Offensiv, interdisziplinär, feministisch – so will das Balance Club / Culture Festival sein, das unter anderem die Hamburger Produzentin Helena Hauff, die New Yorker Performerin Juliane Huxtable und die australische Klangforscherin Carla dal Forno eingeladen hat. Neben Clubnächten und Performances sollen auch Fragen diskutiert werden wie »Wie lassen sich Identitäten dekonstruieren und Normen aufbrechen?« oder »Wie können strukturelle Ungleichheiten destabilisiert werden?« Es geht ums Feiern und Tanzen, aber auch um Körper und Geschlechter. Mit-Veranstalter und IfZ-Gründer Franz Thiem erklärt im Interview, warum Clubkultur ein Privileg ist, dass man erstmal haben muss und was in Clubs genauso schief läuft wie in der Gesellschaft.
kreuzer: Inwiefern ist Clubkultur politisch und kann Debatten anstoßen?
Franz Thiem: Das zweite Balance Club / Culture Festival aktualisiert die Frage nach widerständen Potentialen zeitgenössischer Clubkultur, ihrer Protagonistinnen und Räume. Der Club war schon immer ein Ort gesellschaftlicher Innovation, ein Freiraum, sei es im Bezug auf Musik, Mode, Bewegungen und Kunst im Allgemeinen. Vieles was durch die Blaupause des Exzess- und Experimentierraum Club ermöglicht wird, findet sich nachher auch außerhalb als Trend wieder. Clubkultur ist mittlerweile auch ein Massenphänomen. Wenn wir unsere Räume bewusst gestalten, Line-ups machen, die divers und spannend sind, zusätzliche Diskursräume anbieten, eine Kultur des Caring etablieren, dann ist das nicht nur eine klare Gegenkultur zum kapitalistischen Grundkonsens, sondern wir erreichen damit viele Menschen.
Clubkultur entspringt für uns einer emanzipatorischen Subkultur. Clubkultur ist Subversion, gesellschaftlicher Gegenentwurf, das Streben nach gesellschaftspolitischen Veränderungen, die Aneignung von Räumen, die Stärkung von Communities. Clubkultur ist unserer Ansicht nach nur dann sinnvoll, wenn sie in die Gesellschaft hinein wirkt und politische Veränderungen vorantreibt. Denn, wie Produzent, Autor und Performer Terre Thaemlitz im Kontext der Verbesserung von Bedürfnissen nach Gleichberechtigung in der Kulturindustrie schreibt: „Jegliche Steigerung der Bedürfnisse wird letztlich von größeren kulturellen Veränderungen abhängen.“
kreuzer: Welche strukturellen Ungleichheiten gibt es in der Clubkultur?
Thiem: Alle strukturellen Ungleichheiten, die es außerhalb des Clubs gibt, gibt es auch im Club, bei den Acts und beim Publikum. Räume wirklich sicher zu gestalten, Zugangsbarrieren abzubauen, durch diverse Repräsentationen im Line-up einen echten Unterschied zu machen, das alles passiert nicht automatisch. Auch im Club gibt es hegemoniale Konstruktionen die dessen Kultur strukturieren und Ausschlüsse produzieren. Diese aufzubrechen ist nicht nur eine Notwendigkeit, sondern macht einfach auch Spaß. Viele der Acts die wir eingeladen haben veranstalten selbst Partyreihen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen und Räume für Queers und People of Colour kreieren. So beispielsweise Tygapaw mit ihrer queeren Reihe Fake Accent in New York oder Juliana Huxtable mit Shock Values. Wir sehen uns auch hier als Teil eines internationalen Netzwerks, welches die bestehenden Verhältnisse nicht nur kritisiert, sondern auch aktiv verändert und neue Fakten schafft.
kreuzer: Nach welchen Kriterien wurde das Line-Up zusammengestellt?
