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»Hierbleiben ist meine Pflicht«

Martin Neuhof gründete »No Legida« und porträtiert Menschen, die sich gegen rechts
engagieren. Ein Gespräch über fotografischen Aktivismus und Familie in Leipzig

  »Hierbleiben ist meine Pflicht« | Martin Neuhof gründete »No Legida« und porträtiert Menschen, die sich gegen rechts
engagieren. Ein Gespräch über fotografischen Aktivismus und Familie in Leipzig

In seinem Studio im Leipziger Waldstraßenviertel stapeln sich Bildbände, an der Wand hängen Polaroids seiner bisherigen »Herzkampf«-Shootings. Martin Neuhofs Büro fasst sein politisches und fotografisches Schaffen der vergangenen Jahre ziemlich gut auf 25 Quadratmetern zusammen. Bei Mate und Hiphop sprach der kreuzer mit dem Fotografen über seinen Großvater, das Aufwachsen in Leipzig und Politik.

kreuzer: Kurz vor der Stadtratswahl war bei Ihnen ziemlich viel los. Ihr Name und der Ihres Großvaters waren in den Medien und in sozialen Netzwerken omnipräsent. Was war passiert?Martin Neuhof: Es war so, dass die AfD Leipzig ein Foto, das mein Großvater im Herbst 89 gemacht hatte, für den Kommunalwahlkampf instrumentalisiert hat. Zunächst hatte ich von einem Bekannten eine Mail bekommen, dass das Foto auf deren Facebook-Seite aufgetaucht sei. Da die AfD Leipzig die Quelle nicht
genannt hatte, haben wir die Partei aufgefordert, das Foto zu löschen, was auch rasch passiert ist. Doch dann sind überall riesige Plakate mit demselben Motiv auf-
getaucht, halb Leipzig war damit zugekleistert. Um auf der sicheren Seite zu sein,
hat die AfD im Nachgang noch den Lizenzhinweis draufgeklebt. Das hat mich ziemlich mitgenommen. Nach ein paar Tagen des Überlegens habe ich beschlossen, die Sache öffentlich zu machen.

kreuzer: Wie hat Ihre Familie darauf reagiert?Neuhof: Die Nutzungsrechte wurden nach dem Tod meines Opas dem Bundesarchiv übertragen. Das kann die Bilder weiterverwenden und zur Benutzung freistellen. Da meine Oma aber Alleinerbin ist, hat sie beschlossen, wegen der Verletzung der Persönlichkeitsrechte meines Großvaters zu klagen. Mein Opa hätte die AfD niemals unterstützt, meine Oma macht das genauso wenig. Wir haben vom Landgericht Leipzig recht bekommen, dass durch die Veröffentlichung des Bildes das Persönlichkeitsrecht meines Opas verletzt wird. Das war zwar ein Erfolg. Die Plakate sind jedoch trotzdem hängen geblieben, deshalb geht die Sache nun noch weiter und wir müssen abwarten, was sich daraus entwickelt.

kreuzer: Das war nicht Ihre erste juristische Auseinandersetzung mit Leipziger Politikern …Neuhof: Das ist richtig. Für mein Projekt »Herzkampf« habe ich ein Foto von Jule Nagel vor dem »No Cops«-Schriftzug am Connewitzer Kreuz gemacht. Plötzlich bekam ich eine Nachricht von meinem Anwalt, dass die CDU Leipzig das Bild nutzt. Ich hatte mit Jule daraufhin vereinbart, dass wir mit einer Abmahnung gegen die CDU vorgehen. Das Geld daraus sollte gespendet werden. Auch meine Anwälte haben auf ihr Honorar verzichtet und den Betrag in die Spendensumme einfließen lassen. Ich bin großer Fan davon, mit unüblichen Methoden etwas Positives zu bewirken. Eine Abmahnung ist an sich schließlich nichts Gutes, aber in dem Kontext war das Ergebnis sehr schön: Man bekommt Geld von der CDU und kann es linken Projekten weitergeben.

kreuzer: Wissen Sie, unter welchen Umständen das Bild Ihres Großvaters damals entstanden ist?Neuhof: Mein Großvater war Fotograf beim ADN (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst, die Nachrichtenagentur der DDR, d. Red.), als er das Foto vom Augustusplatz im Herbst 89 gemacht hat. Er war als Fotograf ständig unterwegs und ist deshalb mehrmals umgezogen. Ich war 14, als er starb, ich konnte deswegen nie großartig mit ihm über seine Arbeit sprechen. In dem Jahr, in dem mein Großvater gestorben ist, habe ich meine erste Digitalkamera bekommen. Mit der Fotografie ist es in unserer Familie also mehr oder weniger nahtlos weitergegangen.

