Die Straßenschilder der Hannah-Arendt-Straße in der Südvorstadt sind noch nicht angeschraubt. Strittig ist, ob es je dazu kommen wird. Die namensgebende Philosophin hat ein Rassismusproblem – das erfordert Auseinandersetzung statt Ehrung. Ein Kommentar von Tobias Prüwer
Geschichte wiederholt sich nicht. Geschichte aber holt die Dinge ein. So geschehen im Fall der Hannah-Arendt-Straße in der Südvorstadt. Dort gibt es gar keine Straße dieses Namens? Tatsächlich doch, nur die Straßenschilder sind noch nicht angeschraubt. Der Stadtrat beschloss im Januar die Umbenennung der Arndtstraße – aus guten Gründen. Namensgeber Ernst Moritz Arndt war nicht nur Schriftsteller und Politiker, sondern auch glühender Antisemit. Ebenfalls mit solider Argumentation kann man fordern, dass die neuen Straßenschilder gar nicht erst angebracht werden und die Straße eine neuerliche Umbenennung erfährt. Denn Hannah Arendt hatte ein rassistisches Weltbild.
»150 Jahre sind genug – Arndtstraße umbenennen«: Mit einer Petition forderte der Leipziger Alexander John eine Umbenamsung in einen Frauennamen; 126 Menschen unterschrieben sein Anliegen. Die Partei Die Partei brachte es in den Stadtrat ein und schlug wegen der Ähnlichkeit zu Arndt Arendt vor. Der Stadtrat fasste einen entsprechenden Beschluss. So weit so gut, niemand muss unterm Nomen eines Antisemiten wohnen. Allein, man hat sich die neue Namensgeberin nicht genau angeschaut. Ihrem Werk wohnt Rassismus inne. Ihre philosophischen und journalistischen Verdienste bleiben ungetrübt; etwa die Berichterstattung über den Eichmann-Prozess oder die Betrachtungen des tätigen Menschen in »Vita Activa«. Gut, ihr »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« befeuerten Totalitaris-mustheorie und Hufeisen-Modell.
Gruselig sind Arendts Äußerungen über die US-Bürgerrechtsbewegung, die sich für die Emanzipation der Afroamerikaner einsetzte. Diese seien selbst schuld am Rassismus. Ihre primitiven Stammesgesellschaften hätten es den Kolonialisten schon unmöglich gemacht, sie nicht wie Kinder zu behandeln. Solche Vorurteile projizierte sie auf die US-Gesellschaft.
Die Vorwürfe wiegen so schwer, dass das Hannah-Arendt-Center (New York) 2019 eine ganze Konferenz dieser Frage widmete. Mehrere Bücher setzen sich damit auseinander. In der Debatte um die Straßenumbenennung aber war davon keine Rede. Genauso wie die Arndtstraßenbefürworter in ihrer Gegenpetition (eingereicht von einem Borsdorfer) über den Antisemitismus des Schriftstellers schweigen. Die Verkürzung »Antisemit« vs. »Antifaschistin« bleibt unterkomplex. Hinweise auf Arendts Rassismus in sozialen Netzwerken bügelte Die Partei semi-lustig ab (Aren’t-Straße).
Nach Arendt ist das politische Feld eines der Meinungen. Um die muss diskutiert werden dürfen. Wenn das nicht passiert oder man ihren Rassismus einfach wegwischt wie zur Ehrenrettung Arndts dessen Ressentiments, was ist dann gewonnen? Es ist der gleiche Gedankengang. Und daher kann man nur fordern: Benennt die Hannah-Arendt-Straße um!
Wenn dieser Fall eines lehrt, dann, dass historische Prozesse nicht aufhören, die Geschichte Dinge einholt. Es bleibt kompliziert.