Vor zwei Jahren löste ein Zeit-Artikel großes mediales Echo aus: Die Universitätsbibliothek hätte in ihren Archiven eine längst vergessene Zauberspruchsammlung entdeckt, hieß es. Das war alter Käse, wie die Bibliothek dem kreuzer versicherte. Die Magica-Sammlung ist gut bekannt und behütet. Nun wird sie der Öffentlichkeit präsentiert, weshalb wir damaligen Text an dieser Stelle neu veröffentlichen.
Was die Zauberei so reizvoll macht, ist vor allem das »Was wäre wenn?« Was wäre, wenn ich bestimmen könnte, wer mich liebt, wie viel Geld ich zur Verfügung habe, wer gesund bleibt und wer nicht? Was wäre, wenn alle Unabwägbarkeiten im Leben keine mehr wären? Es klingt verlockend. Eine gemurmelte Formel, ein Schwenk mit dem Zauberstab und die Welt ist in Ordnung, oder mehr noch, dreht sich nach meinem Willen. Solchen Willen zur Macht mag man auch bei der Zeitschrift Zeit gehabt haben, als man eine jahrhundertealte Neuigkeit erfand.
140 Manuskripte aus dem 17. & 18. Jahrhundert
»Zauberei, das hat auch mit Allmachtsfantasien zu tun«, sagt Theologe und Religionswissenschaftler Marco Frenschkowski von der Universität Leipzig. Und die hätten die Menschen seit jeher gehabt, hätten sie noch heute. Trotzdem war er überrascht über das große mediale Echo, das im August 2017 ein Zeit-Artikel der Zeit auslöste, laut dem in den Archiven der Universitätsbibliothek eine längst vergessene Zauberspruchsammlung wiederaufgetaucht sei. So ganz stimmt das zwar nicht – die Sammlung ist kein jüngst ausgegrabener Schatz – doch das mindert die Faszination nicht, die die Schriften auslösen.Die meisten der 140 Manuskripte stammen aus dem späten 17. und frühen 18. Jahrhundert. Die zuvor private Sammlung wurde erstmals 1840 in einem Handschriftenkatalog der Leipziger Ratsbibliothek erwähnt, die sie 1962 an die Universitätsbibliothek weitergab. Dort stehen die Texte heute bei den Sondersammlungen unter der Aufsicht von Bereichsleiter Professor Thomas Fuchs. »Die Sammlung ist im Verhältnis nicht besonders alt, außerdem restauriert und in einem super Zustand«, sagt Fuchs, als er die grauen Pappschuber entfernt, die die zusammengefassten Hefte schützen.
Teils in altdeutscher Schrift, teils auf Latein stehen die Formeln in blauen oder schwarzen Tintenlettern auf einfachem Büttenpapier. Einige wenige Bilder gibt es, mit Aquarellfarben gemalt. Sie zeigen oft die Vereinigung von Mann und Frau und dem Heiligen Geist. Hier wird es etwas irritierend, denn anders, als man vielleicht vermuten möchte, hat die Sammlung keinen heidnischen Ursprung. »Die Zaubersprüche haben fast alle einen christlichen Hintergrund«, sagt Thomas Fuchs. »Teilweise ist es eine etwas krude Mischung zwischen Gebet und Zauberformel.« Eine Vermengung von Heiligenbeschwörung und magischem Denken.
Was im Gebet nicht erreicht werden konnte
Mit den Zauberformeln wurde versucht, die göttliche Ordnung zu umgehen, also das zu erzwingen, was im Gebet nicht erreicht werden konnte, erklärt auch Marco Frenschkowski. Viele der Texte bezeichnet er als »magische Lebenshilfe«. Die meisten Rituale seien sehr praktisch ausgelegt, hätten den festen Zweck zum Beispiel für Gesundheit, Erfolg oder Rache zu sorgen. Die Zauberspruchsammlung vergleicht er mit einem Kochbuch, das Rezepte für bestimmte Situationen bereithält. Viele der Sprüche seien sehr kompliziert, sagt er. Sie erfordern zum Beispiel eine Vielzahl an Utensilien, wie Zähne von Wildtieren oder Haare, die nur in einer bestimmten Mondphase ausgerissen werden dürfen. »So hatte man gleichzeitig eine Erklärung, wenn der Zauber nicht funktionierte«, sagt Frenschkowski. »Dann ist eben bei einem der vielen Schritte ein Fehler unterlaufen.«
Seiner Meinung nach, sei es bei den Leipziger Zaubersprüchen weniger um das Gelingen einer magischen Handlung als um das Spiel mit der Faszination gegangen. Eine Liebhaberei der gebildeten Schicht. Gelehrtenmagie, aus einem Umfeld, in dem Zauberei zwar als Kuriosität eingestuft wurde, die Hochphase der Hexenverfolgung aber schon vorbei war. »Man kann das vielleicht mit dem heutigen Konsum von pornografischer Literatur vergleichen«, sagt Frenschkowski. »In der Aura des Verbotenen liegt der besondere Reiz.«
Ob es im Untergrund tatsächlich Riegen von Akademikern gegeben hat, die sich mit der Beschwörung von Geistern beschäftigt haben, sei schwierig zu sagen, so Thomas Fuchs. Denn Belege über die Verwendung von Magie fänden sich häufig nur in juristischen Akten – oft als das Ergebnis von peinlicher Befragung.Heute soll die Dokumentation lückenloser ablaufen. Für 2019 ist an der Albertina eine Ausstellung der Sammlung geplant. Wer nicht so lange warten will, kann sich die Zaubersprüche auch online ansehen – dort stehen sie nämlich bereits seit 2011 in digitaler Form bereit.
Dieser Text erschien zuerst im u:boot 2017.