Am Mittwoch tagte der Stadtrat zum letzten Mal in der Zusammensetzung von 2014. Eine Anfrage der AfD-Fraktion zur »Zukunftsfähigkeit des Museums in der Runden Ecke« stand als Thema auf der Agenda. Offenbar erst nach der Kritik des Museumsleiters Tobias Hollitzer, die AfD vereinnahme geschichtsverfälschend die Friedliche Revolution, entdeckte die Leipziger AfD-Fraktion das Thema für sich. Dafür erntete sie fast ausschließlich Häme aus den anderen Fraktionen.
Die Anspannung an diesem letzten Sitzungstag des alten Stadtrates steigt zum ersten und letzten Mal, als um 15:55 Uhr der Tagesordnungspunkt 15.5 aufgerufen wird. Die AfD-Fraktion fordert in einer Anfrage an den Oberbürgermeister Antworten darauf, wie das Kulturamt der Stadt den »offenkundigen Missständen« im Museum in der Runden Ecke entgegenwirken wolle.
Im spätsommerlich stickigen Festsaal des Neuen Rathauses muss Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke (Linke) nun Auskunft geben. Sie lässt in ihren Ausführungen schnell durchblicken: Anscheinend sieht das Kulturamt vorerst keinerlei Handlungsbedarf, eigenständig auf tiefgreifende Änderungen der derzeitigen Verhältnisse in der Runden Ecke zu drängen, oder zumindest Fördergelder zu streichen. Jennicke spricht lediglich davon, dass es mit den Verantwortlichen des Museums »mehrere Gespräche, auch mit der Androhung von Konsequenzen« gegeben habe.
Unverändert bestehen aber weiterhin die scharf kritisierte Leitungsarbeit durch Tobias Hollitzer und die unwissenschaftliche, einseitige Darstellung des Leipziger Herbstes in der Ausstellung (der kreuzer berichtete in der Ausgabe 06/19 mit der Titelstory »Der Revolutionswächter« ausführlich).
Skadi Jennicke: »Geradezu widersinnig«
Einzig eine Überarbeitung des Museums im Rahmen der Umgestaltung des Matthäikirchhofs zum »Forum für Freiheit und Bürgerrechte« mit einer zentralen Rolle der Runden Ecke stellt Jennicke in Aussicht. Diese hätte allerdings vermutlich keinerlei Auswirkungen auf Personelles. Etwa auf die Position des Museumsleiters Tobias Hollitzer, deren Besetzung allein dem Trägerverein »Bürgerkomitee Leipzig e.V.« obliegt, wie Jennicke mehrmals betont.
Jörg Kühne (AfD) gibt sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und fragt noch einmal nach, ob die Stadt nicht überlegen könne, gemeinsam mit dem Trägerverein die Museumsleitung »wissenschaftlich, didaktisch, technisch« zu stärken. Jennicke nennt das mit Verweis auf die alleinige Verantwortung des Trägervereins für die Museumsinhalte »geradezu widersinnig«. Die Stadt sei ausschließlich für die institutionelle Förderung und Qualitätskontrolle zuständig.
Hat sich die Leipziger AfD nun auf einmal zur Anwältin der Kulturqualität im Runde-Ecke-Museum aufgeschwungen? Wohl kaum, es ist vielmehr nur wenig verwunderlich, dass die AfD-Stadtratsfraktion dieses Thema plötzlich für sich entdeckt. Schließlich hatte erst während des Kommunalwahlkampfes im Mai der Museumsleiter Tobias Hollitzer die Vereinnahmung der Friedlichen Revolution durch die Partei harsch kritisiert.
Nichts konstruktives, höchstens Kurioses
Die folgenden Minuten der Debatte bringen nicht mehr viel Konstruktives zustande, höchstens Kurioses. Frank Tornau (CDU) will vom Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) wissen, ob er nicht über den Zeitpunkt der Anfrage just nach der Kritik Hollitzers verwundert sei, da die AfD vorher noch nichts Inhaltliches zum Thema Runde Ecke beigetragen hätte. Jung freut sich über die »rhetorische Frage«, die bei ihm »ein Schmunzeln erzeugt« habe.
Jörg Kühne von der AfD fühlt sich dadurch offenbar herausgefordert und kontert: Die Mitglieder der AfD-Fraktion hätten sich immer inhaltlich mit der Friedlichen Revolution auseinandergesetzt. Und zwar »vor 89 und nach 89«. Soweit zur inhaltlichen Kompetenz.
Stadtrat selbst hat Förderung der Runden Ecke beschlossen
Katharina Krefft (Grüne) erklärt anschließend in karikierend-militaristischem Tonfall, die AfD wolle doch nur, »dass hier mal richtig ordentlich durchgegriffen wird« und erntet allgemeines Schmunzeln.
Einzig Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten) fragt noch einmal ernsthaft nach, wieso das Museum in der Runden Ecke denn überhaupt noch vom Kulturamt gefördert wird, wenn es sich seit Jahren jeglicher Verbesserungen verwehre. Jennicke erwidert, dass der Stadtrat doch selbst die Förderung des Museums zur Erarbeitung eines Entwicklungskonzepts beschlossen habe. Außerdem seien zumindest im Jahr 2014 einmal 75.000 Euro an Fördermitteln einbehalten worden, weil das Museum dieses Konzept nicht fristgerecht einreichte.
Zum Schluss der Debatte ergreift noch einmal Oberbürgermeister Burkhard Jung das Wort, der »ohne Zweifel inhaltlichen Verbesserungsbedarf« und »berechtigte Kritik« an der jetzigen Situation in der Runden Ecke einräumt. Aber auch er verweist als Zukunftsperspektive lediglich auf das geplante »Forum für Freiheit und Bürgerrechte« auf dem Matthäikirchhof. Vorher wolle er sich nicht in »Klein-Klein« verlieren.
Leipzig träumt weiter von einer angemessenen Gedenkkultur
Fraglich bleibt trotzdem, wieso dieses Thema im Stadtrat einfach der AfD überlassen wurde. Keine andere Partei ergriff vorher die Initiative, eine historisch korrekte Darstellung der Friedlichen Revolution in der Gedenkstätte vehement einzufordern. Diese vermittelt immerhin über 100.000 Besuchern jährlich den vermeintlichen Leipziger Herbst des Jahres 1989. Trotz der gravierenden Mängel wird sie in diesem Jahr mit 150.000 Euro an städtischen Fördergeldern bezuschusst.
Wenn auch die Stadt eindeutig nicht für den Inhalt der Ausstellung zuständig ist, verwundert dennoch, dass weiterhin immense Fördersummen fließen und sich große Teile des Stadtrates scheinbar nicht daran stören. Die DDR-Geschichte bietet sich an diesem Nachmittag anscheinend sowieso eher zum Witzeln als zum Debattieren an. Als einige Minuten später Tobias Wolff einstimmig zum Intendanten der Oper ab 2021 gewählt wird, kommentiert Jung: »Also das sind Ergebnisse, hundert Prozent, da hat sogar die SED von geträumt.«
Derweil träumt Leipzig vorerst weiter von einer angemessenen Gedenkkultur der Friedlichen Revolution in der Runden Ecke.