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Kultur

Gewaltiges

Nicht nur »Hermannsschlacht« bringt das Thema Gewalt auf die Bühne

  Gewaltiges | Nicht nur »Hermannsschlacht« bringt das Thema Gewalt auf die Bühne

Derzeit ist »Hermannsschlacht« nur ein Stück unter vielen, die explizit Gewalt thematisieren. Das Theater der Jungen Welt widmete ihr »Robinson und Crusoe« und »Die Geiselnahme«. Das Neue Schauspiel zeigt gleich drei entsprechende Inszenierungen.

»Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft.« Mit den Worten Björn Höckes unterbricht Cherusker Hermann den Schlussapplaus. Thusnelda sekundiert mit weiteren faschistischen Zitaten. »Die Hermannsschlacht« soll nicht falsch verstanden werden, dieses Bemühen des Regisseurs Dušan David Pařízek macht der nachgereichte Beipackzettel deutlich. Heinrich von Kleists teutonisches Drama soll gerade nicht als nationalistisches und martialisches Propagandawerk verstanden werden.

Derzeit ist »Hermannsschlacht« nur ein Stück unter vielen, die explizit Gewalt thematisieren. Das Theater der Jungen Welt widmete ihr »Robinson und Crusoe« (kreuzer 10/2019) und »Die Geiselnahme«. Das Neue Schauspiel zeigt gleich drei entsprechende Inszenierungen.

Minimalistische Gewaltdarstellung

Janne Tellers Gedankenexperiment »Krieg« gehen die Schauspielstudenten David Leubner und Fabian Trott nach. Was wäre, wenn Europa in Flammen stünde, faschistische Regime es nicht beim Säbelrasseln belassen, sondern ihre Truppe aufs Marsfeld schicken? Frei nach Friedrich Koffka seziert »I kill Kain« (Regie: Nowka DeByl) den Brudermord, der infolge des Rauswurfs aus dem Paradies passiert. Aus welcher Eifersucht resultiert die Bluttat? Krieg zwingt den »Mann, der nicht aufhörte zu schlafen« (Buch: Aharon Appelfeld) zur Migration. Adrian Winter verkörpert den Getriebenen, dessen Flucht in den Schlaf die harte Wirklichkeit erträglicher machen soll.

Die Gewaltdarstellungen in »Hermannsschlacht« sind minimalistisch. Ein Mord wird allein durch Schmerzensschreie deutlich – und damit sogar erschütternder. Das Abmetzeln der römischen Truppen bringt ein bröckelnder Boden zum Ausdruck, der unter den roten Adlerstandarten wegbricht. Schwankend und wankelmütig erscheint auch Hermann, der eingangs Kräuterschnaps ans Publikum – sein Volk – ausreicht. Gattin Thusnelda tritt unterstützend zu ihm auf die in den Raum ragende Rampe, die hinten angehoben zur Spielfläche des Populismus wird. Denn das macht das Paar von Beginn an klar: Es geht ihm nur um sich.

Kluger Verzicht

In Monologen und langen Streitgesprächen wird Kleist rezitiert. Manchmal ist es mühsam, der gestelzten Sprache zu folgen. Viel Platz für Spiel haben die Darstellenden nicht, um die Inszenierung zu dynamisieren. Als großes Duo fallen hier Dirk Lange und Bettina Schmidt auf, die die Cheruskeranführer als egomanische Karrieristen zeichnen. Da ist keine Geste zu groß, um die eigene Bedeutung zu unterstreichen.

Der an sich kluge Verzicht auf üppige Ausstaffierung und damit auf Klischeedarstellungen, zwingt auf anderer Ebene zum Bedienen von Abziehbildern. Wird der im Anzug auftretende Hermann auf seinen Fellüberwurf angesprochen, gelingt noch das Spiel damit, ob hier ein Germanenideal des 19. Jahrhunderts zu sehen ist oder man aus dem Heute spricht. Doch solche Brüche sind zu selten.

Mit dem Singen von »Felicita« und einem Bier verschmähenden Römer greift die Regie auf plumpe Nationalvorstellungen zurück, statt sie zu hintergehen. Schwäbisch, Norddeutsch und Ruhrpottsprech erklingen auf der Bühne und bedienen die Idee einer deutschen Sprechergemeinschaft als gemeinsames Volk.

Männlichkeitswitzfiguren wie Höcke

Denn das war ja die Sonderstellung der deutschen Idee zu Kleists Zeit: Volk ohne Nation zu sein, geeint durch Sprache und Kultur. An diesem sich hartnäckig haltenden Konstrukt rüttelt der Abend nicht entschieden genug, bewegt sich weitestgehend auf dem Boden dieser Übereinkunft. Ja, so die unfreiwillige Botschaft, die Anführer sind eklige Intriganten und das Volk hat andere Leitfiguren verdient, damit es zu sich kommt und ganz Volk sein kann.

Weil die Inszenierung nicht direkt aus dem Stoff den alldeutschen Klebstoff herausklopft und als lächerlich präsentiert, erfolgt der Epilog mit Männlichkeitswitzfiguren wie Höcke. Deren Geschwurbel vom deutschen heiligen Platz in der Welt ist eine zu eindeutige Absicherung. Die dahinter liegende, weit verbreitete Vorstellung eines 2000-jährigen Abstammungsprinzips hätte man aber besser direkt aus Kleists Text herauspräparieren können. So bleiben an diesem Abend die Deutschen weiter an der Rampe stehen.


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