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Kultur

Vorgefahren – Mit dem Auto ins Kino

Eine obskure Randerscheinung erfährt eine unerwartete Renaissance

  Vorgefahren – Mit dem Auto ins Kino | Eine obskure Randerscheinung erfährt eine unerwartete Renaissance

Aktuell können viele Kinos in Leipzig die Hygiene-Regeln nicht umsetzen. Einer Alternative: Das Autokino. So versammeln sich in und um Leipzig Filmfans auf Parkplätzen und in Industriehallen. Ein Text aus dem Juni-kreuzer.

Lange Zeit wirkten Autokinos wie ein Relikt vergangener Tage. Wer wollte sich schon ernsthaft in einen Benzinfresser setzen, dessen Sitze nicht mit dem Komfort der meisten Kinosessel konkurrieren können, um einen Film durch die Windschutzscheibe zu betrachten? Es gibt viele Gründe, die die meisten bislang vom Erlebnis Autokino ferngehalten haben. Aber dann kam Corona und alles wurde anders.

Mitte Mai ist die Zukunft der Kinos ungewiss. Zwar dürfen sie bundesweit wieder öffnen, allerdings ist dazu unter den gegebenen Umständen kaum ein Kino bereit. Die Hygieneregeln sind für viele Häuser kaum umsetzbar. Für die meisten ist es weniger kostspielig, wenn sie weiterhin geschlossen bleiben, statt für maximal zehn Besucher zu öffnen. Die AG Kino empfiehlt eine bundesweite Öffnung am 2. Juli und die meisten Häuser halten dies für einen guten Richtwert. Solange sind Alternativen gefragt – und so entstehen immer mehr der eigentlich schon abgeschriebenen Autokinos auch in und um Leipzig.

Das CT Taucha hat seinen Spielbetrieb kurzerhand nach draußen verlegt. In einem Lkw-Anhänger in der Mitte eines weitläufigen Parkplatzes im Gewerbegebiet verbirgt sich ein riesiger Projektor mit einer Lichtstärke von 6 Kilowatt. Ein Transmitter spuckt den Kinoton auf der Ukw-Frequenz 98,6 aus. Davor steht eine Gerüstkonstruktion, die eine aus weißen Holzplatten gefertigte Leinwand von 200 Quadratmetern Fläche hält. Theaterleiter Daniel Grahl, der die Lichtspiele Taucha seit 23 Jahren betreibt, hat aus der Not heraus das größte Open-Air-Kino der Region gebaut.

»Wir mussten wie alle Häuser von jetzt auf gleich schließen«, erzählt Grahl. »Aber das Kino verschluckt weiterhin Geld.« Außerdem seien die Besucher hungrig aufs Kino. So war die Idee zum Autokino geboren, das auch nach der Rückkehr in den Kinobetrieb bestehen bleiben soll. »Ich bin mir ziemlich sicher, selbst wenn wir das Kino öffnen können, werden wir nicht von Besuchern überrannt«, schätzt Grahl. »Im Abstand von zwei bis drei Metern im Kino zu sitzen, mit Mundschutz, und aufs Popcorn zu verzichten, macht den Besuchern keine Freude.« So zeigt Grahl jetzt eben Blockbuster auf dem Parkplatz und die Besucher freuen sich, endlich wieder Filme auf der großen Leinwand erleben zu können.

Auch auf der Alten Messe stehen die Autos deshalb seit Ende April Schlange. »In den ersten Wochen waren die Vorstellungen fast immer ausverkauft«, sagt Betreiber Jörg Nicolai. Seit 2002 gibt es das Autokino. Zwei Leinwände ermöglichen zwei parallele Vorführungen am Abend. Nicolai ist Überzeugungstäter: »Mich hat schon immer am Kinobesuch gestört, dass die Kinos so überfüllt waren. Da war die Sehnsucht nach einem Autokino, wo man ganz alleine in seinem eigenen Pkw sitzt, groß. Man kann den Film so genießen, wie man möchte. Man kann knabbern, man kann knutschen, man kann sich unterhalten.«

Eigentlich begann die Saison für Nicolai bereits im März, aber lange Zeit war unklar, wann die Autokinos auch in Sachsen öffnen dürfen. »Dann war das Thema aber plötzlich Ländersache und einige Kinos in Chemnitz und Dresden sind vorgeprescht, da mussten wir einfach mitziehen. Und da hat man schon gemerkt, nach sechs Wochen Ausgangssperre spannt sich bei jedem ein innerer Kulturdruck an, so dass die Leute richtig befreit waren, als sie dann zu uns kommen durften.« Allerdings flaut die erste Welle bereits ein wenig ab. »Das Filmangebot ist mau und langsam hat jeder die Filme gesehen.« Deshalb denkt Nicolai über Alternativangebote wie Konzerte, Kabarett und vielleicht auch Buchlesungen nach.In den Pittlerwerken in Wahren sollte es eigentlich im Juni mit dem Open-Air-Kino losgehen. Aber auch der Biergarten muss nun erst einmal geschlossen bleiben. Kristina Jahreis und Frederic Wickström entwickeln mit ihren Mitstreitern in der ehemaligen Werkzeugmaschinenfabrik eine Kulturstätte mit Ateliers und Veranstaltungsräumen. Nun wird aus dem Kino im Stahlhof eben ein Autokino mit zwei Leinwänden und zweimal rund 30 Plätzen.

»Geplant ist ein breites Portfolio an Filmen«, sagt Wickström. »vor allem Indiefilme, etwas, das zu diesem industriellen Look passt. Aber auch Oscarfilme sind dabei.« Das Luru-Kino bestreitet einen Teil des Programms. Angedacht ist auch ein »Cinema Quarantäna« rund um »Isolation, Zombies, Apokalypse und Pandemie«, sagt Wickström. Jahreis ergänzt: »Wir wollen auch junge Leipziger Filmemacher ansprechen, einen Abend zu bestreiten. Wir probieren das jetzt erst mal aus, bis wir genau wissen, was die Leute sehen wollen, dann fahren wir auf dem Zug weiter.« Am 28. Mai flimmert die erste Vorstellung in den Pittlerwerken. Danach ist das Autokino an jedem Wochenende geöffnet und soll auch weiterflimmern, wenn die Pandemie nachlässt, sagt Wickström: »Wer zur Risikogruppe gehört, soll ja auch ins Kino gehen können.« Und Jahreis ergänzt: »Wir wollen den Charme und die Romantik des Autokinos erhalten.«


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