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Stadtleben

»Leipzig hat noch einen weiten Weg vor sich«

Aktivistinnen im Gespräch über ihre Erfahrungen als Schwarze Frauen in Leipzig

  »Leipzig hat noch einen weiten Weg vor sich« | Aktivistinnen im Gespräch über ihre Erfahrungen als Schwarze Frauen in Leipzig

»Schwarze Leben zählen« hieß es auf den Demonstrationen in Leipzig. Doch wie steht es um die Realität von Schwarzen Menschen in Leipzig? Darüber sprach der kreuzer mit Anne-Christin Tannhäuser und Tania Walter. Beide sind Teil der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Nach dem ersten Teil sprechen sie im zweiten Teil über sichere Stadtteile, antirassistische Trends und die Sichtbarkeit Schwarzer Perspektiven in Leipzig.

kreuzer: Wie ist der Leipziger Alltag für eine Schwarze Frau?WALTER: Es gibt bestimmte Orte in der Stadt, die ich, wenn ich gehäuft von Vorfällen höre, lieber meide.

kreuzer: Es gibt also einen Austausch darüber, welche Stadtteile sicherer sind?WALTER: Ja. Unter betroffenen und linksgerichteten Menschen tauscht man sich auf unterschiedlichste Weise aus.TANNHÄUSER: Es wird auch darüber gesprochen, in welchen gastronomischen Einrichtungen rassistische Vorfälle passieren und wie Inhaberinnen damit umgehen. Welche Cafés, Bars, Restaurants sicher sind und welche weniger. Ich gehe zum Beispiel nicht mehr in meine Stammkneipe.

[caption id="attachment_99335" align="alignright" width="320"] Anne-Christin Tannhäuser, Foto: privat[/caption]

kreuzer: Warum?TANNHÄUSER: Ich war dort bis auf wenige Ausnahmen die einzige Schwarze Frau und bestimmte Meinungen über Seenotrettung, Geflüchteten oder Raubgüter in europäischen Museen hielt ich nicht mehr aus. In meiner Gegenwart wurden zum Beispiel Debatten geführt, ob man das N-Wort aussprechen dürfe, dabei wurde das Wort jedes Mal ausgesprochen. Ich fühlte mich nicht mehr sicher. Dabei geht es teilweise um 20 bis 30 Jahre alte Debatten, die andernorts bereits geklärt wurden. In Leipzig kann man auf eine Integrationsmesse gehen, auf der nur weiße Männer Reden halten, so lief das noch 2019. Das funktioniert woanders nicht mehr.

kreuzer: Warum ist Leipzig so hintendran?WALTER: Es gibt kein tatsächliches Zuhören und Verständnis für unser Erleben, unsere Wahrnehmung bezüglich Rassismus. Auch die Black-Lives-Matter-Demonstration am 7. Juni mit über 15.000 Teilnehmerinnen vermittelte mir das Gefühl, dass es hier mehr um einen Trend geht. Wer und was wirklich dahinter steht wird sich erst in Zukunft zeigen.TANNHÄUSER: Auf die Demo ist eine Person sogar mit Blackface gegangen. Das zeigt eindeutig, dass wir hier ein Verständnisproblem haben. Die Flagge der Weltoffenheit, die in Leipzig sehr offensiv vor sich hergetragen wird, oft in Abgrenzungen zu Dresden oder anderen sächsischen Städten, wird zum Hindernis für Rassismusdebatten. Leipzig hat noch einen weiten Weg vor sich.

kreuzer: Kann das sein, dass Leipzig weißer aussieht, als es ist?TANNHÄUSER: Natürlich gibt es Schwarzes Leben in Leipzig, aber wir müssen für unsere Bühne und Hörbarkeit kämpfen. Der Rassismus in Leipzig geht über rassistische Polizeigewalt hinaus. Man kann auch auf den Leipziger Zoo schauen. Der Zoo macht Veranstaltungen an einem Ort, in dem es Völkerschauen gab, die nie aufgearbeitet wurden. Auf der Website vom Zoo findet man nichts über diesen Teil der Geschichte. Dieser Zoo macht Hakuna-Matata-Veranstaltungen, auf denen »exotische« afrikanische Tänzerinnen auftreten und »afrikanisches Essen« angeboten wird. Was auch immer »afrikanisches Essen« sein soll, Afrika ist ein Kontinent mit 54 Ländern. Wenn der Zoo heute mit derartigen Veranstaltungen Schwarze Körper ausstellt, dann ist das ein Ableger der Völkerschau und baut auf Kolonialismus auf. Und da fließen städtische Gelder rein.

