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Kultur

»Ich konnte gar nicht singen«

Liedermacherin Sarah Lesch über die Musikbranche, ihre Anfänge in Baden-Württemberg und Kinderlieder für Erwachsene.

  »Ich konnte gar nicht singen« | Liedermacherin Sarah Lesch über die Musikbranche, ihre Anfänge in Baden-Württemberg und Kinderlieder für Erwachsene.

Es ist ein Dienstagmorgen im Palmengarten. Die Liedermacherin Sarah Lesch erscheint gut gelaunt. Am Wochenende hat sie noch ein Video für ihr neues Album gedreht. Im Interview mit dem kreuzer erzählt sie von ihrer Arbeit und erklärt, warum sie zurück in den Osten wollte. Ein Interview aus dem Heft 07/20.

kreuzer: Sie sind 2015 von Tübingen nach Leipzig gezogen. Wieso hierher?SARAH LESCH: Weil ich hier Wurzeln habe. Mein Vater und ein Teil seiner Familie leben in Leipzig. Außerdem war ich damals auch auf der Suche nach etwas Neuem und mir war klar, dass ich wieder im Osten leben wollte. Das war zur selben Zeit, als ich die Leute von meinem heutigen Label hier aus Leipzig kennengelernt habe. Irgendwie hat sich da alles so ein bisschen gefügt.

kreuzer: Welche Unterschiede haben Sie zwischen Ost und West festgestellt?LESCH: Meine Familienmitglieder sind ja Ossis. Ich habe das von Anfang an so empfunden, dass wir eine ganz andere Mentalität hatten als die Schwaben. Meine Mutter war zu der Zeit, als sie mit mir in den Westen zog, voll berufstätig. Und ich bin später ja auch mit achtzehn Jahren Mutter geworden. Da kam dort oft die Frage, wie man nur sein kleines Kind in die Kita geben könne. Das ist einfach alles etwas konservativer in Schwaben. Hier im Osten ist das anders. Hier gibt es viele starke Frauen, viele starke tolle Männer, die anders miteinander funktionieren, finde ich.

kreuzer: Ihr Vater ist der Musiker Ralf Kruse. Welchen Einfluss hatte er auf Ihren Wunsch, Musikerin zu werden?LESCH: Ich habe meinen Vater erst kennengelernt, als ich schon erwachsen war. Als Kind habe ich ihn im Fernsehen gesehen. Und dann war ich auch riesiger Prinzen-Fan und mein Papa war früher bei denen und bei Amor und die Kids. Nach der Wende ist das alles zusammengekracht. Die Plattenfirmen sind pleitegegangen und dann hat man halt gesagt: Okay, jetzt machen wir Schlager, weil – das kommt im Westen wahnsinnig an. Mein Vater war damit sehr unglücklich. Er ist dann ausgestiegen. Wir nähern uns eigentlich jetzt erst an. Wenn du als Kind siehst, dass dein Papa Musiker im Fernsehen ist, ich glaube, das macht was mit dir.

kreuzer: Wie nehmen Sie als Zugezogene Leipzig wahr?LESCH: Als ich hergekommen bin, habe ich Luftsprünge gemacht, wie günstig hier die Mieten sind. Das hat sich aber wieder verändert, finde ich. Für mich ist Leipzig eine Großstadt. Ich mag aber diese kleinen Stadtteile, wo unabhängige Läden zu finden sind und wo man das Gefühl haben kann, man ist doch irgendwie in einem Dorf. Was die Stadt mit Tübingen verbindet, ist so eine gewisse Weltoffenheit. Da kann man sich viel holen, geistig und menschlich.

kreuzer: Wie lief Ihr Einstieg in die hiesige Musikszene?LESCH: Da brauchte ich ein bisschen. Weil ich immer auf Tour war, hatte ich kaum Zeit für mein Leben hier. Eigentlich bin ich erst in der Coronazeit so richtig in der Stadt angekommen. Was mir sehr geholfen hat, war die Liedertour von Frank Oberhof. Da sind ganz viele Musiker und Musikerinnen dabei. Die fahren dann die Schlösser um Leipzig ab und spielen dort für wenig Geld und ohne Anlage. Das war eine beeindruckende Erfahrung, dort mitzufahren. In dem Zuge habe ich mich noch mal richtig in Leipzig verliebt. Und dann habe ich so ein bisschen die Szene hier kennengelernt, also Leute, die auf der Musikschule waren – deren Welt war mir als Autodidaktin erst mal ziemlich fremd. Inzwischen spiele ich mit einigen von ihnen.

