In dieser Folge von Cunst und Crempel empfiehlt unser Autor nicht nur Comics, die Erfahrungen mit sexueller Gewalt behandeln, sondern auch einen, über einen Menschen, der in der DDR allgegenwärtig war.
Wie verarbeite ich Traumata? Zum Beispiel mit ihrer künstlerischer Verarbeitung. Der bekannteste Fall ist sicherlich »The Crow«. In der Geschichte um den Racheengel im Gothic-Chique steckt die tiefe Trauer und Verstörung ihres Autor James O‘Barr. Seine Freundin wurde von einem Betrunkenen überfahren und starb. Das erklärt die Verzweiflung und Berührung, die aus den Seiten sprechen, die jenseits der gewalttätigen Vergeltungsakte als Abgrund lauern. Ob O‘Barr jemals über den Verlust hinweggekommen ist, erfährt man nicht aus seinem Comic. Mit Selbstermächtigung hingegen verarbeitet Nina Bunjevac in »Bezimena« ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt – in gewohnt grafischer Brillanz.
Vor fünf Jahren machte Bunjevac mit ihrem biografischen Aufschlag »Vaterland« von sich reden, der aus persönlicher Perspektive auf die jugoslawische Geschichte blickt. »Bezimena« hingegen ist unhistorisch, ja überhistorisch, aber ebenfalls Ausdruck persönlichster Gefühle. Im Nachwort, das allen »vergessenen und namenlosen Opfern sexualisierter Gewalt« gewidmet ist, berichtet sie von den tatsächlichen Erlebnisse, die hinter dem Comic stecken.
Die Geschichte selbst ist Ausdruck von Empowerment, weil sie den Täter zum Objekt macht. Angelehnt hat Bunjevac die Story an die Sage von Artemis und Siproites: Der junge Mann stellt der schönen Jagdgöttin nach, beobachtet sie beim Baden und wird zur Strafe in eine Frau verwandelt. Was nicht gerade nach Emanzipation klingt – Frau-Sein als Buße? –, wird durch Metamorphose möglich. Wie in einer Parabel schaut man erst dem antiken Spiel zu, dann transformiert sich die Geschichte ins Schicksal eines Mannes, der sich ermutigt sieht, seine Fantasien auszuleben. Um schlussendlich zu erfahren, dass er nur Spielball einer sich selbst befreienden Frau ist.
Sofort ist man im Sog der Bilder. Bunjevac‘ fotorealistischer Stil ist einmal mehr bestechend. Wie Radierungen wirken ihre Bilder, so fein sind die Schraffuren. Mit wenigen Worten sind die Sprechblasen gefüllt, umso erschlagender die Bildgewalt dieses großartigen Comics.
Die weiblichen Vorzeichen
[caption id="attachment_90587" align="alignright" width="211"] Cover: Schreiber & Leser[/caption]
Das Trauma der verklemmten 70er-Jahre bearbeitet »Omaha«. Kaum zu glauben, dass es bis jetzt gedauert hat, bis der Selbstermächtigungs-Streifen um die Nackt-Katzen-Tänzerin endlich auf Deutsch erscheint. Kate Worley schrieb die Storys, die Reed Waller in explizite Bilder packte. Omaha tanzt im Nachbarschafts-Nachtclub Kitty Korner und lässt strippend das Publikum ausrasten. Dann soll der Club geschlossen werden, regen sich Aufruhr und Widerstand im Hinterland. Der abgedrehte Unterground-Comic hat sicherlich viel von seinem subversiven Zugriff verloren, der sich dem damaligen Zeitgeist entgegenstellte. Witzig sind die Geschichten aus dem Alltag der Striptease-Katze und ihrer Lieben aber immer noch. Und ein Ausdruck weiblichen Selbstbewusstseins, von sexueller Lust und Null Bock auf Enthaltsamkeit in allen Belangen. »Omaha« ist mit vollem Recht als »Fritz the Kat« mit weiblichen Vorzeichen gelobt worden. Traumhaft, dass dieser Underground-Klassiker nun auch auf Deutsch zu haben ist.
