Nach zehn Jahren kehrt Michael Faber zurück zu seinen Wurzeln und belebt den gemeinsam mit seinem Vater gegründeten Verlag Faber & Faber neu. Im Gespräch berichtet er vom neuen Programm, seiner Rolle in der Leipziger Verlagslandschaft und einem Buch in Schuhform.
kreuzer: Was hat es mit den Schuhen in der neuen Verlagsvorschau auf sich?
FABER: Im Prinzip ist es eine Fortführung von Skurrilität und Kuriosa, die wir schon in der Vergangenheit verlegt haben. Das Thema Schuh fing mich an zu interessieren, als ich vor 20 Jahren das erste Mal zufällig, nicht vorsätzlich, in Italien in einer Schuhausstellung war. Und ich bemerkte, dass da ein völlig anderes Publikum war als bei einer Kunstausstellung oder in einem ethnologischen Museum. Das hat mich durchaus fasziniert, dass der Schuh vielleicht als Kunstform, nicht nur einfach als Textil, so eine Wertschätzung erfährt. Sowas behält sich ein Verleger in einer gewissen Weise und sagt, der Augenblick wird kommen, den Schuh mal mit dem Buch zu fusionieren.
kreuzer: Wie funktioniert der buchgewordene Schuh?
FABER: Der Damenschuh wird wie ein Buch aufgeblättert, aber die Seiten sind versteckt unter dem Fußknöchel. Bei dem Herrenschuh ist es eine andere Form. Der wird gespreizt, da wird eine Schnalle geöffnet, dort ist dann der Buchkörper drin. Bei dem Frauenschuh ist es natürlich ganz deutlich eher der Artefakt, der designte, originäre, solitäre Schuh. Und im Männerschuh erzählen wir eine Reihe von Geschichten, die entweder berühmt sind oder die auf bestimmte historische Zäsuren zurück gehen. Nicht nur das Formale hat uns interessiert, wir versuchen es durchaus mit einer Schöngeistigkeit oder Intellektualität anzugehen.
kreuzer: Wie kommt es dazu, dass wir jetzt diese Verlagsvorschau in den Händen halten? Was haben Sie in den letzten zwei Jahren gemacht?
FABER: Ich habe bestimmte Dinge erledigt, die ich lange aufgeschoben hatte. Und dann habe ich ein Mandat angenommen, von einem Investor, der wollte einen Verlag kaufen und hatte den Tipp bekommen, sich mit mir in Verbindung zu setzen, um ihn zu beraten. Knapp drei Monate war ich damit beschäftigt, diesen Investor bei seinen Aktivitäten zu unterstützen. Ich bin wieder in den Buchmarkt und die Verlagsangelegenheiten und in die Veränderung des deutschen Buchhandels eingetreten und dachte: Warum bist du eigentlich so viele Jahre der Sache untreu gewesen? Seit Ende Frühjahr 2018 arbeite ich nun an der Vorbereitung des Verlags.
kreuzer: Zur Leipziger Buchmesse waren Sie aber noch nicht dabei?
FABER: Ja, das ist natürlich für mich als Leipziger ein bisschen traurig, dass mein eigentlicher Start in Frankfurt ist. Ich hätte es mir gewünscht, in Leipzig zu starten. Ich mag ja die Stadt unheimlich, aber es hat keinen Wert, wenn man rudimentär auftritt oder mit nur wenig Inhalt. Ich wusste, dass das, was ich wollte – und es ist ja nicht wenig, eine bestimmte embryonale Phase braucht. Und das war mit der Leipziger Buchmesse 2019 nicht erreichbar.
kreuzer: Dass Sie Leipzig gerne mögen, merkt man auch Ihrer Verlagsvorschau an. Viele der Autoren und Autorinnen und Gestalter haben einen Bezug zur Stadt. War das ein Kriterium, wollten Sie das ganz bewusst zeigen?
FABER: Es gibt sicher keine Absicht, ein Regionalverlag werden zu wollen. Leipzig ist natürlich eine unglaublich tolle Plattform, sowohl vom intellektuellen Austausch wie von den Entwicklungspotenzialen. Doch was das Verlagswesen betrifft, sind wir eher eine gebeutelte Stadt. Für mich ist es damit ein deutliches Bekenntnis, die Stadt als Verlagsstadt wieder zu stärken. Die Autorin Désirée Opela lebt schon seit zweieinhalb Jahren wieder in München und hat mir ganz deutlich gesagt hat, dass die Zeit in Leipzig eine ihrer prägendsten war. Trotzdem entscheide ich mich nicht für Opela, weil sie diesen Satz gesagt hat, sondern einfach, weil sie eine gute Literatur schreibt. Und Josef Haslinger ist nicht nur als Mensch und als Schriftsteller höchst lobenswert, sondern einer, der auch Menschen verbindet. Und so ist relativ rasch auch die Idee entstanden, dass er mich mit seinen autobiografischen, miniaturhaften Erinnerungen »Child in Time« unterstützt.
kreuzer: Als ehemaliger Kulturbürgermeister haben Sie einen guten Überblick über die Leipziger Verlagslandschaft. Ist Ihre Einschätzung der Situation eine rein Negative, oder denken Sie, dass sich mit der Gründung kleinerer Verlage auch wieder eine größere Vielfalt erreichen lässt?
