mir schon Werbung im Sebastian-Fitzek-mäßigen Umfang zusichern, damit ich noch mal Interesse bekäme. Alleine verdiene ich einfach mehr. Man fliegt da ja auch viel schneller raus, wenn die Zahlen mal nicht stimmen. Ich kann meine Verkaufszahlen jetzt quasi minütlich sehen.

kreuzer: Dann sagen Sie uns doch mal eine!Hünnebeck: Ja, genau, das wollte ich grad machen. (Er greift nach seinem Tablet) Also, »Muttertränen«, das seit dem 4. Februar draußen ist, hat sich bisher 18.973 Mal verkauft und es wurden damit bisher 2 Millionen Seiten gelesen. Es gibt da ja dieses Ausleihmodell. Gedruckt wird es auch, aber da muss ich woanders gucken. Da lieg ich bei 950 Exemplaren, was auch nicht schlecht ist. Und das sind die Zahlen für einen Monat. Das soll auch nicht arrogant klingen, aber ich glaube, dass viele Bestseller-Autoren nicht so viel verkaufen.

kreuzer: Sie haben ja schon von Ihrem Zweimonatsrhythmus gesprochen. Ist die Nachfrage nach zwei Monaten dann auch vorbei?Hünnebeck: Nein, sie hält sich schon ein bisschen länger. Der Vorgänger, »Die Todes-App«, der im Dezember rauskam, fällt jetzt so langsam aus den Top 100. Für mich ist ein Buch in den ersten vier Monaten neu. Das ist die Hauptverkaufszeit.

kreuzer: Kann man Ihre Bücher auch im Buchhandel kaufen?Hünnebeck: Könnte man, wenn ich den Vertrieb dafür freigeben würde. Habe ich aber nie gemacht, weil ich dann ein anderes Format wählen müsste. Ich überlege auch manchmal, ob ich die Bücher über die Plattformen Epubli oder BOD anbiete, aber ich konnte mich noch nicht dazu aufraffen, weil mich das von meinem Zweimonatsrhythmus abbringen würde. Es gibt sie also erst mal ausschließlich bei Amazon, als E-Book und Print-on-Demand aus der Druckerei hier in Leipzig. Wenn man exklusiv bei Amazon veröffentlicht, ist die Bezahlung besser. Nach einer gewissen Zeit gebe ich sie dann auch in alle anderen Plattformen. Wenn ich mich um Lesungen kümmere, bekomme ich dann aber schon mal das Feedback: Nee, Sie machen uns zu viel mit Amazon. Wir wollen Sie nicht bei uns lesen lassen.

kreuzer: Wie funktioniert das für Sie, unabhängiges Self-Publishing auf der einen und Amazon auf der anderen Seite?Hünnebeck: Für mich ist das kein Konflikt. Klar, ich bin von Amazon abhängig, von deren Prozenten und davon, dass sie weiter auf E-Books setzen. Aber die haben da schon sehr viel investiert. Und ja, es gibt für jede gelesene Seite nur 0,0027 Euro. Aber bei 2 Millionen Seiten lohnt sich das dann doch (5.400 Euro, Anm. d. Red.). Amazon bietet die Plattform für den Verkauf, die Verfügbarkeit und Sichtbarkeit der Bücher. Um alles andere kümmere ich mich selbst: Cover, Lektorat, Werbung. Das kommt noch zur Arbeitszeit dazu. Man braucht einen langen Atem als Self-Publisher. Ich wurde auf einer Podiumsdiskussion in Zürich mal nach meinem wichtigsten Marketinginstrument gefragt. Und als ich dann sagte: »Mein wichtigstes Marketinginstrument ist, mindestens vier bis fünf Bücher im Jahr zu schreiben«, hörte ich nur noch Stille im Publikum, das hauptsächlich aus Literaturstudenten bestand, die wahrscheinlich über jeden einzelnen Satz sehr lange nachdenken. Ich habe den Eindruck, jeder, der einigermaßen vernünftige Cover macht, ein einigermaßen vernünftiges Lektorat besorgt und viel schreibt, der kommt auch irgendwann hoch, zumindest in bestimmten Genres.