kreuzer: Wie kann man sich diese Zusammenarbeit vorstellen?LESCH: Also, die merken natürlich, dass ich manchmal nicht die Worte habe, um zu beschreiben, was ich gerne hören möchte. Wobei ich auch festgestellt habe, dass die Leute, die musikalisch wirklich gut sind, oft von alleine spüren, was meine Musik braucht. Ich fahr jetzt zum Beispiel mit Jan Frisch und Steffi Nau oder arbeite viel mit Tim Ludwig von Bye Bye zusammen. Das sind alles Leipziger Musiker, die sehr gut damit umgehen können, dass ich Autodidaktin bin. Ich glaube, das ist so ein gegenseitiges Lernen, wie man an Sachen herangeht. Ich bin zum Beispiel total angstfrei bei Auftritten.

kreuzer: Sie kennen keine Bühnenangst?LESCH: Klar gibt es Situationen, da habe ich Druck, wenn wir einen großen Gig haben und die Leute sind ganz still und ich merke, oh Gott, da passiert jetzt ein Fehler und ich muss irgendwie ein Gedicht vortragen, damit keiner merkt, dass was passiert ist. Aber eigentlich bin ich da immer relativ angstfrei, im Verhältnis zu anderen studierten Musikern, die ich kenne. Bei denen habe ich oft das Gefühl, da ist so ein Leistungsdruck. Die sind so eingeschüchtert. Was gar nicht nötig wäre, weil sie megageile Musiker sind.

kreuzer: Das Autodidaktische hat etwas Befreiendes für Sie?LESCH: Ja, auf jeden Fall. Ich bin ja früher auch viel weggeschickt worden so mit der Aussage, hey Mädel, du kannst nicht singen, geh wieder heim. Da wollte niemand mit mir arbeiten. Ich habe auch alle Wettbewerbe und Preise immer verloren. Ich konnte nicht singen und auch nicht Gitarre spielen.

kreuzer: Haben Sie jemals daran gedacht, aufzugeben?LESCH: Nein. Ich habe das einfach gemacht und es war mir gar nicht so wichtig, wie das jemand findet, also, klar war es mir auch wichtig, wie das jemand findet, weil das immer gut ist. Aber es war nicht mein ausschlaggebender Motor, um meine Texte und Lieder zu schreiben.

kreuzer: Was war denn dann ausschlaggebend?LESCH: Ich würde mal sagen, die Sehnsucht wars und die Trauer und der Schmerz. Zu der Zeit habe ich noch in einem Kindergarten gearbeitet und viel Kindertheater gemacht. Dabei habe ich gelernt, Hemmungen abzubauen und meine Lieder zu schreiben. Dann gab es einen Trauerfall in meiner Familie. Das war ein Punkt in meinem Leben, wo ich gemerkt habe, das kriege ich gerade überhaupt nicht verarbeitet. Damals habe ich mich gefragt, was die Summe wäre, bei der ich lächle und wo ich sage, das wäre schon geil. Und das war eben die Musik. Als ich einmal damit begonnen hatte, wollte ich nur noch Lieder schreiben und nicht, dass mir da irgendwas meine Zeit klaut. Also habe ich mich als Musikerin selbstständig gemacht. Das hat allerdings dazu geführt, dass ich, neben den Auftritten, kaum noch Zeit für die Musik hatte.

kreuzer: Wieso das?LESCH: Wegen des Tourens zum Beispiel. Am Anfang fand ich das immer ganz aufregend und toll. Relativ schnell wurde das für meinen Körper und meinen Geist aber komplett zermürbend. Den ganzen Tag im Auto sitzen und dann in fremden Städten ankommen, wo du im Keller sitzt und wartest, dass da irgendwann die Lichter angehen. So ein Arbeitstag ist unfassbar lang. Und das, was ich zum Schreiben brauche, ist ganz viel Langeweile, Natur und Menschen. Wenn du selbstständig bist, hast du einen mordsmäßigen Druck – und an den CDs verdienen wir alle nichts mehr, das ist nichts Neues.

kreuzer: Haben Sie mal überlegt, bei einem Majorlabel zu unterschreiben und damit vielleicht die Situation zu entspannen?LESCH: Ja. Aber als Angebote kamen, haben wir uns gemeinsam dagegen entschieden. Also, das Team und ich. Ich habe ja das Glück, mit Rajk Barthel von Kick the Flame ganz eng zusammenzuarbeiten. Bis das so weit war, war es aber ein ziemlicher Weg. Bei mir kam das Wachstum mit einem Schlag und ich wollte nicht loslassen. Ich wollte am liebsten alles selber machen. Das war für die, glaube ich, nicht einfach, in den ersten Jahren mit mir. Ich hatte auch sehr viel Misstrauen und Vorbehalte: So, warte mal, wieso sollen wir das jetzt machen – nur weil wir dann Geld verdienen? Aber das Problem ist, das Geld ist nun mal die Tauschwährung und wenn ich ein großes Team wertschätzend nähren will, dann muss ich auch gucken, wo das Geld herkommt. Natürlich wäre ein Major verlockend, weil man da andere Arbeitsstrukturen zur Verfügung hat, aber ich weiß auch von Kolleginnen, die mit Majors gearbeitet haben, dass du nur hinten runterfallen kannst in dem System.

