Der Leipziger Verein Wolfsträne hat es sich zum Ziel gesetzt, Kindern und Jugendlichen bei Verlusterfahrungen zu helfen und diesen Prozess in den gesellschaftlichen Fokus zu rücken.
Wenn Kinder oder Jugendliche einen Elternteil verlieren, ist das eine große Zäsur in ihrem Leben. Doch zu dem Verlust gesellt sich häufig eine Überforderung des Umfeldes. »Oft ist es so, dass Kinder ihre Eltern schützen wollen. Die glauben, wenn sie ihre Traurigkeit zeigen, dann geht gar nichts mehr. Das passiert unbewusst. Aber die Kinder sind in der Lage, ihre Trauer auf lange Zeit zu vertagen«, erzählt Katrin
Gärtner. Die 38-jährige Kinderintensivpflegerin weiß aus eigener Erfahrung, was passiert, wenn man Trauer unterdrückt. Mit 14 Jahren verlor sie ihre Mutter. »Mit 30 habe ich gemerkt, da ist irgendwas schiefgelaufen, aber da war ich dann schon in der Psychiatrie gelandet und hatte alle möglichen psychischen Erkrankungen hinter mir«, sagt sie. Im Dezember 2016 verlor ein junges Mädchen in Gärtners Umfeld seine Mutter. Mit der Absicht zu helfen machte Gärtner sich auf die Suche nach einem Verein oder einer Initiative in Leipzig, die das Mädchen und seinen Vater bei der Trauerarbeit unterstützen könnte – und fand nichts.
»In dem Moment habe ich begriffen: Das, wie das so abgelaufen ist in meiner Familie und in den ganzen Jahren danach, das geht nicht nur mir so. Das geht ganz vielen Leuten so und keiner siehts«, sagt Gärtner. Bei weiteren Recherchen fand sie einige vereinzelte Adressen von Organisationen, die sich in Deutschland auf Kindertrauer spezialisiert haben. Diese weckten in ihr den Wunsch, ein eigenes Angebot für Leipzig zu schaffen. Dazu wandte sie sich an verschiedene Anwälte in der Stadt mit der Bitte um Unterstützung. Niemand meldete sich zurück. Ein Kurs zu Vereinsgründungen und der Ratschlag eines Kinderpsychologen, zunächst als Initiative Mitglieder und Betroffene zu suchen und erst dann eine Organisation aus der Taufe zu heben, brachten schließlich den Durchbruch.
Hilfreiches Miteinander
Im März 2017 gründete Gärtner mit zwölf anderen Mitgliedern den Verein Wolfsträne, der sich speziell um trauernde Kinder und Jugendliche kümmert. Diese erhalten in Einzel- sowie Gruppenbetreuungen die Möglichkeit, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Dabei ist vor allem das Miteinander sehr hilfreich für die Hinterbliebenen, die sich nach einem Todesfall in ihrem alltäglichen Umfeld häufig isoliert finden.»Die Kinder kommen zu uns und sehen andere, denen es wie ihnen geht. Dadurch begreifen sie, dass sie nicht allein sind und das, was sie fühlen, und das, was bei ihnen gerade ist, in ihrer Situation völlig normal ist«, fasst Gärtner die Vorteile von Trauergruppen zusammen. Mindestens zwei Begleiter leiten die jeweiligen Treffen. Die Gestaltung der Zusammenkünfte variiert altersbedingt. Die Spanne der Kinder und Jugendlichen, die Wolfsträne aufsuchen, liegt zwischen 4 und 21 Jahren. »Bei den Kleineren ist das Problem, dass sie ihre Gefühle einfach nicht mit Worten ausdrücken können«, erläutert Gärtner.
Entsprechend arbeiten sie und ihr Team in den jüngeren Altersstufen oft kreativ. Über Zeichnen, Tanz, Theater und anderes bieten sie den Kindern die Möglichkeit, sich mitzuteilen. Wichtig ist dabei, dass die Elternteile in den Prozess eingebunden werden. Bei den Kleinkindern sind sie Teil der Treffen. Darüber hinaus werden zwei Kurse angeboten, in denen Erwachsene sich parallel zu ihren Kindern austauschen.
Betreuungsangebote für Betroffene sind spärlich
Auch in den Jugendgruppen gibt es kreative Aktionen und Unternehmungen. Insgesamt bestehe dort jedoch ein viel größerer Redebedarf als bei den Jüngeren, erzählt Gärtner. Mehr als 140 Trauernde nehmen inzwischen regelmäßig die Hilfe
des Vereins und seiner Betreuer in Anspruch. 120 Kilometer entfernt wohnt die Familie mit dem längsten Anfahrtsweg – die Betreuungsangebote für Betroffene sind immer noch spärlich. Für Wolfsträne ist das Wachstum gleichzeitig Bestätigung und Herausforderung. So finden die Kurse bislang noch in den Räumlichkeiten des Bestattungshauses Ananke statt. Doch eine gute Vernetzung in der Stadt und ein stetig wachsendes Team ehrenamtlicher und geschulter Mitarbeiter machen eigene Räume für den auf Sponsoren angewiesenen Verein in Zukunft unumgänglich.
Längst läuft die Suche nach einem neuen Standort. Darüber hinaus hofft Gründerin Gärtner für die nächsten Jahre auf eine stärkere Integration des Themas Tod in das Leben von Heranwachsenden. Als einen ersten Schritt dahin bieten sie und ihre Kollegen inzwischen Kurse zum Thema in Schulen, Kitas oder bei Trägern an, die anderweitig mit Kindern zu tun haben. »Oft weiß niemand, wie gehe ich mit jemandem um, der gerade einen Verlust erlitten hat. Die meisten Leute machen dann aus Angst, das Falsche zu tun, nichts. Das ist aber der größte Fehler. Trauer ist keine Krankheit, sie ist ein normaler und wichtiger Prozess«, sagt Gärtner.
Diesen Prozess in den gesellschaftlichen Fokus zu rücken und dabei den Kindern die Berührungsangst zu nehmen, aber auch, ihnen Bewältigungsstrategien an die Hand zu geben – all das gehört zu den Zielen, die sich Wolfsträne gesetzt hat.