Politik muss gut beraten sein. Gerade im Wahlkampf schenken die sächsischen Parteien großen Agenturen aus In- und Ausland ihr Vertrauen. So lässt sich die CDU von demselben Büro wie die österreichische ÖVP beraten. Über die Wirkung von medien- und zielgruppenorientiertem Wahlkampf wird derweil noch gestritten.
Martin Dulig klatscht für Michael Kretschmer. Der wurde gerade vorgestellt: Fachhochschulreife, Studium, lange Bundestagsabgeordneter, dann Mandat an die AfD verloren und auf dem Platz des sächsischen Ministerpräsidenten gelandet. Kretschmer stützt sich mit beiden Armen auf das Stehpult, nickt und blickt ins Leere. Es soll ein Streitgespräch werden, die Friedrich-Ebert-Stiftung hat in die Alte Handelsbörse geladen. Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Martin Dulig steht am anderen Ende der Bühne. Der Mann mit dem Küchentisch, der Mann, der sich in die Arbeitswelten unterschiedlicher Berufe einfühlt, immer für einen Tag, alles in den sozialen Medien schön bebildert. Das Allerneueste: die GIFs, Minispots des sächsischen SPD-Chefs: Dulig reckt den Daumen, zieht die Augenbrauen hoch, lächelt. Ob er die auch selbst benutzt, fragt die Moderatorin und spätestens da hört man die leichte spöttische Note. Dulig kennt das wahrscheinlich. Denn wenn es um ihn geht, dann häufig eben um diese ungewöhnlichen Aktionen gnadenloser Selbstvermarktung, anerkennend und auch sorgenvoll. »Könnte es sein, dass Martin Dulig mit aller Kraft versucht, Zuversicht auszustrahlen, Spaß zu verbreiten – obwohl ihm manchmal überhaupt nicht danach ist?«, fragt Anne Hähnig. Für Die Zeit hat sie ihn beobachtet und weiß, Dulig ist »auch ein sensibler Mann«. Wenn es ihm was ausmacht, dass sich seine Partei nach gegenwärtigen Prognosen schon freuen darf, wenn die SPD bei der Landtagswahl ein zweistelliges Ergebnis erreichen kann, dann lässt er sich das nicht anmerken. Martin Dulig steht gerade, das Kinn leicht zur Brust gezogen, um der Sache mit tiefem Blick die Stirn zu bieten, und natürlich lächelt er sein Otto-Katalog-Smile.
Kunde ist König
Kretschmer klatscht den Begrüßungsapplaus für ihn nicht mit. Obwohl er und Dulig eigentlich Leidensgenossen sind, gelingt es ihm immer, sich als der Stärkere zu präsentieren. Dabei ist seine sächsische CDU, schaut man auf das vorausgesagte Stimmverhalten der Wählerinnen und Wähler, auch in einem miserablen Zustand. Was Dulig vor fünf Jahren begonnen hat, macht Kretschmer jetzt auch: zuhören, im Bürgergespräch überall in Sachsen redet er mit den Sachsen. Auf der Leipziger AGRA-Messe Ende April ist er sogar auf einen Traktor gestiegen. Mit 43 Jahren ist er der jüngste Spitzenkandidat, den die Partei je hatte, und er sagt du zu seinen Sachsen. Kretschmers Slogan für den Wahlkampf lautet: »Deine Meinung zählt. Für Sachsen.«
Kunde ist König also. Die CDU hat ihre Kommunikation und Wahlkampfführung unter Kretschmer professionalisiert. Übliche Marketingmethoden halten erstmals in Sachsen flächendeckend Einzug in den Wahlkampf und den politischen Dialog. Da waren die Sozialdemokraten schon immer weiter. Die SPD richtete 1998 die später legendäre »Kampa« ein. Eine Wahlkampfzentrale nach amerikanischem Vorbild mit externen Kommunikationsberatern und PR-Experten, die über Monate die Lage analysierte, Pläne schmiedete und bevorstehende Auseinandersetzungen mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl so gründlich vorbereitete wie nie zuvor eine Wahlkampfmannschaft in Deutschland. Auf Bundesebene ist das heute selbstverständlich, auf Landesebene hängt der Umfang eingekaufter Berater nicht zuletzt vom Budget der jeweiligen Partei ab. Marktforschung sagt heute, du verkaufst den Leuten nicht dein Produkt, sondern das Produkt, was die Kunden haben wollen, auf sie ganz persönlich zugeschnitten. Deshalb: »Deine Meinung zählt.«
Die CDU engagiert dasselbe Büro wie die ÖVP
Neben einer Agentur aus Görlitz hat die sächsische CDU auch das »campaigning bureau« aus Wien engagiert. Sie bewegt »Menschen, Märkte & Organisationen«, proklamiert die Agentur. Mit der Kampagne für den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz habe man »neue Maßstäbe gesetzt«. Das stimmt. In seiner Partei und im Wahlkampf gab es nur noch Sebastian Kurz. Sogar die Liste der ÖVP hieß »Liste Sebastian Kurz«. An seiner Seite stand nicht seine Partei, sondern seine »Community«, das Produkt einer cleveren Mobilisierungsstrategie, die schon Jahre zuvor begonnen hatte, um Fans vor allem über soziale Medien zu generieren und sie zu aktiven Mitstreitern zu machen. Als junger Österreicher für Sebastian Kurz zu sein, war offenbar leicht. Er inszenierte sich wie ein Influencer, jedes Bild, jedes Video – alles immer perfekt und die Community so stets dabei. Wer wollte, musste sich nur im Freiwilligenbüro oder online anmelden und alles war möglich: klassisch Wahlkampfstand, helfen beim Social-Media-Auftritt oder Essen kochen für andere Helfer. Politisch waren für Sebastian Kurz nur zwei Dinge wichtig: sich als Anführer einer Anti-Establishment-Bewegung zu inszenieren, indem er den Bruch mit dem sozialdemokratischen Koalitionspartner vollzog und auf Angriff umschaltete. Und zweitens: in den Unterbietungswettkampf mit dem jetzigen Koalitionspartner, der rechtsradikalen FPÖ, einzutreten. Vor allem auf Kosten von Migrantinnen und Geflüchteten.
