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Von Fans und Kunden

Kolumne: Eine Saison mit Rasenballsport Leipzig

  Von Fans und Kunden | Kolumne: Eine Saison mit Rasenballsport Leipzig

Im vierten Teil ihrer Kolumne beschäftigt sich das Blogkollektiv Zwangsbeglückt mit der Frage, was es heißt, Fan von Red Bull Leipzig zu sein.

Trotz Auswärtssieg von RB Leipzig bei Hertha BSC herrschte zuletzt schlechte Stimmung im Gästeblock. Unter den 5000 mitgereisten Fans war es schon bei der Anreise und aufgrund von nach dem Anpfiff weiter verwendeten Schwenkfahnen, die den Blick auf das Spielfeld zeitweise einschränkten, zu Handgreiflichkeiten gekommen. Nach Abpfiff nutzte dann einer der Anstimmer die Gelegenheit und kritisierte den herbeizitierten Timo Werner stellvertretend dafür, dass sich die Mannschaft zu wenig in Fanbelange, wie Feiern, einbringe. Beim großen Rest in der Kurve, die eigentlich dem Team huldigen wollte, löste dieses Vorgehen die nächste Irritation aus. Die ratlos wartende Sieger-Mannschaft drehte nach zwei Minuten fröstelnd ab und zog sich in die Katakomben zurück. Dass solche Konflikte ausgerechnet bei der bisherigen Auswärts-Rekordkulisse in der laufenden Saison (davor durchschnittlich 1000 Fans) zu Tage treten, ist keine Überraschung. Denn ein engagierter RB Leipzig-Fan zu sein, ist kompliziert.

Es gibt sie

Zunächst zur Begriffsklärung: Ja, es gibt »echte« RB Leipzig-Fans. Das Schöne am Fan-Sein ist ja, dass sich die namensgebende fanatische Leidenschaft unhinterfragt auf alles Mögliche beziehen darf. Schlager-Fans sind ebenso richtige Fans, wie Live-Rollenspieler mit Elfenohren aus Gummi oder »Game of Thrones«-Junkies. Das Konzept Fan hält also durchaus auch die Möglichkeit echter RB Leipzig-Fans aus. Die Frage ist vielmehr, hält RB Leipzig echte Fans aus? Und da gibt es durchaus Zweifel. Denn der Anspruch des Red Bull-Konzerns, in Sachen Erfolg nichts dem Zufall zu überlassen, dehnt sich selbstverständlich auch auf seine Unterstützerinnen und Unterstützer aus.

RB versucht das Fanerlebnis stärker zu formen und zu kontrollieren als andere Vereine. Zu Beginn der Red Bull-Fußballgeschichte führte das zu Absurditäten wie einem (schnell wieder eingestellten) Live-Kommentar im Stadion in Salzburg oder einem wöchentlichen Fangruppen-Rapport bei der RBL-Geschäftsleitung. Nach einigen Wechseln in der Fanbetreuung – die Einstellungskriterien schwankten von »Partner ist bei der Bundespolizei« über »Ex-Profi« bis hin zu »hat das doch beim HSV gut gemacht« – ist man vereinsseitig mittlerweile subtiler.

Nichts den Zufall überlassen

Das heißt indes nicht, dass man mehr dem Zufall in Bezug auf eigensinnige Fanaktionen überlässt und weniger stark regulierend eingreift. Besonders bei politischen Einlassungen werden vorauseilend und unnachgiebig die DFL-Richtlinien umgesetzt. So sah man am Beispiel verbotener antirassistischer Spruchbänder oder ganzer Choreographien deutlich, was RB Leipzig von Fans nicht will: gesellschaftspolitisches Engagement im Umfeld des sauber konsumierbaren Entertainment-Produkts.

Insgesamt zeigt sich also, dass es bei RB Leipzig durchaus eine Fan-Szene gibt, die weder apolitisch ist, noch aus Na-und?-Zynikern und Eventfans besteht. Gleichzeitig werden diese Anlagen der Entwicklung einer Fanszene aber immer wieder und auf bewusste Weise überformt. Dabei spielen Marketing-Worthülsen und ein gesellschaftspolitischer Mainstreamkonsens eine entscheidende Rolle, auf die man sich immer wieder bezieht, und die ein schnelles Zu- und Einstimmen ermöglichen. So soll RB alles Mögliche sein: das bessere Hoffenheim, der echte Ost-Klub, »Nachwuchsarbeit und Teamgeist« (OBM Jung) und vor allem »Familienverein«.

Empfindlich und entschieden

Selbstbestimmte Fan-Identitäten werden in solchen Kontexten tendenziell verunmöglicht und – sagen wir höflich – politisch heterogene Haltungen in der Kurve gestärkt: Neben vereinzelten homophoben und rassistischen Gesängen aus der Zweitliga-Zeit sind noch die offene Ablehnung einer Refugee-Paten-Aktion 2015 in Fanforen im Gedächtnis.

Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, dass der unterschwellige Konflikt zwischen enttäuschten Engagierten und einer »event-orientierten« Klientel, die offen oder zumindest unkritisch ist gegenüber Vereinnahmungen durch die konzernseitige Eventperspektive, bei Aktionen wie in Berlin hervorbrechen. Die große Mehrheit der Kurve, die »einfach nur Fußball gucken« will, hat das Versprechen erhalten, dass eigensinnige Fanbelange und das Aufbrechen der einfach konsumierbaren Spieltagkulisse keinen Platz erhalten oder nur soweit eingebracht werden dürfen, wie starke, vom Verein gesetzte Rahmenbedingungen eingehalten werden. In diesem Punkt war die RB-Projektleitung schon immer zugleich empfindlich und sehr entschieden: Wer zahlt, bestimmt. Und wem das nicht gefällt, der kann woanders hingehen.


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