Leipzigs einziger Baseball-Klub und das Sportamt streiten um die Frage, wie offiziell der angebliche »Spitzname« des Sportplatzes im Norden der Stadt tatsächlich ist. Dem Klub droht deswegen, dass er seinen größten Unterstützer verliert.
Eigentlich wollten die Wallbreakers, Leipzigs einziger Baseball-Klub, an diesem Dienstag im Oktober trainieren. Doch es ist regnerisch. »Baseball ist ein Schönwettersport«, sagt Martin Schmid entschuldigend. Sobald ein paar Regentropfen fallen, kann der aus zwei Lederstücken bestehende Ball mit dem Korkkern nicht mehr so scharf, zielgenau und trickreich wie nötig geworfen werden. Also fällt das Training aus und während auf dem nahe gelegenen Bahndamm ein ICE vorbeirauscht, nimmt Schmid allein Platz auf dem Dugout, den Auswechselbänken. Wie sämtliche Spielpositionen, Aktionen und Spielfeldzonen tragen im Baseball auch die Spielerbänke die ursprünglichen Bezeichnungen aus dem amerikanischen Englisch. Das Spielfeld wird wegen seiner Form Diamond genannt, dazu gehören die vier Bases und der Pitchers Mount, jener Hügel, von dem aus der Werfer den Ball ins Spiel bringt. Nur der Bauwagen, der hier bei den Wallbreakers zentral zwischen den beiden Dugouts steht und als Vereinsheim dient, heißt einfach Bauwagen.
Martin Schmid ist seit vielen Jahren Spieler und seit April Präsident der Wallbreakers. Wenn er berichtet, wie er einst mit Baseball begann, schwingt da romantische Faszination mit, den dieser Sport ausstrahlen kann. Weil er zufällig gesalzene Sonnenblumenkerne kaute, so wie das auch viele Baseballer zur Konzentration tun, berichtete dem damals 17-Jährigen ein Freund vom Reiz des US-Sports. »Die Sonne steht schon tief, du stehst am Schlag, spuckst deine Sonnenblumenkerne aus und wartest auf den letzten Pitch. Du triffst den Ball optimal und er fliegt und fliegt und fliegt«, rekapituliert Schmid. In dem Moment war es um ihn geschehen. »So kam ich zum Baseball«, berichtet er. Das war 2006. Seither hat ihn die Leidenschaft zum Sport mit dem Lederhandschuh nicht mehr losgelassen.
An Spieltagen, an denen stets zwei Partien stattfinden, sind die Männer in Knickerbockers locker zwölf Stunden auf der Anlage. Zeitbegrenzungen gibt es im Baseball nicht; dass ein Match drei, vier Stunden dauert, ist nicht unüblich. Baseballer brauchen viel Gleichmut, ehe sie dann auf den Punkt genau konzentriert sein müssen.
Die US-Profiliga Major League Baseball (MLB) gehört mit mehr als neun Milliarden Euro Jahresumsatz zu den finanzkräftigsten Ligen der Welt. Zum Vergleich: Die Fußball-Bundesliga setzte 2017/18 3,8 Milliarden Euro um. In Deutschland ist Baseball absolute Randsportart. Lediglich 18.000 Menschen betreiben aktiv Baseball; 4.000 weitere spielen Softball, die Variante für Freizeitspieler und Frauen. Durch den gebürtigen Berliner Max Kepler, der seit 2015 als einziger Deutscher in der MLB spielt und dort als Profi gerade einen neuen, mit 35 Millionen Dollar dotierten Vertrag bis 2023 unterschrieb, erhofft sich der Verband auch hierzulande eine Steigerung der Mitgliedszahlen. »In Deutschland gibt es keine Mannschaften, die Baseball professionell betreiben«, sagt Philipp Würfel, Spielbetriebsleiter beim Deutschen Base- und Softballverband. Lediglich sieben Erstligisten könnten den Leistungssport zumindest unter semiprofessionellen Bedingungen ausüben.
Die Wallbreakers müssen mit einem Saisonetat von etwa 8.000 Euro auskommen, allein 2.000 Euro kosten die Bälle pro Spielzeit. Reisekosten, unter anderem nach Braunschweig und Hannover, müssen die Spieler zur Hälfte selbst tragen. Die Leipziger waren bisher das einzige ostdeutsche Team aus den zwei Bundesligen und den sieben zweiten Ligen – Berlin einmal ausgenommen. Doch das ist vorerst vorbei. Neben Personalmangel spielte auch die finanzielle Ungewissheit eine Rolle bei der Entscheidung, dass sich die Wallbreakers in der kommenden Saison nicht mehr für die 2. Liga gemeldet haben, sondern eine Klasse tiefer in der Mitteldeutschen Liga antreten werden.
Dass der Osten Baseball-Diaspora ist, hängt vor allem damit zusammen, dass der Ende des 19. Jahrhunderts in den USA populär gewordene Sport nach dem Zweiten Weltkrieg von den US-Truppen
nur in die amerikanisch besetzten Zonen importiert wurde. In der DDR spielte Baseball kaum eine Rolle. Einzig die kubanischen Vertragsarbeiter und -studenten brachten die Begeisterung für ihren Nationalsport mit nach Ostdeutschland. 1992 endlich gründeten Leipziger den Klub mit dem nach dem Mauerfall passenden
Namen Wallbreakers.