kreuzer: Die Corona-Krise trifft die Musikindustrie. Wie nehmen Sie das wahr?LESCH: Ich glaube, die ganze Musik- und Kulturbranche geht gerade völlig krachen und wir kennen da bisher erst die Spitze des Eisbergs. Das wird noch richtig schlimm. Letztlich zeigt uns diese Krise aber nur, was vorher schon scheiße gelaufen ist. Nämlich, dass die ganze Welt sich über Streaming mit unseren Songs versorgt und wir daran nichts verdienen. Dass die lokalen Radios massiv wenig lokale Künstlerinnen spielen, obwohl die da wären.

kreuzer: Welche Auswirkungen hat die Situation auf die Leipziger Szene?LESCH: Ich erlebe, dass viele Angst haben. Es gab ja in Sachsen relativ spät überhaupt irgendwelche Hilfspakete und dann waren sie halt schnell leer. Ich habe nichts bekommen und auch andere, die ich kenne, haben nichts bekommen oder ewig lange drauf gewartet. Ich erlebe die Menschen hier aber sehr solidarisch. Viele geben Musikunterricht. Das mache ich nicht. Ich habe diesen Zweitweg nicht. Ich hab nur mein Schiff, und das muss ich jetzt irgendwie steuern – und da gehts ums pure Überleben für mich und für mein Umfeld.

kreuzer: Was halten Sie vor diesem Hintergrund von der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens?LESCH: Ich glaube, das würde viel mit mir machen. Ich habe da oft drüber nachgedacht in letzter Zeit und mich gefragt: Okay, was wäre, wenn du jetzt wüsstest, du musst dir um Kohle keine Gedanken machen? Da ist mir irgendwie das Herz ein bisschen in die Hosen gerutscht, weil ich gemerkt habe, vielleicht würde ich dann doch auch noch mal ganz andere Dinge ausprobieren. Unsere Gesellschaft hat da ja total Angst vor. Viele sagen, dann werden alle faul. Aber das glaube ich überhaupt nicht. Ich glaube, das dauert eine Weile und dann kommt die Lust, was Neues zu erschaffen.

kreuzer: Sie äußern sich immer wieder politisch, sind im September bei einer Fridays-for-Future-Demo aufgetreten. Erwarten Sie das auch von anderen Künstlern, mit einer gewissen Reichweite?LESCH: Ich bin da sehr zwiegespalten. Sagen wir es mal so: Ich finde es bei manchen schade, dass sie ihre Reichweite nicht nutzen, um vielleicht einen Einfluss zu haben, der wichtig wäre. Ich respektiere und verstehe aber, wenn Menschen sagen, ich bin Künstlerin in erster Linie und keine Politikerin oder irgendwas. Ich finde außerdem auch diese Erwartungshaltung an Künstler, dass sie das Maul aufmachen müssen, schwierig. Oder dass sie gar ihre Kunst anders schreiben, oder ihre Poesie verändern. Das ist das, was es ist. Wenn ein Lied rauskommt, dann ist dieses Lied so. Was ich aber in meinem Social-Media-Kanal noch so von mir gebe oder wie auch immer, ich finde, da hat wirklich jeder das Recht, genau das zu tun, was sich für ihn richtig anfühlt. Alles, was konstruiert ist, ist Quatsch. Wenn dein Label dir sagt, sag doch auch mal was zum Rassismus, dann kannst du es auch gleich bleiben lassen. Denn wenn du dich nicht so fühlst und irgendwas erzählst, das merken die Leute, die sind ja nicht blöd.

kreuzer: Wie, denken Sie, wird es mit Fridays for Future weitergehen?LESCH: Ich habe das Gefühl, dass die an dem Thema dranbleiben und weiter demonstrieren werden. Ich unterstütze das und glaube auch, wir müssen da frecher werden, und zwar alle.

kreuzer: Sie bezeichnen sich als Liedermacherin. Was bedeutet der Begriff für Sie?LESCH: Für mich ist das ein toller poetischer Begriff. So ähnlich wie Hutmacherin. Ich mag die Idee, dass das, was ich mache, ein Handwerk ist. Außerdem sind meine Vorbilder wie Dota Kehr, Franz Josef Degenhardt oder Gerhard Schöne auch alle Liedermacher. Ich bin ja niemand, der ein besonders geiles Instrument spielen kann. Mir gehts vorrangig ums Geschichtenerzählen, ich liebe einfach Texte, Lyrik und Geschichten. Das macht für mich Liedermacherei aus.

