anzeige
anzeige
Kultur

Arabischer Frühling



Wie mit Leipziger Hilfe ein Film in Saudi-Arabien entstand, der ein überraschendes Bild der Frauen unter dem Niqab zeigt

  Arabischer Frühling

 | Wie mit Leipziger Hilfe ein Film in Saudi-Arabien entstand, der ein überraschendes Bild der Frauen unter dem Niqab zeigt

Der Spielfilm »Die perfekte Kandidatin« der saudischen Regisseurin Haifaa Al Mansour erzählt sie von einer jungen Frau, die eine Veränderung herbeiführen will und begleitet sie bei dem Kampf gegen verkrustete Strukturen.

Maryam fährt mit ihrem Gebrauchtwagen, den sie sich gerade erst geleistet hat, über die staubige Piste zum Krankenhaus, in dem sie arbeitet, steigt mit großen Schritten über die Schlammlöcher vor dem Eingang, wechselt erst mal das Schuhwerk, als sie in ihrem Büro angekommen ist und sich den Kittel überstreift. Bei alledem legt sie nie den Niqab ab. Der Schleier, der ihr Gesicht verhüllt, ist für viele
Frauen immer noch Selbstverpflichtung in Saudi-Arabien – aus religiösen Gründen oder wie für Maryam, um sich nicht noch mehr Scherereien mit den männlichen Patienten einzuhandeln. So wie dem Alten, der sich auf der Bahre windet, als sie ihn behandeln will. Nicht vor Schmerzen – sie möge ihn bloß nicht anfassen und ihm ja nicht in die Augen sehen. Maryam setzt sich darüber hinweg. Später wird sie den Schleier ablegen und sich der ganzen Welt zeigen.

Die Zeichen stehen auf Wandel in Saudi-Arabien. Der junge Staat, geprägt von Tradition und Religion, vereint aus unterschiedlichen Stämmen und Familien, beginnt sich immer mehr in Richtung Westen zu orientieren. Maryams Vater ist aufgeschlossen. Seitdem die Mutter seiner Töchter starb, ist er alleine für sie da. Sie war Musikerin wie er und beide erzogen ihre Kinder zur Selbstverwirklichung. Dazu zählt für die heißblütige Mittlere Maryam, ihre Meinung zu äußern und ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Wenn sie schon nicht wegkommt aus der Provinz, muss sie eben ihr Umfeld anpassen. Weil ihre Rufe nach einer Verbesserung der Situation im Krankenhaus ungehört bleiben, kandidiert sie für den Stadtrat – und stößt dabei etliche traditionsverhaftete Männer vor den Kopf.

Der Spielfilm der saudischen Regisseurin Haifaa Al Mansour begleitet sie bei dem Kampf gegen verkrustete Strukturen. Wie bereits in ihrem vielfach preisgekrönten Erstling »Das Mädchen Wadjda« erzählt sie von einer jungen Frau, die eine Veränderung herbeiführen will. Schon alleine, dass Mansour den Film in ihrer Heimat realisieren konnte, zeigt, dass die Träume der Selbstverwirklichung nicht mehr unbeantwortet bleiben. »Man sieht auf den Straßen viele junge Frauen ohne Gesichtsschutz oder mit offenen Haaren«, erinnert sich David Schöley. Der Leipziger hat das Land und die Menschen beim Dreh beobachtet. »Dass Frauen nun auch Auto fahren dürfen, war relativ neu, als wir da waren, und man sah tatsächlich auch nur wenige Frauen am Steuer. Unsere Produktionskoordinatorin wird noch immer jeden Tag mindestens einmal von Männern fotografiert.«

Gemeinsam mit dem ebenfalls aus Leipzig stammenden Kameramann Conrad Lobst war Schöley Teil eines deutschen Teams, das im März letzten Jahres für einen Monat nach Riad reiste, um »Die perfekte
Kandidatin« zu realisieren. Ein Kulturschock. »Riad ist mit knapp acht Millionen Einwohnern nicht gerade eine idyllische Kleinstadt«, erzählt Schöley. »Kulturelle Angebote sind spärlich, es gibt ein Nationalmuseum. Relativ am Anfang waren wir aber auch bei einer Kunstausstellung eines jungen saudischen schwulen Malers. Das wäre vor einem Jahr so nicht möglich gewesen. Es entstehen Räume und Möglichkeiten für kreative, andersdenkende, kritische Menschen.«

Die deutschen Filmemacher haben ihre saudischen Kollegen als freundlich und neugierig kennengelernt. »Nach dem Dreh verabredete man sich, ging etwas trinken – natürlich keinen Alkohol – oder essen, machte einen Ausflug in die Wüste oder erkundete die Stadt«, sagt Schöley. »Klar fehlte oft das Knowhow, weil es dort keine vergleichbare Filmindustrie gibt, aber nach ein paar Tagen hat man sich zusammengeruckelt. Und man merkte auch ihren Stolz, an dem Film beteiligt gewesen zu sein.«Trotzdem laufen die Dinge etwas anders als zu Hause, das stellten die beiden immer wieder fest. »Durch die staatliche Unterstützung wurde uns vieles ermöglicht«, erklärt Lobst. »Das Ministerium hatte in die Produktion einen Kollegen eingeschleust, der mit teils magischen Mitteln Probleme löste. Visabeantragungen der nachfolgenden Kollegen gingen deutlich schneller als bei uns. Wenn nötig, gab es Polizeischutz bei Fahraufnahmen auf den Autobahnen oder bei Dreharbeiten in eher zwielichtigeren Vierteln.«

Mittlerweile dürfen saudische Frauen auch ohne Zustimmung des Vormunds einen Reisepass beantragen und frei reisen. Als das Drehbuch entstand, war das noch nicht so. Hier muss Maryam am Flughafen kehrtmachen, weil ihre Reisegenehmigung abgelaufen ist. Die Zeichen stehen auf Veränderung im Königreich.


Kommentieren


0 Kommentar(e)