kreuzer: Wie können Schwarze Perspektiven in Leipzig hörbarer gemacht werden?TANNHÄUSER: Weiße Menschen müssen sich mit Rassismus als etwas Strukturelles auseinandersetzen. Echte Änderungen können zurzeit kaum von betroffenen Menschen selbst durchgesetzt werden, weil wir es in der Regel schwerer haben, in Schlüsselpositionen zu gelangen.

kreuzer: Hat die Sichtbarkeit auch Nachteile?TANNHÄUSER: Ja. Je sicht- und hörbarer wir werden, umso stärker wird der Gegenwind – privat wie politisch. In meinem aktivistischen Umfeld wurden viele Menschen bedroht. Ich habe mich auch gefragt, ob ich nur noch mit Künstlernamen auftrete.WALTER: Ich wurde vor einigen Jahren Opfer eines rassistisch motivierten Anschlags. Diesbezüglich habe ich die Polizei alarmiert, von der die Situation ganz klar heruntergespielt wurde. Es wurde auf einen Zufall geschoben, es hätte jeden treffen können. Warum aber wurden dann nur meine Fensterscheiben eingeschlagen, wenn es eine ganze Straße mit Fenstern gab?

kreuzer: Wie kann sich die Wahrnehmung ändern?WALTER: Es besteht Redebedarf mit der Leipziger Bevölkerung, auch mit jenen Menschen, die am 7. Juni auf der Black-Lives-Matter-Demonstration waren. Wir müssen Klarheit schaffen und erklären, dass uns zuerst einmal zugehört werden muss. Die weiße Mehrheitsgesellschaft kann sich kein Bild davon machen, wie das Leben einer von Rassismus betroffenen Person ist. Außerdem muss vieles auf politischer Ebene passieren. Es ist wichtig, dass die Stadt Namen ändert, zum Beispiel die Mohrenapotheke. »Leipzig ist eine, tolerante und antirassistische Stadt« klingt super, muss aber erst gewährleistet und verdient werden.TANNHÄUSER: Es müssen auch klar antirassistische Maßnahmen auf kommunaler Ebene eingeführt werden, und das muss in Zusammenarbeit mit den von Rassismus betroffenen Expertinnen geschehen. Weltoffenheit ohne Rassismus sollte als stadtpolitisches Ziel gesetzt werden, denn die Leipziger Realität für uns Schwarze Menschen sieht sehr anders aus.


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1 Kommentar(e)

Gerda M. 08.07.2020 | um 14:10 Uhr

„Afrikanisches Essen“ als rassistisch zu deklarieren, ist weit überzogen. Sollte ebenso ein „Continental Breakfast“ oder ein „English Breakfast“ kritisiert und als rassistisch bezeichnet werden, weil einzelne Länder oder Provinzen hiermit angeblich nicht berücksichtigt sind. Frühstücken die Franzosen wie die Tschechen? „Chinesisches Essen“ betrifft auch ein großes Land, sollte man gleich den „Chinabrenner“ umbenennen und hinweisen? Sich in „Migrantenorganisationen“ zu engagieren ist demnach genauso oberflächlich, weil es den einzelnen Migrationshintergrund nicht berücksichtigt? Passt natürlich zur Gesinnung. Wer sind die „von Rassismus betroffenen Expertinnen“, wie wird man zum Experten? Vielleicht etwas zu lange Erziehungswissenschaften studiert und am selben Ort gelebt, um nun hier in der europäischen Provinz erziehen zu wollen. Eine Weltreise um einen auf sich selbst weniger diskriminierenden Blick zu schulen, kann unterstützend wirken: Japan, Saudi-Arabien, UK, Canada für einen kulturellen Weitblick. Die Kolonialisierung und vormaligen Strömungen sind nicht zu entschuldigen, jedoch gleich die Mohrenapotheke als etwas negatives zu instrumentalisieren, ist kleinkariert. Die Zukunft soll bunt und offen sein. Derartige Zeitgeistige Umbenennungen sind gekünstelte Einschränkungen und führen zu Begrenzung der Vielfalt. Ostdeutsch bleibt ostdeutsch; weiblich bleibt weiblich und bestimmt werden Chinesen weiterhin Schlitzaugen haben (Entschuldigung!) und Schweden häufig blond sein. So lebt jeder seine angebliche Benachteiligung. Nur aus Prinzip in en Vogue Strömungen mitzuschwimmen, langweilt. Die Erziehungswissenschaften sollten einfach an einer Schule oder Kita „erziehen“ und damit Gutes tun. Unabhängig der Haar-, Hautfarbe oder sonstiger Äußerlichkeiten. Any Colour all gender lives matter! Time to wake up!