kreuzer: Sie sind selbst Fotograf, welche Rolle spielt Ihr Großvater für Ihre Arbeit?Neuhof: Ich habe Kindheitserinnerungen daran, wie ich mit ihm in der Dunkelkammer stehe. Ich habe Kindheitserinnerungen daran, wie ich mit meinem Großvater den Mond in der Nähe seines Gartens fotografiert habe. Das sind Erinnerungen, die ich habe, mit denen auch mein Interesse für Fotografie geweckt wurde. Das Thema war immer präsent und irgendwann hat man es sich selbst zu eigen gemacht. Nur eben auf eine andere Art. Ich habe zum Beispiel nie analog fotografiert, immer digital.

kreuzer: Wie Sind Sie selbst zur Fotografie gekommen?Neuhof: Wie gesagt, eigentlich war die Digitalkamera, die ich um 2000 geschenkt bekommen habe, der Auslöser. Ich habe damit meine ganze Jugend fotografiert. Jede Party, all meine Freunde, ich habe damals Bilder gemacht, um den Moment festzuhalten. Auf meinem Rechner liegen ab dem Jahr 2000 Ordner, in denen meine ganze Jugend gespeichert ist. Irgendwann habe ich mir eine Webseite gebaut und
die Bilder, die ich am Wochenende gemacht habe, online gestellt. Ich war sozusagen der erste Partyfotograf Leipzigs, obwohl es so was damals noch gar nicht gab (lacht). Über die Fotografie kam ich zur Grafik. Ich bin also erst einmal abgebogen und habe eine Ausbildung zum Mediengestalter gemacht. Während meiner ersten Jobs in verschiedenen Agenturen hat mich ein Fotograf angesprochen, ob ich ihm eine Webseite bauen könne. Als Bezahlung habe ich dafür eine Spiegelreflexkamera bekommen, das war 2007. Seitdem ging es richtig los. Ich habe mich immer mehr an Porträts ausprobiert, dann kamen erste Aufträge.

kreuzer: Sie haben in den vergangenen Jahren verschiedene Fotoserien von Leipzig gemacht. In einem Magazin kann man lesen: »Martin Neuhof fotografiert attraktive junge Frauen an markanten Plätzen der Stadt, um Leipzig zu porträtieren.«Neuhof: Das ist Quatsch. Häufig sieht man den Ort gar nicht, wenn ich Porträts mache. Ich fahre oft 30 bis 40 Minuten raus aus Leipzig, an Orte, an denen ich meine Ruhe habe. Viele Fotografen, die auch Frauen fotografieren, werden darauf reduziert. Als Fotograf versucht man mit Bildern Geschichten zu erzählen, das wird in so einem Kontext häufig vergessen, was ich schwierig finde. Für mich sind diese Porträts trotzdem eine Art Erholung zu den anderen Sachen, die ich mache. Wenn ich Stress mit »Herzkampf«, oder damals mit »No Legida«, hatte, holen mich solche Termine einfach gut runter. Mich ein paar Stunden kreativ austoben zu können, erdet wahnsinnig.

kreuzer: Haben Sie noch andere Projekte, um Leipzig zu porträtieren?Neuhof: Ja! 2010 hatte ich mein erstes längerfristiges Projekt mit dem Titel »101 Helden«. Ich bin damals durch die Straßen gezogen und habe Menschen gefragt, ob ich sie fotografieren darf. Das war für mich ein Projekt, um meine Ängste zu über-
winden. Eine fremde Person anzusprechen und etwas zu wollen, ist nicht so einfach. Mir hat das sehr geholfen. Das darauffolgende Projekt »Leipziger Bettgeschichten« handelte davon, Leipziger in ihrem normalen Leben in ihrem Bett zu fotografieren. Das war sehr interessant. Man konnte sehen, wie diese Personen leben, was in deren Räumen passiert.

kreuzer: Sie sind gebürtiger Leipziger, das ist vor allem im kulturellen Bereich in Leipzig eher ungewöhnlich. Sehen Sie auch eine Verpflichtung, wenn es darum geht, Leipzig abzubilden?Neuhof: Meine Verpflichtung ist erst einmal, in der aktuellen Lage hierzubleiben und nicht wegzugehen. Ich hatte letztens scherzhaft getwittert, dass ich ab September eine Wohnung in Hamburg brauche, wenn die AfD bei den Landtagswahlen in die sächsische Regierung gewählt wird. Aber nein, ich bleibe hier. Ich hatte um 2007 herum den Gedanken, als Fotograf überall arbeiten zu können. Deshalb bin ich erst einmal losgezogen, habe mehrere Monate in Australien gearbeitet. Dabei habe ich gemerkt, was mir fehlt. Leipzig ist meine Basis, hier sind meine Familie, meine Frau und meine Bekannten, hier möchte ich bleiben. Und das ziehe ich jetzt auch durch.