Michael Kretschmer kann und will wohl kein zweiter Sebastian Kurz sein. Der jüngste Spitzenkandidat in Sachsen ist zu alt und in seiner Partei ist er zu schwach, um die Macht an sich zu reißen. Außerdem wollen dort eher andere ein Rechtsaußen-Bündnis. Dass Kretschmer und seine Partei trotzdem in Österreich nach Hilfe suchen, hat vielleicht noch mehr Gründe als nur den Erfolg des jungen Rechtskonservativen aus der ÖVP. Im Denken haben die Durchschnittssachsen mehr gemein mit den Durchschnittsösterreichern als mit Menschen in Schleswig-Holstein beispielsweise. Der Hang zum Völkischen, wenn es um Gemeinschaft geht, der Aus- und Abgrenzungswille, die Verlust- und Opfergefühle am Ende des Zweiten Weltkriegs.
Wo will Kretschmer mit diesen Einflüssen hin?
Daraus schöpfte Kurz sein Kapital. Doch was in Österreich nachtblaue Maßanzüge, putzige Lederhose, Dirndl, also die vertraute Tracht, trägt und Urlauber niemals verschrecken könnte, sieht in Sachsen ganz anders aus. Wenn das niederträchtige, hässliche, neonazistische Denken in Sachsen auf die Straße geht, dann sieht das aus wie in Plauen, Chemnitz, bestenfalls Pegida. Da seien wieder Bilder entstanden, die »schaden Sachsen«, sagt Kretschmer in der Handelsbörse. Wenn ihm das nicht gefällt, kann er das nicht wollen, wofür Kurz steht. Dennoch geht es der CDU ganz offenbar um diese Zielgruppe, sonst würde es auch keinen Sinn ergeben, Stefan Petzern, Spindoctor und »Liebesmensch« von Ex-FPÖ-Anführer Jörg Haider, einzuladen. Letztes Jahr erzählte der allen, die es wissen wollten, er berate die sächsische CDU und coache ihre Pressesprecher. Leicht übertrieben sei diese Darstellung, sagt einer dieser Pressesprecher auf Anfrage. Petzner sei einmalig als Referent geladen gewesen.
Wo Kretschmer mit diesen Einflüssen hinwill, bleibt jedenfalls unklar. Zur großen Koalition schweigt er sich aus. Doch wenn alles beim Alten bleiben soll, dann hätte er ein paar Follower und Fans in den sozialen Medien sicherlich billiger haben können. Doch sogar die sächsischen Grünen leisten sich im Landtagswahlkampf eine Kampagnen-Agentur. Wigwam aus Berlin, die sich ähnlich wie das »campaigning bureau« aus Wien auf eine bestimmte Klientel spezialisiert habe. Man will seine »Partner beim Aufbruch in eine gerechtere, ökologische Gesellschaft« begleiten, heißt es auf der Homepage. Auch Die Linke setzt auf die Berliner Hausagentur der Partei DiG Berlin, die ausschließlich politische Kommunikation und keine Werbung anbietet. Duligs SPD holt sich Unterstützung bei der Dresdner Werbeagentur Oberüber Karger (OK) und natürlich aus der Berliner Parteizentrale.
Politikwissenschaftliche Untersuchungen zur Wirkung von medien- und zielgruppenorientierter Wahlkampfforschung stehen noch am Anfang. Einige Stimmen glauben, dass die Effekte überschätzt werden. Fraglich ist auch, ob Marketingmethoden den legitimatorischen Charakter von Wahlen nicht zumindest partiell in Frage stellen, wenn Wahlkämpfe nicht Staatsbürgerinnen, sondern (un)politische Konsumenten ansprechen. So oder so, es kann nicht schlechter werden, auch wenn die Veranstaltung in der Handelsbörse schon noch ein bisschen an früher erinnert: an den unpolitischsten, themenärmsten, langweiligsten Wahlkampf vor fünf Jahren. Der Küchentisch, der damals schon da war, hat daran nichts geändert.