Nach den Anfängen in Grünau und auf der Festwiese wurde dem Klub 2004 das brachliegende Gelände an der Dortmunder Straße von der Stadt zur Pacht angeboten. Mit viel Enthusiasmus und unzähligen Stunden Eigenleistung bauten die Vereinsmitglieder – aktuell sind es 105 – die verwilderten Fußballplätze zu je einem Baseball- und einem Softballfeld um, das auch für den Zweitliga-Betrieb zugelassen ist. Gut 100.000 Euro stellten Stadt und Landessportbund insgesamt zur Verfügung.Doch das Verhältnis zwischen Stadt und Klub ist derzeit höchst angespannt. Der Grund: Am 27. April fiel dem Amt für Sport in einem Beitrag im Lokalfernsehen ein etwa 30 Meter langes Banner mit dem Aufdruck »Gierke-Cigarren-Ballpark« auf. So nennen die Wallbreakers ihren Sportplatz seit 2017, »als Spitzname«, sagt Schmid. Der Klub wollte sich damit bei seinem größten Förderer Stephan Gierke bedanken, der Tabakwaren und Rum aus Kuba vertreibt. Der Hauptsponsor hatte sich einst auf Kuba in Baseball verliebt und versorgt die klammen Wallbreakers seit 2013 mal mit Autos für die Fahrt zu den Spielen, mal stopft er offene Baurechnungen. Zuletzt zahlte er wegen einer Fehlplanung beim Wasserrohr-Bau entstandene Zusatzkosten von 2.500 Euro. Doch nun droht dem Klub, dass er seinen größten von insgesamt nur einer Handvoll Unterstützern verliert. Denn die Stadt erkennt nicht an, dass es sich lediglich um einen Spitznamen handelt. »Durch den Pächter wurde die Bezeichnung Gierke-Cigarren-Ballpark auf der Internetseite und Social-Media-Kanälen des Vereins veröffentlicht und das Straßenschild Stephan-Gierke-Weg angebracht«, sagt der amtierende Amtsleiter Frank Dannhauer auf kreuzer-Anfrage. Zudem sei die Tabakwerbung auch ein Verstoß gegen das Tabakerzeugnisgesetz. Die Stadt forderte Martin Schmid und seine Mitstreiter mit Verweis auf den eigentlichen Namen »Sportplatzanlage Dortmunder Straße« auf, das Banner »zurückzubauen beziehungsweise entsprechend anzupassen, dass nur noch der Sponsorenname selbst darauf zu lesen ist«. In dem Brief, der dem kreuzer vorliegt, schreibt eine Sachbearbeiterin weiter: »Wir möchten keinen Präzedenzfall für andere unserer verpachteten Sportplatzanlagen schaffen, bei denen ähnliche, wenn auch nur inoffizielle Namensrechte gegenüber Sponsoren eingeräumt werden.«
Schmid & Co. hängten daraufhin ein weiteres Banner mit dem Aufdruck »Zensiert« auf. »Gierke-Cigarren-Zensiert« steht nun großflächig auf der Anlage, was bei einer Kontrolle durch das Amt für neuen
Ärger sorgte. Laut Schmid soll mündlich damit gedroht worden sein, dass die Wallbreakers mit dieser Provokation den Fortbestand des Pachtvertrags gefährden. Dazu sagt Dannhauer: »Eine vorzeitige Kündigung des Pachtvertrages wurde nicht angedroht.« Doch das Verhältnis ist zerrüttet. Die Wallbreakers verstehen nicht, warum man sie in ihrer Kreativität einschränkt, einen der wenigen Geldgeber vergrault und das ehrenamtliche Engagement der Akteure bremst. Die Stadt pocht auf ihre Hoheit als Pächter und lässt sich nicht auf Kompromisse ein, wie den Namen in Anführungszeichen zu setzen.
Nachdem in der Sache nun monatelang Funkstille herrschte, sollen sich beide Parteien durch Vermittlung des Grünen-Stadtrates Martin Biederstedt, den Schmid um Hilfe gebeten hat, wieder annähern. Er will Kommunikation herstellen – zunächst, indem ein Schild mit dem korrekten Namen des Platzes an der Einfahrt installiert wird. Das hatte Schmid angeregt und darüber besteht Einigkeit. Denn bislang ist die Anlage überhaupt nicht beschildert und nur für Eingeweihte zu finden. Biederstedt hat sich eingehend mit allen Parteien unterhalten und sagt: »Aus der Leidenschaft für ihren Sport heraus sind die Wallbreakers hier über das Ziel hinaus geschossen.« Die Stadt dürfe sich hinsichtlich der Namensrechte ihrer Anlagen nicht das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen. Eine Umbenennung müsse in der Ratsversammlung beantragt werden. Biederstedt betont, dass die Stadt ihm zugesichert habe, dass dem Verein aufgrund des Disputs keine Nachteile entstehen. »Es ist viel Aufklärungsarbeit notwendig, dass solche Blüten künftig gar nicht erst entstehen«, sagt er.
Interims-Amtsleiter Dannhauer kündigte dem kreuzer an, die Anlage nach 15 Jahren endlich zu beschildern und die Gespräche mit dem Klub »zeitnah« wieder aufzunehmen. Stadtrat Biederstedt will vermitteln, so dass der Verein seinen größten Gönner nicht verliert. Vielleicht hilft in der Sache etwas Baseball-typische Gelassenheit: »Manchmal gewinnst du, manchmal verlierst du, manchmal regnet es.«