kreuzer: Sie sagen, Sie bleiben. Aber was haben die Ergebnisse der Europawahl mit Ihnen gemacht?Neuhof: Erst einmal habe ich mich gefreut, dass die Grünen so gut abgeschnitten haben, und habe versucht, mich damit zu beruhigen, dass wir noch drei Monate
bis zur Landtagswahl haben. Was ich jetzt sehr stark spüre, ist, wie sehr die Kommunikation untereinander zunimmt. Leute sprechen mich aktiv an, was man jetzt machen könne. Ich versuche dann Empfehlungen zu geben.

kreuzer: Wovor haben Sie Angst?Neuhof: Ich habe Angst, dass all den Menschen, die ich für »Herzkampf« fotografiere, ihre Grundlage genommen wird, Fördermittel gestrichen werden, ihre Projekte kein Geld mehr erhalten. Ich habe nach manchen Demos Angst, dass mir jemand folgt. Ich muss halt meinen Kopf ausschalten können.

kreuzer: Wir kommen im Gespräch um Ihr Schaffen immer wieder bei Politik an. Könnten Sie Ihre Arbeit von Politik trennen?Neuhof: Vor vier, fünf Jahren, also noch vor »No Legida«, hätte ich gesagt, dass ich komplett unpolitisch bin. Ich habe zwar meine Meinung, trage die aber nicht besonders nach außen. Aber seit »No Legida« ist alles verändert.

kreuzer: Wie kam es denn zu »No Legida«?Neuhof: Ich saß hier im Büro und hatte so ein Bauchgefühl, das mir gesagt hat, dass ich was machen muss. Mein erster Impuls war, ein Logo und eine Facebook-Seite zu erstellen. Innerhalb von ein paar Stunden hatte die Seite mehrere Tausend Fans. Da dachte ich: Shit, ich brauche ein Team um mich rum. Ich habe Marcel und Jürgen angerufen, es ging darum, Leute mitzuziehen. Die Zeit, die folgte, war richtig heftig. So was verändert dich.

kreuzer: Welche Ereignisse sind Ihnen in den vergangenen Jahren bei Ihrer
politischen und fotografischen Arbeit am meisten in Erinnerung geblieben?Neuhof: Was mich sehr geprägt hat, war, als wir mit »No Legida« 2015 nach Freital gefahren sind. Das war ein krasser Tag für mich. Wir sind dorthin gefahren, waren alle positiv gestimmt, standen dann vor diesem Hotel Leonardo, haben den Geflüchteten Spenden vorbeigebracht. Alle waren erst mal happy. Dann gab es noch ein Konzert von der Antilopengang, es herrschte ausgelassene Stimmung. Der erste Dämpfer war, dass man währenddessen die ganze Zeit die Narben der Leute aus dem Krieg gesehen hat. Wenn du dann 50 Meter weitergehst und einen wütenden und krakeelenden Mob hörst, der grölt: »Wir wollen euch hängen sehen!« – und das über drei Stunden hinweg, während nur ganz wenig Polizei da ist –, da wird dir anders. Als wir aus dem Ort rausgefahren sind, standen überall Leute mit Baseballschlägern. Da quält dich auch der Gedanke, dass du die Leute wieder alleine lässt. Wir waren zwar für ein paar Stunden da und das war für die Menschen dort schön, aber die leben dort. Das war ein Punkt, der mich bestärkt hat, weiterzumachen. Ich wollte dann auch fotografische Projekte finden, um mein politisches Interesse mit der Fotografie zu verbinden. Das hatte mir lange gefehlt. Mein kreativer Output war ja nicht mit »No Legida« verbunden. Bei »Herzkampf« konnte ich das zusammenbringen. Mir spiegeln viele, dass es ihnen Kraft gibt, wenn ich etwa nach Bautzen fahre und die Leute ein bisschen Aufmerksamkeit bekommen, weil ich sie fotografiere und ein kleines Interview mit denen mache. Das ist nichts Großes, aber die freuen sich und merken, dass sie nicht alleine sind.