Thiem: Innerhalb der elektronischen Clubmusik gibt es aktuell eine unglaubliche Aufbruchsstimmung. Nachdem es eine lange Phase der Stagnation und der Retro-Trends gab, gibt es zur Zeit vielerorts den Willen zum Experimentieren und zur Innovation sowie der Suche nach vergessenen Traditionslinien. Das liegt unserer Meinung nach auch daran, dass es eine neue Generation an Musiker*innen gibt, die Sachen anders machen wollen als sie bisher gemacht wurden, und zwar auch, weil ihnen lange der Zugang zu den kreativen Produktionsmitteln verwehrt wurde, oder ihnen schlicht gesellschaftlich keine Aufmerksamkeit zukam. Dieser Aufbruchsstimmung wollen wir mit dem Balance Festival eine Plattform bieten, um den Blick auf das zu richten, was wir an moderner Clubmusik für relevant halten. Dabei geht es weniger darum, gewisse Genres zu bedienen, als vielmehr darum, Musiker*innen zu präsentieren, die sich kreativ an dem abarbeiten, was vielleicht mal das revolutionäre Versprechen des Clubs war, nämlich ein Ort zu sein, an dem gesellschaftlichen Rollen für kurze Zeit außer Kraft gesetzt sind und man ohne Angst verschieden sein kann. Dass dabei dann ein Programm herauskommt, das Cloud-Rap, Ambient, Rave, Neo-Pop und Techno vereint, scheint nur angemessen und wir hoffen, dass unser Publikum diesem Wurf folgt, und dabei möglichst viele neue, vielleicht auch ein paar erschütternde Erfahrungen macht.
kreuzer: Wie war das Fazit nach dem ersten Balance-Festival und was hat sich seitdem getan?
Thiem: Das erste Festival war in dem Sinne ein Erfolg, als dass es Künstlerinnen, Genres und Themen angesprochen hat, die es in der Form in Leipzig noch nicht so gab. Dennoch liegt es in der Natur der Sache, dass es noch nicht so ganz ausgereift war, vor allem was die inhaltliche Aufstellung und den Einbezug der lokalen Community anging. Seit dem hat sich das Team wesentlich vergrößert und ist kompetenzmäßig viel breiter aufgestellt, das Tagesprogramm, welches vorher eher Nebeneffekt gewesen ist, wird bei der diesjährigen Edition zum eigentlichen Höhepunkt und hat, mit über fünfzehn kostenfreien Workshops, Vorträgen und Panels, fast Konferenzcharakter. Auch ist das Festival politischer geworden. Mit allen Programmpunkten und den Fragestellungen ist es als Gesamtes ein klares Statement für Empowerment und Diversität. Dadurch, dass wir dieses Jahr auch viel eher mit der Planung beginnen konnten, ist die musikalische Programmierung wesentlich ausgereifter und deckt ein großes Spektrum elektronischer Musik ab. Besonders das Konzert am UT Connewitz am Samstag ist sehr divers und aufwendig und zeigt sehr eindrücklich, was Clubkultur aktuell zu bieten hat.
kreuzer: Sind neue Perspektiven auf Körperpolitik und Identität vonnöten? Wie sehen diese aus?
Thiem: Wir bringen beim Festival diverse schon bestehende Theorie- und Praxisansätze feministischer Perspektiven auf Körperpolitik, Identitäten, Aneignung und Empowerment zusammen - in stetiger Reflexion der These, dass Clubkultur es vermag, Räume gesellschaftlicher Gegenkultur zu schaffen. Balance versteht sich dabei einerseits als Plattform für genreübergreifende Musik abseits des Mainstream und innovative Strömungen in der Clubkultur, gleichzeitig ist Balance Teil einer emanzipatorischen und feministischen politischen Bewegung, die momentan glücklicherweise in vielen Bereichen ankommt. Insofern erfinden wir keinen Diskurs neu, sondern übertragen aus einen Diskurs aus den unterschiedlichen Disziplinen des Teams (Musik, Design, Kunst, Journalismus, Politik) auf unseren Kontext - die Clubkultur. Wir möchten dringende Fragestellungen nach feministischen Perspektiven auf Körper, prä-patriarchale Praxen, Schnittpunkte von race, gender, queerness, Technologie und Identität, die performative Umdeutung von Begriffen wie Frau, Territorium, Spektakel und Pornographie sowie die Schaffung von Empowerment durch Lust gemeinsam mit den eingeladen Künstlerinnen und Aktivistinnen des Festivals erforschen.
kreuzer: Sie haben sich auch die Clubkultur auf anderen Kontinenten angeschaut. Was ist ähnlich und was unterschiedlich zur deutschen?
