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Kultur

Widerstand

Die Kinostarts der Woche im Überblick

  Widerstand | Die Kinostarts der Woche im Überblick

…und was sonst so Filmisches in der Stadt passiert.

Am 27. Januar 2020 jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau zum 75. Mal. Auch das Kino versucht sich seit mehr als fünfzig Jahren mit einer Aufarbeitung der Ereignisse. Wie stellt man das Unvorstellbare dar? Die Schaubühne Lindenfels zeigt im Januar und Februar fünf Filme, die sich auf unterschiedliche Art dem Grauen nähern. 

»Filme zur Shoah«: ab 25.1., Schaubühne Lindenfels

Film der Woche: Schon die Eröffnungssequenz macht die Parallele deutlich: Eine Menschenmenge vor dem Arc de Triomphe in Paris. Die Tricolore weht vielfach im Wind. Der Nationalstolz wird gefeiert. Eine Momentaufnahme wie aus der Französischen Revolution. Doch die Bilder sind aktuell, von der vergangenen WM vielleicht. Darüber liegt in übergroßen Lettern der Titel: »Les Misérables«. Doch die Parallelen in Ladj Lys Sozialdrama zu Victor Hugos Klassiker gehen tiefer. Da wäre zunächst der Stadtteil Montfermeil vor den Toren der Hauptstadt, in weiten Teilen der Handlungsort von Hugos Werk. Auch 150 Jahre später herrscht dort bittere Armut und soziale Ungerechtigkeit. Regisseur Ly weiß wovon er erzählt, wuchs er doch selbst in Montfermeil auf und war mittendrin in den blutigen Ausschreitungen von 2005, die auch seinen Film inspirierten. Hier ist es der junge Polizist Stéphane (Damien Bonnard), der aus der Provinz in den sozialen Brennpunkt kommt, um dort Dienst zu schieben. An seinem ersten Arbeitstag erlebt er die Spannungen in dem Viertel zunächst vom Rücksitz des Peugeots aus, während ihn seine neuen Kollegen in die Fronten und Verhaltensweisen einführen. Gwada (Djibril Zonga) ist der ruhige Pol, Chris (Alexis Manenti) der Psycho, der überzeugt davon ist, mit harter Hand mehr zu erreichen. Es gibt den selbsternannten Bürgermeister, einen Gangsterboss, der als Sprachrohr für die Gemeinde dient, die Muslimbruderschaft, die im Hintergrund die Strippen zieht. Und dann gibt es die Jungen, Gewaltbereiten, die sich nichts sagen lassen. Solange hier niemand die Nerven verliert, bleibt es ruhig. Doch am Rande des Viertels haben die Roma ihr Lager aufgeschlagen, ein Wanderzirkus. Der junge Issa kommt auf die Idee, ein Löwenjunges zu entführen und entfesselt damit einen Krieg, zwischen dessen Fronten Stéphane und seine Kollegen geraten.

Regisseur Ladj Ly versteht seinen Film als Warnung an die Politik. 15 Jahre nach den schweren Ausschreitungen in den Banlieues hat sich nichts geändert. Eine neue Generation ist herangewachsen. Es ist an der Politik, sich um sie zu kümmern. Ly gelingt ein lebensnaher Einblick in eine Welt abseits des Systems. Ein Mikrokosmos mit eigenen Regeln und Gesetzen, in dem eine Handvoll Polizisten versucht für Ordnung zu sorgen. Ein täglicher Eierlauf, der einen hochspannenden Film ergibt, den Kameramann Julien Poupard in vibrierende Bilder umsetzt. Ein intensiver Film, der unter die Haut geht und Hugos Worte im letzten Akt schmerzhaft ins Gedächtnis ruft: »Merkt Euch, Freunde! Es gibt weder Unkraut noch schlechte Menschen. Es gibt bloß schlechte Gärtner.« Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.