Wunde Kolonialismus
[caption id="attachment_90582" align="alignleft" width="260"] Cover: Correctiv[/caption]
Verschollen: Irgendwie wurde der Kolumnist erst spät auf diesen Comic-Band aufmerksam. Zu spät ist es aber nicht, denn er lohnt, vorgestellt zu werden. In »Made in Germany: Ein Massaker im Kongo« dokumentieren der Zeichner Grégory Dabilougou alias El Marto und der Journalist Frederik Richter ein Verbrechen der Gegenwart. Das allerdings fußt auf der blutigen Geschichte des Kolonialismus. Im Ostkongo hatte die ruandische Miliz FDLR Massaker an der Zivilbevölkerung verübt. Ihre Anführer allerdings lebten lange unbehelligt in Deutschland. Erst 2015 wurde der Miliz-Chef in Stuttgart zu 13 Jahren Haft verurteilt. Wie kann das sein, fragt sich El Marto, und beschließt, sich auf eine Reise zu gehen. Sie führt nach Deutschland, wo auf der Berlin-Konferenz einst der afrikanische Kontinent (auf-)geteilt wurde. Zusammen mit Journalist Richter bestreitet er die Spurensuche, die er im Comic als informative Reportage nachzeichnet. Die Gefahr der Ich-Erzählung, seine Person zu sehr in den Vordergrund zu schieben, entgeht El Marto. Vielleicht, weil das Thema so brutal ist, vielleicht liegt es an seinem Aufklärungswillen. Jedenfalls passen die Bilder in ihrer subjektiven Perspektive hervorragend zu den teilweise im Berichtston gehaltenen Schilderungen der Ereignisse. Dadurch gelingt noch einmal ein anderer Blick auf das eigentlich Unerhörte, dass eine Miliz von Deutschland aus agieren konnte.
Kopf-Geburten
[caption id="attachment_90583" align="alignright" width="250"] Cover: Edition 52[/caption]
»Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, muß durch ihren Kopf hindurch; aber welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, hängt sehr von den Umständen ab.« Friedrich Engels steht im Schatten Karl Marx‘. Zu Unrecht, war er doch ein eigenständiger Denker. Das ein bisschen zu ändern und dem Revolutionstheoretiker zu gratulieren, ist Ansinnen von »Engels-Gesichter«. Immerhin wurde er vor 200 Jahren in Wuppertal geboren. Das Buch, herausgegeben vom ebenfalls gebürtigen Wuppertaler André Poloczek, versammelt einige kleine Texte und viele Karikaturen, die sich Engels auf die eine oder andere Weise widmen. Darunter sind Klassiker wie Marx und Engels auf dem Arbeits-Amt oder der Bananen-Regen, gegen den kein sozialistischer Schirm hilft. Manchmal geht es nur um Marx – das hätte Engels nicht verdient. Auch die Themen soziale Gerechtigkeit, Arbeitskampf und gesellschaftliche Verwerfungen werden geschrammt. Das ist insgesamt sehr kurzweilig, auch wenn man Engels nicht wirklich näher kommt, fast nicht näher. Denn, dass er auch selbst Karikaturist war, wird im Buch gezeigt, und das ist erstaunlich.
Grumpy Galleristin
[caption id="attachment_90584" align="alignleft" width="250"] Cover: Reprodukt[/caption]
Nein, über ein großes Herz verfügt Cassandra Darke nicht. Höchstens für sich selbst kann sich die Londoner High-Society-Lady erwärmen. Von Habgier und Missgunst getrieben führte sie ihr Leben. Und es war ihr auch egal, mit gefälschter Kunst zu handeln. Nur aufzufliegen, das wäre ihr gern erspart geblieben. Denn dadurch verlor sie nicht nur die Galerie, sondern auch die Reputation. Seltsam, dass sich eine wie sie in einen Mordfall verwickeln lässt, der nichts mit ihr zu tun hat. Noch seltsamer, dass Cassandra sich allmählich selbst erkennt, als böse ältere Dame. Und noch viel seltsamer, dass altruistische Muskeln zucken. Am seltsamsten ist jedoch der Comic, der wie seine Protagonistin heißt. Denn es ist eine hinreißende Geschichte, die in hinreißenden Bildern erzählt wird. In Pastellstiften koloriert, sind die Bilder sehr atmosphärisch, spiegeln die graue Jahreszeit kurz vor Weihnachten und manchmal das wärmende Licht der Innenräume. Sehr genau und doch mit Schwung sind die Mimiken eingefangen. Man folgt gern dem Bilderreigen und ist von den beigefügten Bleigräbern einfach erschlagen. Es herrscht eine krasse Disbalance zwischen Text und Grafik und man weiß nicht, warum Posy Simmonds nicht sparsamer mit Worten erzählen konnte. Die Bilder reißen einen mit, während das ABC als Hemmschuh ausfällt in diesem unausgewogenem Comic.