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Kultur

Der Anspruch und die Folgen

Das Leipziger Höhlenkollektiv arbeitet mit Rap und Respekt

  Der Anspruch und die Folgen | Das Leipziger Höhlenkollektiv arbeitet mit Rap und Respekt

Künstler des Verbunds Höhlenkollektiv wollen die Gesellschaft mit Conscious Rap über Politik und Respekt zum Nachdenken anregen. Die Rapper Sayes, Brkn1 und Eismann berichten über ihre Erfahrungen in Workshops mit Jugendlichen und Senioren und erklären, was Conscious Rap eigentlich ist.

Wenn die Songs nicht schon wieder seit einem Jahr liegen würden, würden sie auch anders klingen, deutlich politischer und angepisster vermutlich«, sagt Sayes. Da ging es gerade um seine im Oktober erscheinende »Tausendsassa«-EP und die Frage, was das mit den drei anwesenden Höhlenkollektivmitgliedern (insgesamt 
bestimmt der Verbund aus einem guten Dutzend Künstlerinnen und Künstlern) macht, das Wissen um die 27 Prozent der Wahlberechtigten in Sachsen, die sich für die AfD entschieden haben.

Sayes, Brkn1 und Eisman geht es an diesem Abend im Hinterhof der Ostwache in Anger-Crottendorf wie den meisten, die nicht AfD gewählt haben: Überrascht ist niemand. Was sie von den meisten unterscheidet, ist der konkrete Ansatz, den sie schon seit Längerem in Bezug auf das Problem haben.

Es ist kaum zu übersehen: Der untere Bereich der Frontfassade der Ostwache ist den Nachmittag über bunt geworden, Jugendliche aus dem Leipziger Osten und Süden haben sie mit großformatigen Graffiti, 
sogenannten pieces, bemalt. Solche Workshops haben sie schon deutschlandweit gemacht, oftmals und gerade mit Jugendlichen, deren Einstellungen durch andere Umfelder geprägt sind als das des Höhlenkollektivs. Bei einem Workshop in Halle zum Beispiel fanden sie im Jugendzentrum einen Stoß mit Hakenkreuzzeichnungen: »Als wir die Jugendlichen gefragt haben, was sie denken, was das soll, war die erste Antwort: Hä, wie jetzt? Sind doch nur ein paar Hakis.« Sayes: »Und dann siehst du, wie es drinnen anfängt zu rattern, wenn man darüber redet, was das eigentlich heißt. Dass das nicht nur ›ein paar Hakis‹ sind.« Das ist derart simpel, dass es schon wieder wehtut zu wissen, dass das bei vielen zehn oder nur fünf Jahre später so nicht mehr funktioniert: respektvoll auf die Jugendlichen zugehen, kulturelle Angebote machen, ins Gespräch kommen. Bei den jungen Leuten starten die Denkprozesse dann von selbst – und bei älteren offenbar auch, Sayes, Brkn1 und Eisman berichten begeistert von ihrem Rapworkshop mit Senioren.

»Genau deswegen will die AfD die Kultur angreifen«, sind sie sich sicher. Man denkt an Victor Klemperer und seine Abhandlung über die Sprache der deutschen Faschisten, die »Lingua Tertii Imperii«, kurz LTI. Schon 1946 führte er klarsichtig aus, dass der Faschismus nichts mehr fürchtet als stringentes, nüchternes, logisches Nachdenken, weswegen seine sentimentalisierte bis hyperemotionalisierte Sprache das mit allen Mitteln verhindern will.

Gerade das Reflektieren über Sprache ist ein wesentliches Element des sogenannten Conscious Rap, weniger ein Genre als vielmehr eine kunstphilosophische Schule, mit der sich die Anwesenden auf Nachfrage identifizieren können. »Anteile am Faschismus haben AfD, CDU und SPD durch ihre ›Asylpakete‹, die 187 Straßenbande durch ihr Frauenbild, ich selbst durch meine privilegierte Stellung als weißer Mann in der Gesellschaft. Da kommen wir zum Conscious-Begriff: sich die Dinge bewusst machen«, sagt Sayes und interpretiert den Begriff in seiner wörtlichen Bedeutung als Anspruch.

Dazu gehört auch die »Verantwortung für das, was du sagst«, wie Eisman das nennt, sobald man auf einer Bühne zu rappen beginnt. Die drei stellen ausdrücklich klar, dass sie im Prinzip kein Problem mit Kunstfiguren auf der Bühne oder im Rap haben, der eben primär unterhalten will. Das unterscheidet sie von den ganzen verbissenen deutschen Oldschoolern, die sich in ihrer behaglich-verstaubten Blase eingerichtet haben und aus Prinzip keinen modernen Sound hören. Gerade aber, weil sie ihrem Selbstverständnis nach kulturverliebte Hiphop-Heads und keine Altachtundsechziger-Pädagogen sind, müssen sie mit den Jugendlichen über Phänomene wie Capital Bra ins Gespräch kommen, der mit Songs wie »Teuer« den Sound für die Schulhöfe liefert (Refrain: »Teuer, teuer, teuer, teuer, teuer, teuer«, irgendwas über Uhren und Autos, da capo) und damit sagenhaften Erfolg hat. Auch hier gilt, wie Sayes formuliert: »Rappen heißt auch immer zuhören«, vor einem Urteil kommen erst Gespräche – und dann die Gedanken wie von selbst.


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