»Die Wütenden – Les Misérables«:«: ab 23.1., Passage Kinos, Kinobar Prager Frühling 

https://www.youtube.com/embed/vjEK0OCxBJA

Man mag ihn eigentlich nicht so recht mögen, diesen aufgeweckten blonden Jungen in der gebügelten HJ-Uniform. Er betet die Worte des Führers herunter, hält Juden für fleischfressende Monster und will unbedingt Soldat werden, um an die Front nach Italien zu reisen, wo sein Papa in seiner Vorstellung für das Vaterland kämpft. Sein bester Freund ist Adolf Hitler (Taika Waititi), der ihn als unsichtbarer Begleiter unterstützt. Doch eigentlich ist Johannes Betzler (Roman Griffin Davis), den alle Jojo nennen, ein unsicherer kleiner Junge, der sich nach seinem Vater sehnt. Im Feriencamp der Hitlerjugend bemüht er sich vergeblich, den großen Jungs nachzueifern. Stattdessen verpassen sie ihm den Spitznamen »Jojo Rabbit«. 

Bei einer Granatenübung wird der Hasenfuß verletzt und landet im Krankenhaus. Damit ist der Traum von der Militärkarriere erstmal geplatzt. Doch seine liebevolle Mutter (Scarlett Johansson) setzt sich kämpferisch für ihn ein und fortan dient Jojo dem degradierten Captain Klenzendorf (Sam Rockwell) als Botenjunge. Tagsüber ist er auf sich gestellt, wenn seine Mutter mal wieder für Stunden verschwindet. Eines Nachmittags bemerkt er ungewöhnliche Geräusche im Obergeschoss ihrer Wohnung. Seltsame Schleifspuren auf dem Dielenboden wecken seine Neugier und schließlich entdeckt er ein älteres Mädchen in dem Verschlag hinter der Tapete. Elsa (Thomasin McKenzie) ist Jüdin. Seine Mutter nahm sie auf und versteckt sie in der Wand. Für Jojo bricht eine Welt zusammen, dafür öffnet sich ihm eine ganz neue. Nur seinem imaginären Freund Adolf gefallen diese neuen Entwicklungen ganz und gar nicht. 

Der Auftakt von Taika Waititis »Jojo Rabbit« ist fulminant. Der Zehnjährige springt mit dem Führer durchs Bild und erfreut sich seines Nazilebens. Doch die Adaption des Romans „Caging Skies“ von Christine Leunens ist mehr als eine alberne Nazikomödie, mehr als nur bloße Provokation. Im Kern ist »Jojo Rabbit« eine liebevolle Geschichte über das Erwachsenwerden in schwierigen Zeiten und damit wesentlich näher an der humanistischen Erzählweise seines Regisseurs als an der Studie eines verdorbenen Geistes, die den Roman ausmacht.

Wunderbar auch die Besetzung: Scarlett Johansson, die gerade noch ihr Familienglück in »Marriage Story« aufs Spiel setzte, blüht hier in der Rolle der Mutter auf. Sam Rockwell und Rebel Wilson umarmen ihre Rollen mit Inbrunst. Der kleine Roman Griffin Davis ist eine echte Entdeckung und glänzt unter der Regie von Taika Waititi, der sich selbst die unrühmliche Rolle des Führers verpasste.

»Jojo Rabbit« ist ein eigenwilliger Film, in einem Moment schreiend komisch, im nächsten bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Man kann sich die Gesichter bei Disney vorstellen als sich der Familienkonzern mit der Aneignung von Twentieth Century Fox auch diesem Film stellen musste. Sechs Oscarnominierungen sind der Lohn für den Mut der Produzenten, mit »Jojo Rabbit« ganz eigenwillige Wege zu gehen. Ausführliche Kritik von Peter Hoch im aktuellen kreuzer.