FABER: Das ist halb und halb. Wir haben beispielsweise mit »Hentrich und Hentrich« den Zuzug eines bedeutenden jüdischen Verlags von Berlin nach Leipzig. Mit der Übernahme von »Seemann Henschel« durch Michael Kölmel gelang die Sicherung eines sehr alten Verlages, des ältesten Kunstverlags überhaupt in Deutschland. Es gibt auch immer wieder Neugründungen durch jüngere Menschen, die sich zu so einem Entschluss durchringen und auch ein geistiges Programm mitbringen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist natürlich, dass wir hier von relativ kleinen wirtschaftlichen Einheiten sprechen. Die aber möglicher Weise doch bedeutend sind, weil wir das intellektuelle Klima verändern oder beeinflussen können. Das ist der erste Schritt in dieser Zeit, wo gerade die Intellektualität verloren geht, wo wir uns mit tumben, geschichtsklitternden, wenn nicht sogar geschichtsrevisionistischen, platten Positionen auseinandersetzen müssen. Was Verlage leisten, als Transporteure von Gedanken, Geschichten, Erzählungen, Intellektualität, ist nicht hoch genug zu bewerten. Und wenn das bestimmte junge Leute machen wollen, dann kann man sie nur ermutigen. Ich bin ja auch nicht alt, jedenfalls nicht in Gedanken, und traue mir das auch zu. Allerdings, man braucht ein paar Groschen Geld.
kreuzer: Ist das Neustarten des Verlags für Sie eher ein Genießen neuer Freiheiten oder ein Replay?
FABER: Es ist eine große geistige Freiheit, die man in einem Verlag genießt. Insbesondere, wenn man kein angestellter Verleger ist, sondern der Hauptgesellschafter. Aber sie hat natürlich einen hohen Preis, diese große Freiheit, eine enorme wirtschaftliche Verantwortung. Das mag, gespiegelt an den Zahlen, keine riesige Summe sein, aber es ist für die Gesamtheit natürlich eine Belastung. Aber der Lebensgedanke, der da drunter liegt, also in gewisser Weise ein Brückenbauer sein zu dürfen, zwischen den Kreativen, die die Welt vielleicht anders denken oder anders erzählen, und denen, die vielleicht ratlos, planlos aber lebenslustig und lebensbetont in dieser Gesellschaft leben und auf Geschichten in einer gewissen Weise angewiesen sind, das ist natürlich etwas ganz Wunderbares. Da kann ich mir keinen besseren Beruf vorstellen. Insofern ist es kein Replay im Sinne von »war doch mal schön, wird wieder schön«, sondern es ist mit einer neuen, angereicherten Lebenserfahrung ein Neustart.
kreuzer: Hat Ihnen die Arbeit in der Politik einen neuen Zugang zum Verlagswesen beschert?
FABER: Ganz deutlich, ja. Ich bin ein anderer Verleger als damals. Aber gut, ich bin auch zehn Jahre älter. In der Kommunalpolitik tätig gewesen zu sein, in all ihren Verästelungen, bringt natürlich schon Erfahrungswerte, die mich sehr stark gemacht haben. Die mir auch einen anderen Gesellschaftseinblick ermöglicht haben. Ich konnte mich nochmal neu sozialisieren. Ich hatte eher eine intellektuelle Laufbahn bis dahin. Plötzlich kriegte ich eine Erdung über andere Gesellschaftsprozesse, das kann ich heute alles mitbedenken. Das ist für mich ein struktureller geistiger Vorteil. Ich gebe auch offen zu, dass mir die ein oder andere Tür offener steht, also aufgrund des Namens, den man sich vielleicht gemacht hat in der Vergangenheit. Es ist nur wichtig, dass man es auch zu nutzen weiß. Ich hoffe, mir gelingt das. Das weiß man ja auch nie so genau. Man reflektiert sich zwar gelegentlich, aber man ist sein schlechtester Kritiker. Das müssen möglicherweise andere beurteilen. Der Zuspruch, den ich von der Künstler- und Autorenseite wie eben auch von der Buchhändler- und Medienseite erfahre, freut mich schon sehr. Ich glaube, der Funke ist übergesprungen, aber ich muss aus den Funken dann auch ein kleines Feuerchen machen und das Licht am Leuchten halten.
kreuzer: Ihr Vater Elmar Faber hatte »Horns Ende« ohne Zustimmung des Staates veröffentlicht und wurde als »meinungsstarker Teilnehmer am gesellschaftlichen Diskurs« bezeichnet. Haben Sie konkrete Pläne, mit dem Verlag Einfluss zu nehmen am gesellschaftlichen Diskurs oder ist das sorgfältig ausgesuchte Buch an sich schon eine Art Widerstand?
FABER: Es gibt keine Didaktik. Man ist zwar beseelt von einem, sagen wir mal, aufklärerischen Gedanken und kennt auch die Historie. Aber du kannst dir das nicht programmatisch aufdrücken als großer Erzieher oder Erklärer. Da würde man sich heute in einer gewissen Weise lächerlich machen. Entscheidend ist eigentlich, dass wir die Pluralität unserer Gedankenwelt wieder betonen. Das heißt, nicht auszugrenzen, sondern zu assimilieren oder Symbiosen zu bilden. Auch der komplizierte oder intellektuelle oder faustische Ansatz spielt den einfachen Gedanken nicht vom Brett, sondern muss ihn achtsam behandeln. Jedes gute literarische Werk hat de facto die Kraft, den intellektuellen Diskurs mit zu beeinflussen. Ob er uns an die Seele rührt, oder ob er tatsächlich unsere geistige Widerständigkeit löckt, das weiß man nicht so genau am Anfang. Am Ende entscheidet es der Leser.