Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Diesmal liest Familienredakteur Josef Braun »Kinder wollen« und taucht damit ein in die Auseinandersetzungen rund um Elternschaft, Kinderwunsch und Reproduktionsmedizin.
Mit jeder Erfindung öffnet sich für die Philosophie ein Themenfeld. Sollte das, was plötzlich möglich ist, auch erlaubt sein? Ist es richtig? Selten wird um solche Fragen so heftig und oft ideologisch gestritten wie auf dem Gebiet des Kinderwunsches. Abtreibung, künstliche Befruchtungen, Leihmutterschaft oder Präimplantationsdiagnostik gehören zu den zahlreichen Themen, mit denen sich werdende Eltern heute konfrontiert sehen. Viele haben sich erst durch wissenschaftlichen Fortschritt ergeben.
Die Philosophin Barbara Bleisch und die Rechtswissenschaftlerin Andrea Büchler haben keine neue Formel parat. Die beiden Autorinnen wissen nur zu gut, dass es auf moralische Fragen keine eindeutigen Antworten gibt. Also halten sie sich gar nicht erst damit auf, solche zu entwerfen. Stattdessen zeichnen sie in großer Genauigkeit die Debatten rund ums Thema Kinderkriegen nach. Und widmen sich den Fragen, die sich daraus ergeben. Ab wann ist etwa ein Embryo ein Mensch? Dürfen Frauen, die Kinder anderer Pärchen austragen? Und falls ja, unter welchen Voraussetzungen? Sollten wir die Gene von Ungeborenen verändern, wenn wir damit das Risiko für Krankheiten reduzieren können? Oder ist jeder Eingriff in unsere Genetik ein Eingriff, in das von Jürgen Habermas so bezeichnete »Unverfügbare«?
Bleisch und Büchler zeigen die moralischen Felder, auf denen sich werdende Eltern, genauso wie die gesamte Gesellschaft, heute bewegen. Stellung beziehen sie insbesondere, wenn es um den Schutz der Frauen geht. Wiederholt weisen sie darauf hin, wie hoch das Gut der »reproduktiven Autonomie« ist, also das Recht einer Frau oder auch eines Mannes, selbst darüber zu entscheiden, ob sie ein Kind bekommen wollen oder nicht. Gleichzeitig legen sie Ungleichheiten offen, so etwa wenn eine Frau für eine Eizellenspende wesentlich kritischer beurteilt wird, als ein Mann für eine Samenspende. Oder wenn bestimmte medizinische Möglichkeiten nur einem kleinen Teil der Menschheit zur Verfügung stehen. An solchen Stellen sehen die Autorinnen die Gemeinschaft in der Verantwortung, Bedingungen zu schaffen, in denen die Autonomie des Einzelnen geschützt wird. Dass sich der Fortschritt nicht aufhalten lässt, wissen sie dabei nur zu gut. »Kinder wollen« ist kein Versuch die Zeit zurückzudrehen. Es stellt sich ihren Herausforderungen. Unaufgeregt und mit den richtigen Fragen.