Mehr als 20 Prozent der Verkaufsflächen in der Innenstadt stehen leer. Ein Grund ist, dass Ideen wie Märkte in einzelne Viertel abwandern und jedes Quartiert so zu einem Dorf wird, findet kreuzer-Redakteur Tobias Prüwer.
Schlusslicht: In der Rangliste der wichtigsten deutschen »Shopping-Metropolen« belegt Leipzig den letzten Platz, was die Vermietung angeht. In keiner der großen Städte des Landes herrscht derartiger Leerstand wie in der hiesigen Innenstadt. Mehr als 20 Prozent der Verkaufsflächen, so hat das Immobilienunternehmen JLL ausgerechnet, sind ungenutzt, weil nicht vermietet.
Tote Fenster, verwaiste Passagenhöfe, trostlose Passagen zeugen nur noch wenig von jener fruchtbaren Liaison, die Leipzig und Merkur einst eingingen. Die Karstadt-Schließung im Februar dieses Jahres ist da nur i-Tüpfelchen. Was mit dem denkmalgeschützten Haus passiert, ist noch ungewiss. Vielleicht werden nur die unteren Etagen zur Auslage, vielleicht wird es ein Shop-in-Shop-System, oder es gibt bald noch eine Schließfach-Einkaufe mehr. Falls überhaupt jemand einzieht.
[caption id="attachment_82816" align="alignleft" width="120"] kreuzer-Redakteur Tobias Prüwer.[/caption]
Ein Grund für den Leerstand ist der hohe Mietpreis. Die Leipziger Spitzenmiete, die bei 120 Euro pro Quadratmeter liegt, wird sowohl in der Grimmaischen Straße als auch der Petersstraße erzielt (diese und alle weiten Zahlen: »BNP-Retail-Markt«). Das ist die Höchstmiete in ganz Ostdeutschland und liegt über jener von Städten wie Bremen oder Heidelberg. Kein Wunder, dass so viel leer steht – und ebenso wenig wundert das Einerlei der bestehenden Läden. Denn beim Rundgang durch die City bekommt man das Gähnen. Attraktiv ist immer das Besondere: Hier vermisst man es zunehmend. Hinter postmodernen Verschlägen liegen die Konsumentenbatterien. Unter den eingemieteten Geschäften sind Ketten über Ketten zu finden, kleine Einzelhändler werden selten. Das hat man von der 1-A-Lage. Die vorgehaltenen, austauschbaren Labels tragen zur Gesichtslosigkeit bei. Zu glatt geben sich die Straßenzüge, und nicht speziell genug – vieles im Angebot findet sich auch im Paunsdorf-Center. Genau von jenen Centern müsste sich die City allerdings abheben.
Der Grund dafür heißt in der Immobilienwirtschaft Filialisierungsgrad. Das Wort bezeichnet die Verdrängung inhabergeführter Einzelhandelsgeschäfte durch Filialen größerer Handelsunternehmen. Und die ist in der Leipziger City enorm. Die Spitzenposition nimmt hier die Grimmaische Straße mit 93 Prozent ein, gefolgt von Petersstraße (89 %) und Neumarkt (78 %). Natürlich ist die romantische Vorstellung vom ehrlichen kleinen Händler, der im Gegensatz zum multinationalen Konzern das Gute verkörpert, Mumpitz. Aber die kleinen Händler sorgen immerhin für originelle, weil ausgesuchte Sortimente. Am Markt beträgt der Filialisierungsgrad noch ungefähr 50 Prozent. Dort hält sich die inhabergeführte Gastronomie besser. Und hier zeigt Leipzig zweimal in der Woche ebenjenes Flair, das eine Stadt ausmachen sollte: Wenn Markt ist, wenn die Händler aus Lommatzsch oder Kulkwitz ihre Stände aufstellen, bekommt man noch mal eine Idee des Urbanen, von der Stadt als Ort des Zusammenkommens und des Austauschs. Es ist schade, dass diese mondäne Idee in die einzelnen Viertel abwandert, wie es in Berlin Alltag ist. Jedes Quartier wird so zu einem Dorf. Das hat etwas Kleinbürgerliches, ja Provinzielles. Und dem Kiezfaschismus sind dadurch auch Tür und Tor geöffnet.
Dieser Text erschien zuerst im kreuzer 12/19.