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Stadtleben

Mogelpackung

Das Starke-Familien-Gesetz soll Kinderarmut bekämpfen und sorgt für Kritik

  Mogelpackung | Das Starke-Familien-Gesetz soll Kinderarmut bekämpfen und sorgt für Kritik

Das »Starke-Familien-Gesetz« soll ein Baustein im Kampf gegen Kinderarmut sein. Doch in einigen Fällen sorgt das Gesetz dafür, dass Alleinerziehende nicht zwangsläufig von den Erhöhungen zu Bildung und Teilhabe profitieren, sondern je nach Situation sogar schlechtergestellt werden.

Jedes fünfte Kind hierzulande lebt in Armut. Ein Problem, das in Städten wie Leipzig besonders gravierend ist. Im Sozialreport des Rathauses für das Jahr 2018 liegt die Gruppe der unter 15-Jährigen, die Sozialgeld bezogen, bei 21,4 Prozent. Besonders hoch ist das Risiko dabei für Kinder alleinerziehender Eltern, von denen in Leipzig fast 15.000 leben.

Im Juli 2019 trat das »Starke-Familien-Gesetz« in Kraft. Das Gesetz aus dem Familienministerium verspricht Verbesserungen für Familien und explizit auch eine Stärkung Alleinerziehender. Es soll ein Baustein im Kampf gegen Kinderarmut sein.

Ein enger Raum in Gohlis. Auf dem Tisch stapeln sich die Papiere. Im Hintergrund hört man das Summen eines Druckers. Brunhild Fischer ist Geschäftsführerin bei »Shia«. Der Verein setzt sich seit 1991 für die Belange Alleinerziehender in Sachsen ein. »Wir sind nicht glücklich mit diesem Gesetz. Es verdient seinen Namen überhaupt nicht«, sagt Fischer. Die ausgebildete Musikerin sieht insbesondere, wenn es um die Alleinerziehenden geht, erhebliche Mängel im Gesetzestext. Als Beispiel nennt sie die Erhöhung des Bildungs- und Teilhabepaketes für soziale und kulturelle Aktivitäten von 10 auf 15 Euro monatlich. Denn die Erhöhung gilt nur, wenn die Kinder an dem Tag, an dem die geplante Aktivität stattfindet, auch bei dem Elternteil sind, das die Leistung bezieht. Im Klartext heißt das: Wenn eine Mutter ALG II bezieht, bezuschusst der Staat ihr Kind nur an den Tagen, an denen es bei ihr zu Hause ist. Fällt der Zahltag für Klassenfahrten, Sportverein oder Ähnliches in eine Zeit, in der das Kind bei dem anderen Elternteil ist, dann zieht der Staat das Geld dafür im Zweifelsfall vom ALG II der Alleinerziehenden ab. In einem Schreiben des Jobcenters an eine Alleinerziehende, das dem kreuzer vorliegt, heißt es: »Anspruch auf den Zuschuss zum Mittagessen haben Ihre Kinder nur an den Tagen, an denen sie sich tatsächlich bei Ihnen aufhalten.« Weiter wird der Mutter darin verkündet, dass die »Leistungen für Bildung und Teilhabe in Zukunft nicht in vollem Umfang bewilligt werden können«. Letztlich sorgt das Gesetz also dafür, dass Alleinerziehende nicht zwangsläufig von den Erhöhungen zu Bildung und Teilhabe profitieren, sondern je nach Situation sogar schlechtergestellt werden.

Auch bei der Erhöhung des Kindergeldes übt die Expertin Kritik. »Grundsätzlich ist es ja so, dass alle Familien, die im SGB-II-Bezug sind, kein Kindergeld bekommen, beziehungsweise wird das Kindergeld, das sie erhalten, gegengerechnet mit Arbeitslosengeld, Unterhalt oder Unterhaltsvorschuss. Das heißt, die, die am wenigsten haben, profitieren nicht von der Erhöhung des Kindergeldes«, sagt Fischer. Für die Expertin ist klar, dass es die besser situierten Familien sind, die von Kindergelderhöhung und vor allem von der damit verbundenen Erhöhung des Steuerfreibetrages profitieren. »Die Schere zwischen Arm und Reich wird dadurch natürlich noch größer«, konstatiert sie.

Ähnlich wie andere Vereine, Initiativen und Institutionen fordert sie ein Umdenken bei der Unterstützung von Kindern in Deutschland. Diese müsse für alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft gewährleistet werden. »Um Chancengleichheit herzustellen, müsste man die Kinder unabhängig behandeln und freistellen und das heißt eben, bestimmte Dinge kostenfrei zu machen. Was wir fordern, ist ganz grundsätzlich kostenfreie Mobilität für alle Kinder, kostenfreie Gesundheitsvorsorge sowie kostenfreie Bildung und Freizeitangebote.«

Fischer seufzt. Wirklich zuversichtlich ist sie nicht. Dafür setzt sie sich umso engagierter für die Anliegen Alleinerziehender und ihrer Kinder ein. Damit es diesen in Zukunft besser geht, brauche es Gesetze, die wirklich einen Unterschied machen, so die Geschäftsführerin von Shia, ehe sie aufbricht, zum nächsten Termin.


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