»Jojo Rabbit«: ab 23.1., Passage Kinos, Schauburg, Kinobar Prager Frühling

https://www.youtube.com/embed/DvVUPL1b-u4

Weitere Filmtermine der Woche

Das Filmriss Filmquiz

…denn sie quizzen nicht, was sie tun!  Wenn Bruce Willis auf alles außer Tiernahrung Prozente gibt, klingeln euch die Ohren? Ihr pfeift das Lied vom Tod unter der Dusche? Das einzige Gebet, dass ihr auswendig vorbeten könnt, ist Ezekiel 25:17? Dann seid ihr hier zuhause. Hier dürft ihr Kinonerd sein und werdet belohnt: tonnenweise Merchandise aktueller Kinoproduktionen warten auf euch. Groovy Baby!

23.1., 21 Uhr, StuK Studentenkeller

Begegnungen am Ende der Welt

Im ewigen Eis der Antarktis lebt von der Außenwelt abgeschnitten eine kleine Gruppe von Menschen unter extremsten Bedingungen. Täglich riskieren diese knapp 1.000 Männer und Frauen im Dienst der Wissenschaft Leben und (mentale) Gesundheit. Werner Herzog und sein Kameramann Peter Zeitlinger haben sich auf eine sehr persönliche Expedition an den Südpol begeben, um jene Menschen und die bemerkenswertesten Orte dieses Territoriums aufzusuchen. - Polarzeit: Filmexpeditionen

24.1., 21 Uhr, Schaubühne Lindenfels

South

Der erste Dokumentarfilm der Filmgeschichte ist eine Aufzeichnung der Expedition von Ernest Shackleton zum Südpol. - Connewitzer Stummfilmnacht mit Maria Wolfsberger an der Orgel

24.1., 19 Uhr, Paul-Gerhardt-Kirche Connewitz

WKDW - Was kostet die Welt

Das beschauliche Idyll auf der Insel Sark wird bedroht: Zwei Milliardäre haben die Insel für sich entdeckt, kaufen das Land auf, legen Weinfelder an und erwerben vier der sechs örtlichen Hotels. Bis jetzt besitzen sie und ihre Firmen bereits ein Drittel der gesamten Landfläche Sarks. - anschl. Filmgespräch mit Regisseurin Bettina Borgfeld

24.1., 19 Uhr, Cineding

Als Unku Edes Freundin war

Berlin in den zwanziger Jahren: Die meisten Menschen beobachten es misstrauisch, als Unku mit den Wagen ihres Sinti-Clans in der Stadt ankommt. Ede aber gefällt Unku auf Anhieb gut, denn sie ist mutig und lässt sich nichts gefallen. Doch seine neue Freundin passt Edes Vater nicht und auch andere machen boshafte Bemerkungen. - Filme zur Shoah

25.1., 15 Uhr, Schaubühne Lindenfels

DEFA-Trickfilm trifft auf Animationskunst

- live vertont von Lu:v

25.1., 20 Uhr, Horns Erben

Jak zostalem Gangesterem. Historia Prawdziwa

In den siebziger Jahren schließt sich eine Gruppe Jungs zusammen und baut ein kriminelles Netzwerk auf. Bald werden aus den Jungs von einst, mächtige Gangster. Der Film von Regisseur Kawulski basiert auf Fakten. - Polnisches Kino im Original

25.1., 17 Uhr, Cineplex (OmeU)

Why Don't You just Die!

Die tiefschwarze und blutige russische Komödie war der Geheimtipp der Fantasy-Filmtage. - Nächte am Adler

25.1., 20 Uhr, Schauburg (OmU)

Am Ende kommen Touristen

Wie sieht ein normales Leben aus an einem Ort, an dem nichts normal ist? Ein junger Mann verrichtet seinen Zivildienst in der Begegnungsstätte in Auschwitz, hier soll er sich um den eigenwilligen KZ-Überlebenden Krzeminski kümmern und entdeckt dabei einen Alltag zwischen moralisch historischem Auftrag, Betroffenheit, Vorurteilen, Fettnäpfchen und Gedenkstätten-Tourismus. - mit Vorflm, Filme zur Shoah

26.1., 19 Uhr, Schaubühne Lindenfels

Die Kunst der Nächstenliebe

Eine überambitionierte Mutter und Menschenrechtlerin stößt an ihre Grenzen. Überfrachtete Sozialkomödie aus Frankreich. - Preview zu Gunsten des Moviemento-Kinos in Berlin

26.1., 20 Uhr, Schauburg

Die schönste Zeit unseres Lebens

Der desillusionierte Victor unternimmt eine inszenierte Reise in die Vergangenheit, um die Gegenwart wieder genießen zu können.

