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Stadtleben

»Einen Präzedenzfall schaffen«

Turnkurse für Kinder ab drei Jahren werden steuerlich gefördert – für jüngere Kinder gilt die Regelung nicht. Eine Leipziger Übungsleiterin will das ändern

  »Einen Präzedenzfall schaffen« | Turnkurse für Kinder ab drei Jahren werden steuerlich gefördert – für jüngere Kinder gilt die Regelung nicht. Eine Leipziger Übungsleiterin will das ändern

Karin Wönckhaus hat Erfahrung. Seit über zwanzig Jahren betreut die 55-jährige Übungsleiterin Turnkurse für Kinder zwischen 0 und 6 Jahren. Jetzt soll ein Teil ihrer Kurse im Kindersportzentrum Springmäuschen besteuert werden. Im kreuzer-Interview spricht Wönckhaus über die Begründung des Finanzamts und erklärt warum sie dagegen eine Petition gestartet hat.

kreuzer: Sie sind die Gründerin der Springmäuschen. Was verbirgt sich dahinter?Karin Wönckhaus: Die Springmäuschen sind ein Kindersportzentrum, wo kleine Mäuse ab dem vierten Lebensmonat in altersgerechten Gruppen turnen. Bis zum dritten Lebensjahr werden sie dabei von den Eltern begleitet. Mir geht es vorrangig darum, dass die Kinder in ihrer Motorik gefördert und gefordert werden. Bei den ganz Kleinen die Grobmotorik und bei den Größeren geht es dann mehr in die Feinmotorik rein. In der Woche bieten mein Team und ich rund 50 Kurse an.

kreuzer: Sportkurse für über Dreijährige sind von der Umsatzsteuer befreit, während Sportkurse für unter Dreijährige in Sachsen umsatzsteuerpflichtig sind. Mit welcher Begründung?Wönckhaus: Das ist die Aussage des Finanzamtes. Als ich mich selbstständig gemacht habe habe ich mir, nach Rücksprache mit meinem Steuerberater, ein Schreiben vom Finanzamt darüber geben lassen, wie Kindersport eingeordnet wird. Damals war die Aussage, dass Kindersport umsatzsteuerbefreit ist. Dann hatten wir im letzten Jahr eine Betriebsprüfung. Die Betriebsprüferin hat die Jahre von 2014 - 2016 geprüft und war danach der Meinung, dass alle Kurse eigentlich umsatzsteuerpflichtig gewesen wären. Mit dem Nachweis von Bildungsplänen und Zertifikaten habe ich immerhin erreicht, dass die Kurse ab drei Jahren als von der Umsatzsteuer befreit anerkannt werden. Bei den Kursen für die Null bis Zweijährigen lehnt das Finanzamt die Befreiung jedoch ab. Die Begründung lautet, dass diese Kurse nicht als Bildungsangebote, sondern als bloße Freizeitgestaltung angesehen werden.

kreuzer: Was entgegnen Sie auf diese Sichtweise?Wönckhaus: Ich bin der Meinung, dass es gerade in dem Alter sehr wichtig ist, die Grundlagen für die spätere Entwicklung zu legen. Was ich dort nicht schaffe, kriege ich im Kindergartenalter nur sehr schwer hin. Gerade das ist für mich keine Freizeitbeschäftigung. Wobei für so kleine Kinder die Unterteilung in Arbeit und Freizeit sowieso keinen Sinn ergibt. So kleine Kinder sind ja in einem ständigen Lernprozess und die Eltern lernen dabei automatisch mit.

kreuzer: Als Reaktion auf die Forderungen des Finanzamts haben sie sich mit einer Petition an den sächsischen Landtag gewandt. Was fordern Sie konkret?Wönckhaus: In meinen Augen ist das Umsatzsteuergesetz altes Denken. Da fängt Bildung erst in der Schule an. Es gibt eine Ausführungsrichtlinie die schon Tanzschulen ab drei Jahren als Orte der Bildung betrachtet. Aber alles drumherum wurde bisher nicht berücksichtigt. Parallel dazu gibt es aber eine europäische Mehrwertsteuersystemrichtlinie, die in Deutschland leider noch nicht ratifiziert wurde. Diese fasst den Bildungsbegriff viel weiter. Darauf möchte ich mit der Petition hinaus. Einen Präzedenzfall schaffen, der dafür sorgt, dass auch Kurse für unter Dreijährige von der Umsatzsteuer befreit werden können. Ganz im Sinne des europäischen Bildungsgedanken.

kreuzer: Was würde eine Umsatzsteuer auf die Kurse der unter Dreijährigen in ihrer Einrichtung bedeuten?Wönckhaus: Das wäre so, dass ich nochmal 19 Prozent auf die Kursgebühr, die bei den Kleinen 78 Euro für einen 12-Wochen-Kurs beträgt, drauflegen müsste und dann natürlich schon bei Eltern ein Nachdenken habe, ob knapp hundert Euro für einen Kinderkurs noch erträglich sind. Ich habe sehr viele Studenten, Alleinerziehende oder Eltern in der Erziehungszeit, die im Moment keinen Krippenplatz kriegen. Neunzehn Prozent nochmal obendrauf ist für diese Eltern schon eine enorme Belastung. Familien fördern ist eigentlich in aller Munde und hier passiert gerade das Gegenteil, dass der Bildungszugang für die ganz Kleinen erschwert wird. Ich habe ja davon nichts, außer mehr bürokratischen Aufwand; ich nehme nur die Steuer und reiche die dann weiter. Aber für die Eltern ist es eine zusätzliche finanzielle Belastung.

kreuzer: Wieso halten Sie die Befreiung von der Umsatzsteuer auch über Ihr Unternehmen hinaus für wichtig?Wönckhaus: Sachsen möchte ja, dass frühkindliche Bildung gefördert wird. Dazu müssen viele Angebote geschaffen werden, dass da eine Vielfältigkeit und eine Vielseitigkeit reinkommt. Mit der Umsatzsteuer werden den Leuten, die etwas aufbauen möchten, zusätzliche Barrieren in den Weg gestellt. Dabei lebt, in unserem Fall, Leipzig ja gerade davon, dass es bunt ist, dass es hier vielfältige Angebote gibt.


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