kreuzer: Sie haben also doch keine 40-Stunden-Woche?Hünnebeck: Haha, nee! Ich arbeite sieben Tage die Woche und die 8–17-Uhr-Schicht ist das reine Schreiben. Wenn wir dann eine Stunde spazieren gehen, setze ich mich danach noch mal an den Computer, mache Facebook oder so. 70 Prozent Schreiben, 30 Prozent Vermarkten. Aber ich find das auch nett. Es bleibt natürlich die Ungewissheit: Funktioniert das nächste Buch? Das weiß man nie. Und dann, aber da bin ich ganz gut dran, gibt es da diese Hater-Rezensionen, wo man merkt: Da hat jemand noch nie was rezensiert, sondern ein Fakeprofil angelegt, um eine 1-Stern-Bewertung abzugeben – vermutlich ein Konkurrent.kreuzer: Das passiert wirklich? Sie sind also eher von Online-Bewertungen als vom Feuilleton abhängig?Hünnebeck: Ja, auf jeden Fall. Das klassische Feuilleton nimmt mich überhaupt nicht wahr. Ich bin ja nur ein Self-Publisher.

kreuzer: Wie viel vom Verkaufspreis eines Buches kommt denn bei Ihnen an?
Hünnebeck: Also, ich fange meist mit einem Preis von 0,99 Euro für das Buch an, um eine gewisse Sichtbarkeit zu erzielen. Da verdiene ich 30 Cent pro Buch. Diese Phase endet meist nach 10 bis 12 Tagen. Danach kostet das Buch dann 2,99 Euro, wovon ich 1,70 Euro abkriege. Amazon zahlt in bestimmten Preisgrenzen 35 Prozent vom Nettoverkaufspreis, bei einem Preis zwischen 2,99 und 9,99 Euro 70 Prozent. Das ist ja auch kein Geheimnis. Ich habe mal ein Kinderbuch bei einem Verlag geschrieben, das 14 Euro im Buchhandel kostet, und da bekomme ich weniger als 50 Cent pro Buch. Ich habe 2013 damit angefangen, weil ich damals die Rechte an meinen älteren Büchern zurückbekommen hatte und also auch relativ schnell mehrere Bücher veröffentlichen konnte. Und ab 2014 lief es dann eigentlich gut, nicht so gut wie jetzt, aber schon gut. Bisher läuft es von Jahr zu Jahr besser. Was viele abschreckt, ist aber, dass man schon auch erst mal investieren muss, ins Cover, ins Lektorat, in die Werbung. Das sind schon 6.000 bis 7.000 Euro pro Buch, das meiste davon für Werbung und Lektorat. Mein Lektor sagt, ich würde ihn besser bezahlen, als viele Verlage es heute tun. Werbung mache ich direkt bei Amazon, bei Facebook und auf E-Book-Plattformen.

kreuzer: Fragen Verlage Sie noch an?Hünnebeck: Nee, nicht mehr. Ich weiß von meinem Lektor, dass man innerhalb der klassischen Verlagsbranche die Verkaufszahlen von Büchern einsehen kann. Mein Roman bei Lyx hat sich als Taschenbuch 5.000 Mal verkauft, die Fortsetzung noch weniger. Das reicht den Verlagen vermutlich nicht.

kreuzer: Aber Ihre jetzigen Verkaufszahlen kennt die Branche nicht?Hünnebeck: Nee. Die können sich das aber schon vorstellen, denk ich. Aber man kann den Erfolg eines Self-Publishers auch nicht eins zu eins in ein Verlagsprogramm setzen. Es hat das ja schon gegeben, dass Verlage Self-Publisher verpflichtet haben. Aber man muss als Verlag schon in seine Autoren reinbuttern.

kreuzer: Was würden Sie dem netten Eierverkäufer vom Markt raten, wenn er jetzt auch erfolgreicher Self-Publisher werden möchte?Hünnebeck: Erst mal schreiben. Am besten gleich drei Texte und erst dann anfangen zu veröffentlichen. Und dann alle drei Monate was Neues, gute Cover. Kindle hat sich seit den Anfängen 2011 sehr professionalisiert, es ist nicht mehr so leicht, sich durchzusetzen, wie zu Beginn.

kreuzer: Gehen Sie noch in richtige Buchläden?Hünnebeck: Ja, sehr gerne! Und dann denke ich immer: Warum liegt mein Buch hier nicht?


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