26.1., 17 Uhr, Regina Palast

Chichinette - Wie ich zufällig Spionin wurde

Die bisher unbekannte Geschichte einer französisch-jüdischen Spionin, Marthe Cohn - alias Chichinette. - Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust

27.1., 16.30 Uhr, Kinobar Prager Frühling

Die Aufseherin - Der Fall Johanna Langefeld

Die Doku erforscht die unheimliche Geschichte von Johanna Langefeld, einer KZ-Oberaufseherin, die sich 1946 ihrem Prozess entzog, indem sie mit Hilfe ehemaliger Insassinnen aus dem Gefängnis floh. In Anwesenheit der Regisseurin Gerburg Rohde-Dahl, zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

27.1., 19 Uhr, Cinémathèque in der Nato

Alles auf Anfang - Das wilde Jahr 1990

Der Dokumentarfilmer und Fernsehjournalist Peter Wensierski nahm das Geschehen im Wendejahr auf und beobachtete, wie sich Menschen den Herausforderungen des neuen Lebens stellten. Heute Abend stellt er seinen Film »Alles auf Anfang« persönlich vor und erzählt von den Dreharbeiten in jener Zeit des Umbruchs. In Anwesenheit des Regisseurs.

28.1., 18 Uhr, Cinémathèque in der Nato

29.1., 20 Uhr, Ost-Passage Theater

Vernetzt - Johnny Mnemonic

Cyberspace-SF-Thriller. Ausflug des Malers und Fotografen Robert Longo ins Filmmetier. Im Anschluss Gespräch mit Dr. André Wendler (Forschungsreferent, Deutsche Nationalbibliothek Leipzig) und dem Wissenschaftshistoriker und Medienwissenschaftler Prof. Dr. Cornelius Borck (Universität zu Lübeck)

28.1., 19 Uhr, Zeitgeschichtliches Forum

Darkroom - Tödliche Tropfen

Basierend auf einer wahren Geschichte erzählt Rosa von Praunheim vom ehemaligen Krankenpfleger Lars, der in der Berliner Schwulenszene seine Opfer betäubt und ausraubt. - Queerblick in Anwesenheit von Regisseur Rosa von Praunheim

29.1., 20 Uhr, Passage Kinos

Horror-Doppel mit Donis

Zweimal Horror unterm sommerblauen Himmel: Horropapst Donis zeigt heute Robin Hardys »The Wicker Man« (GB 1973; OmU, im Foto) und Ari Asters »Midosmmar« als Directors Cut (USA 2019; OmU).

29.1., 19, 21 Uhr, Luru-Kino in der Spinnerei

Sorry we missed you

Ken Loach (»Ich, Daniel Blake«), das soziale Gewissen des europäischen Kinos, hat nichts von seiner Wut verloren. In seinem neuen Film wirft er einen ernüchternden Blick auf das unmenschliche Gewerbe der Paketboten. - Am 29.1. mit anschl. Podiumsgespräch zum Thema »Mensch und Familie in der globalisierten Arbeitswelt« mit Martin Dulig (Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Sachsen), Bernd Riexinger (Parteivorsitzender Die Linke und ver.di Gewerkschaftssekretär), Alexander Jorde (Azubi zum Gesundheits- und Krankenpfleger), Moderation: Gundula Lasch (Journalistin)

29.1., 19.30 Uhr, Passage Kinos


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