Die Stadt Leipzig und das Theater der Jungen Welt setzen bei der Frage der Nachfolge des 2020 scheidenden Intendanten Jürgen Zielinski auf eine interne Lösung: Dramaturgin Winnie Karnofka. Der kreuzer hat sie vor der Entscheidung porträtiert.
Frack, Flossen, Watschelgang: Mehr braucht es nicht für überzeugende Pinguine. Der Eisberg kommt als transparent-weiße Rollkiste daher, die grüne Glücksinsel wird mit einem Samtvorhang ausgelegt. Auf Wesentliches reduziert und bis ins Detail mit Lebendigkeit gefüllt ist dieses Stück über einen Pinguin mit Sprachfehler: Der Ginpuin würfelt Buchstaben durcheinander, findet es »schunderwöhn« auf seiner »Scheißolle«.
Die ulkigen Worte hat dem Frackvogel Winnie Karnofka in den Schnabel gelegt. Sie schrieb nach gleichnamigem Bilderbuch die »Ginpuin«-Bühnenfassung und begleitete als Dramaturgin am Leipziger Theater der Jungen Welt (TdJW) die Uraufführung. Diese wurde für den Deutschen Theaterpreis 2015 nominiert. »Crystal«, an dem Karnofka ebenfalls als Dramaturgin dabei war, heimste den Preis des Sächsischen Theatertreffens 2016 ein. Im Herbst schickte sie den Kasper im großen »Meckerwelttheater« über die Leipziger Marktplätze, um dem Volk buchstäblich aufs Maul zu schauen. Ein riskanter Umgang mit Unzufriedenheit und Populismus, der aber aufging und die Menschen wirklich miteinander ins Gespräch bracht. Zuletzt hatte das Clara-Schumann-Stück »Mädchenmonstermusik« Uraufführung, für das Karnofka den Text schrieb. Ziemlich erfolgreich gemessen daran, dass die Dramaturgie nicht unbedingt Berufsziel war.
Nach Buchhändlerlehre und Wissenschaftsbetrieb durch Zufall »von Null auf hundert« Dramaturgin
»Ich wollte nie Dramaturgin werden! Das ist totaler Zufall«, sagt Karnofka mit Überzeugung. Zwar war sie immer schon von der Bühnenkunst fasziniert, weil ihr Großvater Sänger, Regisseur und Intendant in Eisenach war. Aber wie genau ihre berufliche Zukunft mit dem Theater zu tun haben sollte, wusste sie nicht. Selbst auf die Bühne wollte sie nicht, merkte schon beim schauspielerischen Ausprobieren in Schule und einem freies Theater: »Nach der Premiere habe ich mich immer gelangweilt.«Also begann sie – nachdem sie auf Anraten der Eltern mit einer Buchhändlerlehre »etwas Vernünftiges« lernte – das Studium für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Wissenschaft zeichnete sich für sie als Weg ab, nachdem sie ihr Diplom über die Darstellung von Weiblichkeit im Kabuki-Theater schrieb. Ein Stipendium führte Karnofka nach Kyoto. Dann wartete sie entsprechend der üblichen Aneinanderreihung befristeter Stellen in der Wissenschaft auf den nächsten Posten. Und wartete. Um Geld zu verdienen, bewarb sie sich auf eine Dramaturgie-Stellenausschreibung am Deutschen Nationaltheater Weimar. Warum es nicht probieren, dachte Karnofka, die mit Dramaturgie überhaupt keine Erfahrung hatte. »Von Null auf hundert bin ich dort voll rein. Da habe ich Blut geleckt und das entwickelte sich.« So wurde Karnofka, was sie ist: Dramaturgin, arbeitete in Schauspiel und Musiktheater. »Obwohl ich manchmal damit hadere. Dann frage ich mich, wie viel Kunst steckt im Dramaturgenberuf? Reicht mir das?«
Sie will nicht nur aus dem Hintergrund heraus agieren, wo sich Dramaturgen klassischerweise sehen. Sie will Konzepte mit entwerfen, ästhetischen Fragestellungen folgen und versteht sich als stärker involvierte Produktionsdramaturgin. Natürlich muss man sich auch zurücknehmen können, »wenn man merkt, jetzt ist zweite Reihe angebracht.«
Wahlheimat TdJW: Seit 2013 dabei, geplant war ein Jahr
Nach dem Engagement wirkte sie einige Jahre als freie Musiktheaterdramaturgin – sie war Halbfinalistin des europäischen Opernregiewettbewerbs Ring-Award 2008 – und später als feste am Deutschen Theater in Göttingen. Dann hatte sie die Lust an der Aufgabe verloren, wollte sich neu orientieren. Dahinein platzte der Anruf einer Kollegin, das Leipziger TdJW suche eine Dramaturgin. Das wollte sie sich dann doch anschauen. Über den Erstkontakt sagt sie: »Ich hatte alle Vorurteile im Kopf, die viele vom Kinder- und Jugendtheater haben, wenn man vom ›richtigen‹ Theater kommt. Dann sah ich ihr Programm und dachte: wie interessant das künstlerisch ist und Hut ab, wie viel die spielen.« Ein Jahr wollte sie sich geben, nun ist sie in der sechsten Spielzeit dabei.
Im TdJW mag sie die Teamarbeit bei der Stückentwicklung. Man tastet sich gemeinsam heran. »Du rechnest damit, dass das Publikum den Willen hat, zu verstehen. Das ist im Kindertheater anders. Da denkst du beim Schreiben viel mehr darüber nach, für wenn du das machst. Was nicht heißt, dass man sinnbildlich die Rinde vom Brot schneidet, man kann und muss auch herausfordern, überfordern, aufrütteln. Wichtig ist, dass man mit dem Publikum kommunizieren will.« Hier geht es um etwas. L’art pour l’art wie an anderen Theatern ist nicht drin. »Wir überprüfen auch mehr, sind nah an der Lebensrealität der Zuschauer.« Das sei für sie das Schöne: »Bei diesem Publikum hast du keine Wahl als aus dem im Hier und Jetzt zu arbeiten.«Karnofka schätzt die Verschiedenheit der Menschen, die das TdJW anspricht, den Querschnitt der Bevölkerung. In einer Vorstellung von »Crystal« hat eine Schulklasse 14-Jähriger neben Suchtkranken in Behandlung und einer Schweizer Touristengruppe gesessen. Kinder- und Jugendtheater sei eben kein Zielgruppentheater, »sondern junges Theater für alle Generationen.«
Schließlich bringt Karnofka die schwierigste Frage, die nach der Rolle eines Dramaturgen auf den Punkt: »Begleiter, Erfinder, Künstler und ganz oft ein guter Feind. Man ist Teil eines Theaterleitungsteams und damit natürlich auch verantwortlich, ein Theater zu formen. Vielleicht bin ich ein bisschen zu sehr Regisseurin im Kopf, aber das ist okay.«
Am Dienstag gaben TdJW und die Stadt Leipzig, dass Winnie Karnofka 2020 die Intendanz vom aus Altersgründen scheidenden Jürgen Zielinski übernehmen wird.