kreuzer: Vor Ihrer Karriere haben Sie als Erzieherin gearbeitet. Gibt es Momente, in denen Sie es bereuen, das aufgegeben zu haben?LESCH: Ich hatte einen wahnsinnig schönen Arbeitsplatz und ich vermisse die Menschen dort. Die Arbeit an sich fehlt mir allerdings nicht, weil ich schon glaube, dass ich da einem guten Impuls gefolgt bin.

kreuzer: Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie für Kinder oder für Erwachsene spielen?LESCH: Nee. Aber manchmal kommen nach meinen Konzerten Erwachsene zu mir und sagen, das hat irgendwie so einen Zauber und ich muss da zuhören. Ich werde ganz oft gefragt, wie schaffst du das – und ich glaube, dass ich da viel in meiner Zeit als Erzieherin gelernt habe. Wenn du mit Kindern arbeitest, musst du verstehen: Wie kann ich sie dort abholen, wo sie gerade stehen? Also, wie kann ich ihr Interesse wecken und sie damit motivieren, mir zu folgen, in meinen Gedanken und der Geschichte, die ich gerade erzähle? Vieles, was ich in meiner Erzieherausbildung und der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gelernt habe, wende ich auch an, wenn ich auf meinen Konzerten bin. Das heißt jetzt nicht, dass ich die Erwachsenen da wie Kinder sehe. Ich sehe einfach Menschen wie Menschen. Für mich haben Kinder den gleichen Respekt verdient wie eine alte Frau oder ein alter Mann, der oder die wahnsinnig viel geleistet hat.

kreuzer: Sie schreiben aktuell wieder Lieder für Kinder?LESCH: Ja. Ich arbeite gerade an einer Kinderlieder-CD. Das habe ich noch nie gemacht und hatte total Bock drauf. Also, ich finde, es gibt tolle Kinderlieder, es gibt aber auch Lieder, wo du denkst: Oh, die Kinder sind doch nicht dumm und die Eltern müssen sich das auch den ganzen Tag reinziehen. Ich versuch das einfach so zu machen, dass es Lieder für Menschen jeden Alters sind. Die Songs sind vielleicht ein bisschen einfacher geschrieben, zugänglicher für einen Kinderkopf. Aber deswegen sind sie nicht so, dass Erwachsene die nicht auch schön finden können. Für mich ist, was solche Lieder für Kinder und Erwachsene angeht, Gerhard Schöne ein großes Vorbild.

kreuzer: Wie hat es Ihre Karriere beeinflusst, dass Sie von Beginn an auch Mutter waren?LESCH: Sehr. Weil ich sonst nicht genug Langeweile und Sehnsucht gehabt hätte. Ich war ja so jung und meine ganzen Freundinnen, die sind alle ins Ausland und dann haben sie studiert. Ich saß währenddessen zu Hause, abends um acht, Kind im Bett, und dachte: Super, da bist du zwanzig und sitzt irgendwie in der Küche. Dann habe ich mit meiner Freundin telefoniert und die hat gesagt, oh, ich bin gerade in New York. Und dann war mein Sohn natürlich selbst eine Inspiration für mich. Für dein Kind würdest du immer früh aufstehen, egal wie scheiße es dir geht. Er hat mir gezeigt, welche Kraftreserven in mir stecken – und das, würde ich schon sagen, hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich meinen Weg so krass gegangen bin und auch Aufgeben für mich keine Option war. Das ist ja auch eine Verantwortung, die ich habe.

kreuzer: Was sagt Ihr Sohn zu Ihrer Musik?LESCH: Mit Band findet er es ganz schön cool. Und er sagt, er ist sehr stolz auf mich. Es ist jetzt nicht so, dass er überall rumgeht und sagt, oh, meine Mama ist so toll. Manchmal ist es aber so, dass er mit einem verschmitzten Lächeln sagt, oh, das ist schon cool, bin schon stolz. Und er ist echt auch, das mag ich total, sehr geerdet. Der mag mich sehr gerne auch als Mama bei sich haben und als Menschen, und den nervt es auch, wenn darum so ein Hype ist.

kreuzer: Ein kleiner Blick in die Zukunft. Haben Sie vor, in Leipzig zu bleiben?LESCH: Ja, erst mal schon. Ich fühl mich hier sehr wohl und ich hab hier ganz wunderbare Menschen kennengelernt. Ich kanns hier echt gut leiden.


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