Thiem: Wenn uns die Reise eines verdeutlicht hat, dann ist das, dass Clubkultur nur als politische Praxis Sinn macht, die als kulturelle Gegenbewegung agiert, Menschen empowert und Räume der Subversion schafft. Denn letztlich können auch Clubräume nur temporäre Utopien sein, die innerhalb einer Gesellschaft existieren, die eigentlich anders aussieht. Uns ist einmal mehr klar geworden, wie privilegiert wir in unseren Ressourcen und Möglichkeiten sind, kulturpolitisch aktiv und wirksam zu sein, sowie wie wertvoll eine subkulturell-emanzipatorische Szene ist.
Begonnen hat unsere Reise in San José, Costa Rica. Schon die Vorrecherche gestaltete sich schwierig: Feministische Gruppen in Costa Rica beschäftigen sich vor allem mit Femiziden, also Frauenmorden. Gruppen, die sich vor allem im Bereich Repräsentation, Raumaneignung, Empowerment oder Clubkultur betätigen, waren nur schwer zu finden. Schnell wurde uns klar: Das politische Setting ist ein anderes – die Kämpfe in einem konservativ-katholisch geprägten Land viel grundlegender. Clubkultur ist also auch ein Privileg, das man erst einmal haben muss.
Weiterhin besuchten wir Tijuana (Mexiko) und Mexiko-Stadt. In den Begegnungen und Talks die wir hatten, wurde staatliche Repression von konservativer Seite gleichermaßen thematisiert wie die geringe Sichtbarkeit von LGBTQI* Personen und der grassierende Sexismus der Gesellschaft. Fast alle subkulturellen Orte finden in kleinen Bars oder privaten Räumen statt – weder Clubkultur noch alternative Organisierungen werden durch offizielle Stellen als kulturelle Bereicherung wahrgenommen und dementsprechend auch nicht gefördert. Im Gegenteil: Läden werden geschlossen, feministische Aktivitäten als vulgär verpönt. Mit erheblichen Auswirkungen auf die Szene: Es findet kaum Vernetzung im politisch-kulturellen Sinne statt. Die meisten Räume, die existieren, sind sehr männlich geprägt und ein Bewusstsein für Gender Diversity, Diskriminierung und Hierarchien ist nur wenig verbreitet. Ein internationaler emanzipatorischer Kulturaustausch kann also nur reziprok funktionieren.
kreuzer: Gibt es ein Fazit dieser Reise?
Thiem: Während wir an den drei Stationen unserer Recherchereise für das Balance Club / Culture Festival sowohl aus journalistischer, als auch aus der Perspektive von politisch Aktiven und Kulturschaffenden, viel über Strategien der Politisierung von Clubkultur lernen konnten, bleibt unser Fazit doch mit einem bitteren Beigeschmack: Es fehlt an Ressourcen. Während es in Deutschland vielfältige Fördermöglichkeiten und Unterstützung für Projekte gibt (wie beispielsweise die tolle Unterstützung des Goethe-Instituts, das diese Recherchereise erst ermöglicht hat), fehlt es in Mexiko und Costa Rica an genau diesen Stellen. Der Wille und die Ideen, sowie in einigen Fällen auch bereits die Strukturen vor Ort sind vorhanden – doch die mangelnde Anerkennung politisch-kultureller Gegenentwürfe wie der Etablierung einer emanzipatorischen Clubkultur erschwert die Arbeit ungemein.Was es bräuchte, um die internationale Vernetzung und den Austausch zu fördern und so tatsächlich auf Augenhöhe kulturpolitisch zu agieren, sind Modelle wechselseitiger Förderungen politisch und kulturell Aktiver.
Wir als Team des Balance Club / Culture Festival sind uns diesen Hierarchien bewusst und versuchen sie so gut es geht abzubauen. Wir sind daher sehr froh darüber, dass wir dank der Förderung der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Möglichkeit haben, die Musikerin, Techfeministin und Aktivistin Constanza Piña, die in Mexiko-Stadt lebt, zum Festival einladen können. Sie wird neben einem Workshop und einem Konzert auch einen Talk darüber geben, wie Techfeministinnen in Lateinamerika Räume frei von sexistischer Gewalt schaffen – und somit ideal an den durch unsere Reise angestoßenen Austausch über politische Perspektiven auf emanzipatorische Clubkultur anknüpfen. Für die weitere kulturpolitische Arbeit bleibt es essentiell, Privilegien zu hinterfragen und aufzudecken, internationale Perspektiven zu hören, Communities zu stärken und gegenseitig voneinander zu lernen – wir hoffen, dass wir in diesem Feld noch viele weitere spannende und empowernde Perspektiven kennenlernen dürfen.