kreuzer: Ist »Herzkampf« ein Projekt ohne Haltbarkeitsdatum?Neuhof: Bisher schon, ja. Es ist natürlich anstrengend, jede Woche etwas zu veröffentlichen. Ich muss mich zum Beispiel immer darauf verlassen, dass mir die Leute ihre Antworten rechtzeitig schicken. Bisher klappt das. Ich würde am liebsten jeden Tag jemanden vorstellen, aber ich muss ja auch noch arbeiten. In der Woche geht aktuell schon ein Tag komplett für das Projekt drauf. Aber das ist es mir wert. Gerade jetzt nach der Europawahl sagten viele Leute: »Schaut doch mal nicht auf die AfD, sondern schaut auf die Aktiven und guckt bei dem Projekt nach.« Diese Leute weiter in den Fokus vorrücken zu lassen, ist wichtig.

kreuzer: Sie sind in Leipzig aufgewachsen, Sie haben die Stadt auch in den 
frühen Neunzigern erlebt. Sehen Sie aktuell Parallelen?Neuhof: Richtig bewusst erlebt habe ich als Jugendlicher eher die späten Neunziger. Meine Eltern sind ins Umland gezogen, als ich 14 war. Das heißt, ich musste vom gutbürgerlichen Leipziger Gymnasium plötzlich aufs Dorf. Das war krass, da hattest du wirklich alles: den Gothic-Typen, den Dorfnazi, ich habe mich dann irgendwann für die Hiphop-Seite entschieden. Ich war auch als solcher erkennbar und somit gab es immer Stress mit irgendwelchen Glatzen. Auch in Leipzig habe ich später noch erlebt, wie eine Abi-Party von Hools gestürmt wurde. Da haben einfach alle ohne Grund aufs Maul bekommen. Ich hatte eine Rippenprellung, andere hatten Kieferbrüche. Das sind Erlebnisse, die man mehrfach hatte, irgendwann normalisiert sich das irgendwie. Mittlerweile ist all das nicht mehr so sichtbar. Es brodelt eher unter der Oberfläche. Hier rennt ja keiner mehr mit Glatze, Springerstiefeln und Bomberjacke rum.

kreuzer: Den Anblick kennen Sie noch von früher?Neuhof: Ja, klar. Heute gibt es das nicht mehr. Man muss halt jetzt mit den Leuten ins Gespräch kommen, um herauszufinden, wie sie ticken. Das war 2015 das große Ding: Auf einmal hat man gesehen, wer wie tickt. Dass der Nachbar möglicherweise 
ausländerfeindlich ist, hätte man vorher nicht gedacht, aber man hatte halt noch nie 
drüber gesprochen.

kreuzer: Sie haben die gesamte Entwicklung Leipzigs vom kulturellen Brachland bis zum angesagten Hot-Spot miterlebt. Hat Leipzig heute noch etwas mit der Stadt zu tun, die Sie von früher kennen?Neuhof: Prinzipiell ja. Ich bin im Norden von Leipzig aufgewachsen und habe an jeder Ecke irgendwas erlebt. Da verbinde ich natürlich etwas mit. Aber ich finde krass, wie stark sich die Stadt verändert und gewandelt hat. Die Innenstadt, in der ich als Kind spazieren war, gibt es nicht mehr. Meinen ersten Kuss hatte ich auf der Fußgängerbrücke über dem Goerdelerring. Die ist weg. Das sind Erinnerungen, die holst du dir nie wieder, das sind Orte, die einfach weg sind. Ich weiß immer nicht,
ob ich das cool oder scheiße finden soll, was hier alles entsteht. Klar, Leipzig boomt, gerade für mich als Selbstständigen ist das gut. Wenn mehr Menschen hierherkommen, bekomme ich auch mehr Aufträge. Aber die Stadt wird ja auch immer voller.

kreuzer: Verändert sich durch die Kamera der Blick auf die eigene Heimatstadt?Neuhof: Man nimmt die Veränderung sehr viel stärker wahr. Wenn ich an einem Ort stehe und mich erinnere, dort vor drei Jahren ein Foto gemacht zu haben, und jetzt sieht es komplett anders aus, ist das für mich teilweise sehr heftig. Natürlich muss man als selbstständiger Fotograf auch überlegen, welche Projekte Sinn ergeben, wo sich auch die eigene Persönlichkeit widerspiegelt. Wenn ich heute Bilder von damals angucke, sehe ich nicht nur die fotografische, sondern auch die persönliche Entwicklung, die ich gemacht habe.

kreuzer: Ihre beiden »No Legida«-Mitstreiter sind mittlerweile beide in der Stadtpolitik aktiv. Wie sieht es bei Ihnen aus?Neuhof: Ich habe lange überlegt, aber wenn ich mir dieses Kleinklein einer Partei
angucke, habe ich da keine Lust drauf. Am Ende Parteibeschlüsse mittragen zu
müssen, hinter denen ich nicht voll stehe, ist nicht meins.


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