Sie hat in den siebziger Jahren mit Manfred Krug und Klaus Lenz gespielt, den Jazz in der DDR mitgeprägt und ist mit Veröffentlichungen von Alben und nun auch einem Buch immer noch umtriebig. Die Zeit für eine Autobiographie, Anlass dieses Gespräches auf der vergangenen Buchmesse, sei einfach reif gewesen, schließlich hat Uschi Brüning über die Vergangenheit wie die Gegenwart des Genres einiges zu sagen.
kreuzer: Wie ist Jazz damals überhaupt in die DDR gekommen?
USCHI BRÜNING: Der Jazz hat sich während des Krieges und des Wiederaufbaus zurückgezogen und dann wieder angefangen, der ist nie gestorben. Die Musiker haben weitergemacht, als sie wieder Instrumente und Anlagen hatten. Das hat nie aufgehört, so, wie das Wetter nie aufhört. Das ist auch immer da.
kreuzer: Wann war denn der Moment, als Sie sich dachten, »Das ist es, das muss ich versuchen«?
BRÜNING: Wir haben damals am Radio gehangen, hatten keinen Plattenspieler und nichts. Da bin ich durch den Gemüsegarten durch, mir hat so vieles gefallen: Ella Fitzgerald, Katarina Valente, oder die berühmte Sängerin Bärbel Bachholz, ich habe alles aufgenommen. Ich merkte aber, dass diese Jazzmusik, Ella und Mahia Jackson oder Ray Charles, mich in der Seele traf. Das konnte ich von den Schlagern nicht sagen. Die haben mich begeistert, ich habe als Konsumentin mitgesungen, aber letztlich blieb die Botschaft derer haften, die den Jazz vertreten haben, Gesangsjazz oder Soul. Dieser Art von Musik bin ich dann hinterher gerannt.
kreuzer: Gab es da keine Probleme, weil Jazz als »Musik aus dem Westen« verdächtig war?
BRÜNING: Der hatte sich so durchgesetzt, das konnte man nicht ignorieren. Vor allem auch, weil das Ausland nach den Ostmusikern verlangte. Da merkte man, da hängen ein paar Devisen dran, und auf einmal war der Jazz salonfähig. Es gab das Komitee für Unterhaltungskunst mit der Sektion Jazz, die die Musiker unterstützte. Die Freejazzer nicht, die sind ihre eigenen Wege gegangen, weil sie anders dachten und das auch nicht brauchten.
kreuzer: Konnten Sie damals vom Platten machen und Touren leben?
BRÜNING: Eigentlich ja. Vom Platten machen eher weniger, aus den bekannten Gründen. Aber ich konnte mich vom Musikerberuf gut ernähren. Ich habe verschiedenes gemacht, Freejazz im Duo mit meinem Mann, Programme mit Pop, Jazz und Schlager, und davon konnte man leben. Insgesamt ging es mir nicht schlecht.
kreuzer: Sind Sie auch durch die Ostblockländer getourt?
BRÜNING: Leider nicht. Von da kamen viele bemerkenswerte Musiker zu uns, aber der Austausch fand nicht wirklich statt. Das gab es sicher auch, aber nicht in dem Maße wie mit dem Westen.
kreuzer: Sind Sie Autodidaktin?
BRÜNING: Ich habe viel Musik gehört und einfach gesungen. Das geht ohne Studium. Die meisten, die sich auf den Weg machen, haben das auch gar nicht. Man hat etwas in sich, das gibt man preis. Das ist das Ganze, da muss man nicht fünf Jahre Tonleitern singen.
kreuzer: Es gibt zum Beispiel zurzeit vieles, was sehr faszinierend ist, aber nichts davon ist in irgendeiner Form tanzbar. Dabei ist Jazz ursprünglich Tanzmusik gewesen.
BRÜNING: Heute wird mehr Hörmusik produziert. Viele junge Bands wollen, dass sie gehört und nicht zertanzt werden. Ich kann das verstehen. Die Tanzbarkeit im Jazz lässt vielleicht zu wünschen übrig, aber sie ist für meine Begriffe nicht unbedingt nötig.
kreuzer: Dazu kommt noch, dass der Deutsche eher nur tanzt, wenn er gezwungen wird.
BRÜNING: Wir haben nicht diese Möglichkeit, uns von unseren Krämpfen zu befreien, wir können nicht loslegen, weil wir immer durch unsere deutsche Mentalität eingekesselt sind. Die steht einem gerade bei Jazz im Wege: Arbeit, Frau, Kinder, Auto, alles nach diesen Prinzipien. Wo soll denn da irgendetwas herkommen? Man muss ja erst einmal kämpfen, dass man sich das Genannte auch erhält, da sind keine großen Sprünge mehr möglich, ist meine Beobachtung.
kreuzer: Jazz behauptet ja gerne von sich, dass er auf keinen Fall etwas mit Pop zu tun hat.
BRÜNING: Es gibt natürlich die Überzeugung von Leuten, die sagen: »Wir machen die richtige Musik, und die anderen machen die falsche, die primitive Musik.« Als ich dann bei Lenz war, der sich Jazz und Rock auf die Fahne geschrieben hatte, kriegte ich Schwierigkeiten, als ich dann den ersten Schlager auf Platte brachte, »Dein Name«. Da kriegte ich es mit meiner Band und mit Lenz zu tun: Wie könne ich denn so etwas singen. Der Rest hat sich gefreut. Ich bekam einen viel größeren Publikumskreis, als ich diesen Schlager sang. Diese Unterscheidung gibt es heute noch. Nicht bei jedem – einem richtigen Jazzmusiker, einem richtigen Künstler ist das egal.
kreuzer: Haben Sie sich gegen den Widerstand der »ernsten« Jazzer durchsetzen können?
BRÜNING: Zunächst war das ja nur ein Ausflug in den Schlager, ich habe ja bei Lenz weitergesungen. Aber wenn ich Angebote bekommen habe, einen Schlager zu produzieren, habe ich es gemacht. Dazu bin ich als Sängerin ausgezogen. Man muss offen sein. Wenn man gleich sagt: »Ach, das Gedudel kann man nicht hören«, ist man natürlich am Arsch. Das macht einen verrückt.
kreuzer: Wie haben Sie den durchaus umstrittenen Freejazz empfunden?
BRÜNING: Manchmal geht es einem unheimlich auf den Nerv, manchmal ist das sehr interessant. Sie müssen sich das vorstellen wie ein Gespräch: Da weiß man vorher auch nicht, was da gesprochen wird, aber es wird gesprochen. Manchmal war es ein tolles Gespräch, manchmal passt es gar nicht zusammen. Man bietet sich blank und hat den Mut, sich im Moment seiner Schönheit und Hässlichkeit zu zeigen. Das finde ich sehr spannend.
kreuzer: Jazz hat immer etwas davon, durch eine Ausstellung zu gehen.
BRÜNING: Genau. Jazz ist eine Interpretationsfrage, die ganz bei Ihnen liegt. Das ist das Schöne, freiheitlich Gedachte. Durch feststehenden Text und Melodie kann der Hörer ja nicht anders, als zu sagen: »Schön, ich mag das oder lehne es eben ab.« Bei Jazz weiß man es nicht so genau.
Dieser Text erschien zuerst in der kreuzer-Ausgabe 06/19