anzeige
anzeige
Kultur

Medeas Teufeleien

Das Schauspiel wartet mit zwei überraschend guten Premieren auf

  Medeas Teufeleien | Das Schauspiel wartet mit zwei überraschend guten Premieren auf

Am Schauspiel Leipzig führt aktuell der Teufel persönlich die Magie der Bühnenkunst vor: die Premiere von »Meister und Margarita« begeisterte am Samstag mit bildgewaltigem Bombast und Selbstironie. Schon am Vorabend feierte mit »Eriopis« eine weitere überzeugende Inszenierung ihre Premiere.

»Das kann man nicht glauben. So stellt man doch kein Publikum dar. Völlig unrealistisch. Das sind ja nicht einmal Publikumsdarsteller.« Der Erboste zitiert weitere Theaterkritikerfloskeln: »Da kommt nichts bei mir an. Das will ganz viel, aber ich vermisse Welthaftigkeit!« Mit großem Theater beginnt am Samstag die Premiere von »Meister und Margarita«. Das Versprechen hält den ganzen Abend lang. Tags zuvor überzeugte bereits eine andere Premiere am Schauspiel Leipzig.

»Eriopis« – Projektion und Einfühlung

Blut im Schritt, Blut im Schnee. Eine abgeschnittene Zunge, Haare und Fell. Archaische Motive gibt der weiße Kubus preis, projiziert werden sie mit moderner Handykameratechnik. Um verschiedenste Projektionen kreist »Eriopis«, der Stoff selbst ist eine Projektion aus mythischer Vergangenheit in die Gegenwart. Darin folgt die Autorin E. L. Karhu der Frage, was denn wäre, wenn Medea eine Tochter hinterlassen hätte. Würde diese heranwachsende Frau heute leben, was müsste sie erfahren und ertragen? Und hätte sie es leichter als ihre Mutter, in der alle nur das Fremde und Andere sahen?

An diesem Ariadnefaden entlang entwickelt sich am Schauspiel Leipzig ein wilder Assoziationsreigen aus Text, Musik und Gesang um Gewalt und Zuschreibungen von Weiblichkeit, öffentliches Zur-Schau-Stellen in der Mediengesellschaft, Pubertät und Sexualität. Ließ man sich darauf ein, überwältigte es. Das Setting wird in die Neuzeit transportiert. Scheidungskind und Halbwaise Eriopis soll das elterliche Schlittenhund-Unternehmen leiten. Zum Vater entwickelt sie keine Bindung, muss mit einem am Elend interessierten Publikum kämpfen. Regisseurin Anna-Sophie Mahler hat sich darauf verlegt, aus der Innenperspektive der jungen Frau zu erzählen. Stück für Stück setzen eine Schauspielerin, eine Sängerin und ein Musiker Eriopis‘ Seelenleben zusammen. Wie tickt Medeas Tochter?

Der Abend wirkt wie ein sich drehendes Kaleidoskop, in dem das Licht immer wieder auf andere Glitzersteinchen fällt. Diese Wirkung unterstreichen Handykameraprojektionen. Die starken Bilder haben Sogeffekt. Etwa wenn Yuka Yanagihara mit scheinbar abgeschnittener Zunge in dreifacher Totalen erscheint und vom Geschmack blutiger Lippen singt. Alles ist symbolisch aufgeladen. Das Bühnenweiß meint den Schnee der Nordlandschaft, berührt zudem die Motive Reinheit und Unschuld. Das Blut steht neben dem Mord Medeas an ihren Zwillingen ebenso für Menstruation, Frauwerdung und Zuschneidung des jungen Körpers an gesellschaftliche Normen. Die Überlagerungen der Bedeutungsschichten lassen sich nicht klar trennen. Es geht um Einfühlung, was Mahler in eine lose, aber emotional angehende Bildersammlung übersetzt.

»Meister und Margarita« – der Teufel offenbart die Magie der Bühnenkunst 

Der Teufel des zweiten Premierenabends macht auf Humanist. »In hundert Jahren sind Sie alle klebriger Morast. Aber bis dahin machen wir es uns noch ein wenig hübsch.« Bittere Wahrheit. Auf die Inszenierung von »Meister und Margarita« bezogen, fallen diese Worte zu harmlos aus. Claudia Bauer macht aus dem Roman bildgewaltigen Bombast, der mit den Regeln des Theaters spielt und ja: es feiert.

Michail Bulgakows Jahrhundertbuch wird in ein Bühnenbild verlegt, das den Zuschauersaal des Schauspielhauses spiegelt: Die gleichen braun getäfelten Wände, der opulente Kronleuchter. Hier finden alle Szenen statt, ohne Umbauten. Zu Gitarrenklängen des grungigen Live-Duos beginnt der Szenenreigen: »I‘m a creator, I'm a destroyer.« Das im Roman steckende Mephisto-Thema vom Schöpfer und Zerstörer ist Leitmotiv. Aber als Bühnen-, nicht als Weltgeschehen; oder eben als Geschehen auf der weltbedeutenden Bühne. Hier ist im Hintergrund mehr Shakespeare als Goethe am Werk.

Die Story wird zusammengestückelt nachgespielt – und interessiert nicht wirklich. Denn figurenpsychologisch findet nichts statt. Im rasanten Wechsel der Spielszenen bleiben die Charaktere blass. Das ist nicht weiter schlimm, weil Regisseurin und Spielende sich mehr für zwei andere Momente interessieren. Das ist zum einen die Lust am Grotesken. Von ins Psychedelische reichenden Lichtwechseln begleitet, baut Bauer zahlreiche beeindruckende Tableaus auf. Da zucken libidinöse Leiber, flackern dosiert eingesetzte Projektionen auf, wird Margaritas Hexenflug zum Figurentheater. Eingestreute Songs besorgen rockigen Revuecharakter. Immer wieder entpuppen sich Szenen als Farce, wird mit diabolischer Freude dermaßen »drüber« agiert, dass die Fallstricke von Kitsch und Pathos gar nicht erst aufkommen.

Der zweiten Moment von Bauers Inszenierungsinteresse betrifft das Theater selbst. Die Magie der Bühnenkunst führt der Teufel selbst vor. Er berichtet als Schauspieler Dirk Lange aus der Rolle gefallen von seinem »Hamlet« in Braunschweig. Wie ihm das Publikum an den Lippen hing, als er den berühmten Monolog nicht aufsagte, sondern nur dachte. »Magic!« Und dann rasselt er in Leipzig die Worte »Sein oder Nichtsein« herunter, um zu proklamieren, dass es doch nie um ein Entweder-Oder gehe im Leben. Im Theater schon gar nicht, predigt er seine Wahrheit. Und? Kann man beides überhaupt trennen? Es bleibt als Frage im nebelschwangeren Raum stehen.


Kommentieren


0 Kommentar(e)