Fünf Jahre lang hat ein breites Netzwerk aus Wissenschaftlern von Uniklinik und Hochschule sowie städtischen Mitarbeitern daran gearbeitet, Präventionsprojekte im Leipziger Westen umzusetzen. Jetzt wurde Bilanz gezogen: Auch im nächsten Jahr soll »Grünau bewegt sich« fortgesetzt werden.
»Es ist immer überraschend, wenn man als Wissenschaftlerin die Möglichkeit hat, den Elfenbeinturm zu verlassen und auf die Welt da draußen zu treffen«, sagt Ulrike Igel. Die Sozialpädagogin arbeitet an der HTWK und ist Teil von »Grünau bewegt sich«. Fünf Jahre lang hat ein breites Netzwerk aus Wissenschaftlern von Uniklinik und Hochschule sowie städtischen Mitarbeitern daran gearbeitet, Präventionsprojekte im Leipziger Westen umzusetzen. Ausgangspunkt war damals (s. kreuzer 7/2016) die Erkenntnis, dass dort überdurchschnittlich viele Kinder mit Übergewicht zu kämpfen hatten. Gleichzeitig lag die Anzahl der Schüler, die auf ein Gymnasium wechselten, weit unterhalb des städtischen Durchschnitts.
Anruf bei Karoline Schubert vom Gesundheitsamt: Wie zufrieden ist sie mit den Maßnahmen, die erst durch die Mitarbeit der Stadt finanziert werden konnten. Schubert lacht. »Ich bin zufrieden«, sagt sie und zählt auf, was sich durch »Grünau bewegt sich« aus kommunaler Perspektive im Stadtteil schon verändert hat. Sie spricht von neu gewachsenen Strukturen, einer verbesserten Kommunikation zwischen den Ämtern, wenn es um das Thema Gesundheit geht. Und gebraucht das Bild eines Baukastens, um zu erklären, wie die gemeinsame Arbeit auch in die Zukunft hinein fortgesetzt werden kann.
Veränderungen im Verhalten der Kinder
Viele Angebote, die in den letzten fünf Jahren entwickelt und erprobt wurden, berichtet Schubert, seien wie Bausteine, die man auch in anderen Kontexten anwenden könne. Auch von wissenschaftlicher Seite zeigt man sich zufrieden. Konkret ist es allerdings schwer zu beantworten, welche Auswirkungen das Projekt auf die Kinder hatte. »Erst wenn sich Kinder zum Beispiel wirklich regelmäßig mehr und mit Spaß bewegen, werden wir Effekte auf ihre Beweglichkeit, Geschicklichkeit und vielleicht sogar auf ihr Gewicht sehen. Dafür müssen wir über viele Jahre beobachten und messen, was passiert«, schreiben die Wissenschaftlerinnen auf kreuzer-Anfrage. Erste Erkenntnisse deuten jedoch auf Veränderungen im Verhalten der Kinder hin.
Die positive Bilanz, die die Verantwortlichen ziehen, könnte auch damit zusammenhängen, dass man sich von Beginn an darum bemüht hat, von den Bedürfnissen der Menschen vor Ort auszugehen. Dazu kooperierte man eng mit Grünauer Schulen und Kitas, aber auch mit anderen Einrichtungen wie dem Komm-Haus. Zudem wurde mit dem Bewegungsmelder ein Laden eingerichtet, der als Anlaufstelle für Interessierte diente. Von dort aus lief zudem die Koordination verschiedener Projekte. Die Menge an Angeboten ist groß und reicht von Fußballpokalen über Ernährungstage für Vorschulkinder bis zu Veränderungen im Stadtbild. So wurden an ausgewählten Stellen Wege so umgestaltet, dass sie die Kinder zur Bewegung animieren. »Wir haben vorrangig solche Interventionen entwickelt und umgesetzt, die nicht auf die Kinder und ihre Familien selbst, sondern auf deren Lebenswelten einwirken«, heißt es von Seiten der Wissenschaftler.
Ein anderes Selbstverständnis
Das Argument, dass die Konzentration auf einen Stadtteil stigmatisierend sein könnte, können sie nachvollziehen. Während ihrer Arbeit haben sie versucht, sensibel damit umzugehen. »Unser Ziel ist es, mit den Bewohnern und Einrichtungen vor Ort zu einem anderen Selbstverständnis beizutragen«, schreiben sie auf Nachfrage.
Martina Lück ist Sozialarbeiterin und hat im Bewegungsmelder gearbeitet. Dort bot sie Kochkurse für Kinder an und sprach viel mit ihnen und ihren Eltern. »Grünau hat als Quartier einige Ressourcen«, sagt sie und verweist auf die hohe Zahl an Spielplätzen und Bewegungsmöglichkeiten, die es inzwischen und auch dank »Grünau bewegt sich« gibt. Gleichzeitig sagt sie aber auch: »Kindergesundheit wird hier oft von anderen Themen wie beispielsweise Kinderarmut überdeckt.« Auch das ist eine Erkenntnis, auf die die Wissenschaftler bei ihrer Arbeit reagieren mussten. Öffentlich Bilanz ziehen werden sie Ende November bei der Jahrestagung »Gesundes Leipzig«. Das Projekt soll damit noch nicht zu Ende sein – sondern weitergehen.
Dieser Text erschien zuerst im kreuzer 11/19.