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Kultur

Hof-Compositeur

Beim Bachfest 2019 gibt es eine weniger bekannte Seite des Thomaskantors zu erleben

  Hof-Compositeur | Beim Bachfest 2019 gibt es eine weniger bekannte Seite des Thomaskantors zu erleben

Beim Bachfest 2019 gibt es eine weniger bekannte Seite des berühmtesten Thomaskantors zu erleben. Der Bachfest-Besucher muss mit seiner Gewohnheit brechen, Bach ausschließlich als getreuen Lutheraner, als vom Glauben durchdrungenen Kirchendiener und Kantor der Thomas- und Nikolaikirche zu sehen.

Der Intendant des Bachfestes, Michael Maul, ist begeistert von der Aussicht auf das bevorstehende Ereignis. Mit der Planung ist er aber eigentlich schon weiter. »Die Champions League der Bachinterpreten ist eben schon drei, vier Jahre im Voraus ausgebucht.« Somit war auch schon im letzten Jahr klar, dass die umstritten-verehrte Galionsfigur des Bachfestes, Sir John Eliot Gardiner, mit seinen Ensembles in diesem und wohl auch im kommenden Jahr nicht vertreten sein würde. Vielleicht hat der 76-jährige Meister seine barocke Mission erfüllt, denn gerade ist er beschäftigt mit einer Berlioz-Oper, nächstes Jahr stürzt er sich ins Beethovenjahr. Auch Gardiners Posten als Präsident des Bach-Archivs ist abgelaufen, neuer Inhaber ist seit Mitte Mai Ton Koopman, Cembalist, Dirigent und Organist gleicher Generation. Aber es gibt Vorabsprachen für 2022, sagt Maul. »Es ist toll, wenn wir ihn dabei haben, aber die Bachwelt dreht sich auch ohne Gardiner weiter.« Im vergangenen Jahr hatte man mit dem kulturellen Hochglanzprodukt »Kantatenring« in einem dreitägigen Musik-Marathon die »besten 30 geistlichen Bach-Kantaten« dargeboten und von den weltbesten Ensembles an Bachs Originalschauplätzen gespielt hören können.

Stürzt das Bachfest 2019 unter dem Titel »Hof-Compositeur« Bach nach dem glamourös-konzentrierten »Kantatenring« nun in profane Niederungen ab? Der Bachfest-Besucher muss mit seiner Gewohnheit brechen, Bach ausschließlich als getreuen Lutheraner, als vom Glauben durchdrungenen Kirchendiener und Kantor der Thomas- und Nikolaikirche zu sehen. Eher ungewohnt ist ihm die Vorstellung von einem Bach als Diener an barocken Höfen, der durchaus auch Energie in den Erwerb von Ehrentiteln investierte.

»Geistliche Arbeit ist natürlich maximal weit entfernt vom barocken Hofleben mit Pomp und Verschwendung. Aber man sollte nicht vergessen, dass Bach bereits neun Jahre Hoforganist in Weimar und sechs Jahre Kapellmeister am Köthener Hof war, bevor er Thomaskantor wurde«, sagt Michael Maul. Dass Bach eigene und Kollegen-Kompositionen im barocken Parodieverfahren recycelt und bearbeitet hat, ist bekannt. Manchmal wurde auch nur der Text verändert. Ein solcher Fall ist auch das »Jauchzet, frohlocket« aus der ersten Kantate des Weihnachtsoratoriums. Der berühmte Eingangschor wurde 1733 ursprünglich als Huldigungsmusik für die Kurfürstin komponiert und hatte mit Weihnachten nichts zu tun. Unter dem Motto »Musik an Originalschauplätzen« ist zum Bachfest ein Aufmarsch der Musiker vor dem Königshaus am Markt geplant, wo einstmals auch Kurfürst August mit seiner Frau logierte und Bach mit dem Collegium musicum unterm Fenster aufspielte.

»Natürlich waren Ehrentitel erst mal Lametta, aber ›kurfürstlich sächsischer Hof-Compositeur‹ zu sein, hieß, dass Bach nominell ein Mitglied der Hofkapelle war und dadurch unter besonderer Protektion des Kurfürsten stand. Das bedeutete, in den nicht wenigen Auseinandersetzungen mit der Leipziger Obrigkeit direkt den Kurfürsten ›anrufen‹ zu können und von ihm gehört zu werden.«

Gerade in Bezug auf die Schulpolitik der Thomasschule und die damit zusammenhängenden Auswirkungen auf die Qualität seines Chores hat Bach diese Beziehungen genutzt, erzählt Maul.

Nach dem Riesenerfolg des »Kantaten-Rings« im letzten Jahr wurde nun für 2019 ein etwas kleinerer Ring geschmiedet. »›Hof-Compositeur Bach‹ als Motto bedeutet ja nicht, dass wir auf geistliche Werke verzichten. In seiner Weimarer Zeit hat Bach Kantaten komponiert, die vielen Bach-Liebhabern besonders teuer sind. Dazu gehören ›Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen‹ oder ›Ich hatte viel Bekümmernis‹. Diese Kantaten werden am zweiten Bachfestwochenende aufgeführt.« Schaut man ins diesjährige Programmheft, gewinnt man auch den Eindruck eines Generationenwechsels. Zu den jüngeren Künstlern gehört der Artist in Residence, Kristian Bezuidenhout. Der australische Pianofortespieler, Cembalist und Pianist, Jahrgang 1979, ist ein Tastenvirtuose von seltener Lebendigkeit, der in zwei Recitals zu erleben sein wird.

Maul: »Wir streben einen Drittelmix an. Alte Recken wie Ton Koopman, Hermann Max, das Freiburger Barockorchester oder der Pianist Sir András Schiff neben Ensembles, die in den letzten zehn Jahren besonders auf sich aufmerksam gemacht haben. Darunter ist zum Beispiel ›Solomon’s Knotã‹. Die wenigen Sänger singen alles auswendig, stehen vor dem Orchester, es ergibt sich da ein anderer Kontakt zum Publikum, ähnlich wie in der Oper. Sie gehen richtig in die Affekte rein, das wird die Johannespassion im Sinne einer ›geistlichen Oper‹. Das letzte Drittel machen lokale, regionale Bach-Interpreten aus, darunter auch die Thomaner, klar.« Intendant Maul steht unter dem Druck, immer »mehr Tickets und Gäste« produzieren zu müssen. Manchmal ist es ein wenig irritierend, wenn er im Manager-Jargon über sein »Kernprodukt«, Bachs Musik an Bachs Wirkungsorten, spricht. Manches muss dabei auf der Strecke bleiben, zum Beispiel die Reihe »Reflections in Jazz« mit Konzerten in der Moritzbastei oder im Spizz.

Allerdings gibt es auf der Bach-Stage auf dem Markt natürlich Größen wie Uri Caine und auch das Michael Wollny Trio zu erleben. Ein Auto erlebt seine Bachfest-Premiere als Musikinstrument, wenn es durch den Percussionisten, Sänger und Entertainer Christian von Richthofen auf dem Marktplatz musikalisch bespielt und dabei zerlegt wird. Insgesamt wirkt das bunte Programm auf angenehme Weise normal, weniger elitär und unter Hinzunahme neuer Spielstätten wie Stadtbad und Kongresshalle auch ein wenig urbaner.


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