Zugezogen, maskulin: Michael Feindler fand sich vom Gewinn des ersten Kupferpfennig-Wettbewerbs in Leipzig so gebauchpinselt, dass er gleich in der Stadt blieb. Im kreuzer-Interview spricht er über die Stadt und ihren Humor, politisches Engagement, demokratischen Zusammenhalt und warum Greta Thunberg das falsche Feindbild ist. Am Donnerstag tritt er mit seinem Programm »Ihr Standort wird berechnet« im Rahmen der Lachmesse auf.
kreuzer: Was ist ein »Revolutionsdichter«?MICHAEL FEINDLER: Das fragen Sie am besten denjenigen, der mich einmal so bezeichnet hat. Ich würde es so interpretieren, dass es sich dabei um jemanden handelt, der gesellschaftliche Umwälzungen ästhetisch ansprechend auf den Punkt bringt. Denn Klarheit in der Sprache ist ein erster wichtiger Schritt, bevor wir zu politischer Klarheit gelangen.
kreuzer: Kann man die Bevölkerung lyrisch zum revolutionären Subjekt verdichten?FEINDLER: Vielleicht. Aber ich finde, es ist nicht meine Aufgabe als Künstler, der Bevölkerung eine Schablone überzustülpen. Wenn ich meine Arbeit gut mache, kann ich bestenfalls eine pointierte Zustandsbeschreibung liefern. Dadurch können sich Menschen in ihrer Rolle als politische Subjekte – konkret als Teil des demokratischen Souveräns – bestärkt fühlen. Ob sie dann zu revolutionären Subjekten werden, müssen sie selbst entscheiden.
kreuzer: Ist es problematisch für einen Künstler, sich politisch zu engagieren? Sie machen das bei »Artist for Future«. Verliert man da Publikum?FEINDLER: Problematisch ist doch das Gegenteil: Wenn sich Künstler sowohl beruflich als auch privat als unpolitische Menschen bezeichnen. Die Kunstfreiheit als elementares Grundrecht einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft kommt ja nicht von ungefähr. Sie wurde über viele Jahrhunderte erkämpft. Und wir erhalten sie nur, wenn wir auch in Zukunft für sie einstehen. Eine Demokratie kann sich unpolitische Bürgerinnen und Bürger nur bis zu einem gewissen Grad leisten. Sonst schafft sie sich irgendwann selbst ab. Vor diesem Hintergrund spielt das Kalkül, ob ich durch politisches Engagement Publikum verliere, keine Rolle.
kreuzer: Die Gefahr der Selbstzensur schließen Sie aus?FEINDLER: Damit meinen Sie vermutlich, dass ich durch eine bestimmte politische Haltung meine Zielrichtung einschränke. Klar, aber meine Haltung sollten Sie nicht mit einer Ideologie verwechseln. Es sei denn, Sie sehen im Artikel 1 unseres Grundgesetzes eine Ideologie, weil ich den für nicht verhandelbar halte. Die Würde des Menschen wird in Zukunft mehr und mehr zur Disposition stehen, wenn wir keine nachhaltigen Lösungen gegen die Klimakrise auf den Weg bringen. Freiheit und Demokratie stehen dann auch hierzulande auf dem Spiel. Daher mein Engagement an der Seite von »Fridays for Future«.
kreuzer: Hatten Sie schon mal Ärger mit dem Publikum aufgrund Ihrer Haltung?FEINDLER: Ärger wäre übertrieben. Natürlich gibt es immer wieder politische Meinungsverschiedenheiten, die von Publikumsseite mal mehr, mal weniger stilvoll formuliert werden. In den meisten dieser Fälle hatte ich spannende Gespräche im Anschluss an Veranstaltungen, die für beide Seiten bereichernd waren. Was ich auf der Bühne mache, ist ja bewusst ein Beitrag zum politischen Diskurs. Dazu sollen sich die Anwesenden gerne auch selbst positionieren. Und zwar nicht zwingend im direkten Kontakt mit mir, sondern insbesondere im alltäglichen Austausch mit ihrem persönlichen Umfeld.
kreuzer: Satire soll die Mächtigen attackieren, nicht nach unten treten. Warum passiert das nicht immer? Was sagen Sie etwa zu Ausfällen von Dieter Nuhr gegen Greta Thunberg?FEINDLER: Das große Problem in unserer westlichen Gesellschaft ist, dass wir durch unsere Art zu leben und zu wirtschaften grundsätzlich mit den Mächtigen kollaborieren. Wenn ich als Kabarettist über »die Mächtigen« spreche, sollte ich der Vollständigkeit halber auch immer auf diese strukturelle Komplizenschaft hinweisen. Angriffe auf die Mächtigen sind damit automatisch auch Angriffe auf mich selbst und auf große Teile des Publikums. Das ist erst mal unangenehm. Wenn ich als Kabarettist mir und meinem Publikum eine solche Zumutung ersparen will, gelingt das nur, indem ich das Täter-Opfer-Verhältnis umdrehe und künstlich eine Machtverteilung kreiere, die keiner näheren Überprüfung standhält: Dann behaupte ich zum Beispiel, dass Greta Thunberg die mächtigste Frau der Welt ist. Und das, obwohl die Staatschefs, vor denen sie spricht, nach wie vor weit davon entfernt sind, das völkerrechtlich verbindliche Klimaabkommen von Paris umzusetzen. Das macht die Sache überhaupt noch absurder: Greta Thunberg und die »Fridays for Future«-Bewegung wollen sich mit ihren Forderungen ja nicht über die Politik der Weltgemeinschaft hinwegsetzen – sie erinnern die Weltgemeinschaft nur an deren eigenen Vertragswerke. Die wirklich Mächtigen lassen sich immer schon daran erkennen, dass sie sogar dann an der Macht bleiben, wenn sie die eigenen Versprechen ignorieren.
kreuzer: Sie sind nach Leipzig gezogen – warum?FEINDLER: Mancherorts heißt es, Leipzig sei das neue Berlin. Da schien es mir nur konsequent, aus der Hauptstadt hierher zu ziehen. Im Vergleich zu Berlin empfinde ich das Flair der Stadt entspannter. Das macht viel Lebensqualität aus.
kreuzer: Leipzig gilt als Kabarettstadt, teilen Sie die Ansicht? Ist das Publikum hier anders?FEINDLER: Um das beurteilen zu können, kenne ich das Leipziger Publikum noch nicht gut genug. Aber meiner Erfahrung nach lässt sich so etwas nicht pauschal beurteilen. Denn auch die Kabaretttheater in Leipzig sprechen mit ihrer jeweiligen Interpretation des Kunstbegriffs unterschiedliche Zielgruppen an.
kreuzer: Neben Hausschuhen und guter Laune, w as sollte das Publikum zu Ihrem Programm »Ihr Standort wird berechnet« mitbringen und was erwartet es dort?FEINDLER: Die Zuschauerinnen und Zuschauer sollten vor allem die Bereitschaft mitbringen, über sich selbst lachen zu können, sowie über das Programm hinaus nach politischen Antworten für unser demokratisches Zusammenleben zu suchen. Ansonsten dürfte das Ergebnis des Abends, der viele Fragen über den Zustand unserer Gesellschaft aufwirft, eher unbefriedigend ausfallen. Außerdem greife ich lieber mächtige Strukturen als Personen an. Die sind auch langfristig relevant.