Seit dreißig Jahren setzt sich der Stadtjugendring für die Belange von Kindern und Jugendlichen in Leipzig ein. Im kreuzer-Interview spricht Geschäftsführer Frederik Schwieger über die Vergangenheit, Jugendliche in Coronazeiten und schwindende Räume. Ein Text aus dem kreuzer 8/20
kreuzer: Zu welchem Zweck wurde der Stadtjugendring gegründet?FREDERIK SCHWIEGER: Wir sind 1990 aus dem Runden Tisch der Jugend heraus entstanden. Dort haben sich damals diejenigen zusammengetan, die was für die Jugend tun wollten. Das ging mit acht oder neun Jugendorganisationen los. Mit der Zeit kamen weitere hinzu. Als es auf die Wiedervereinigung zuging, war die Frage: Wie können wir das in eine Form gießen? Da ist man schnell auf die Idee gekommen, einen Stadtjugendring zu gründen. Wir wurden noch zu DDR-Zeiten ins Vereinsregister eingetragen.
kreuzer: Wie hat sich die Kinder- und Jugendhilfe seitdem verändert?SCHWIEGER: Ich glaube, gerade in der Anfangszeit war vieles offen. Die DDR hatte ja ein gut ausgestattetes Jugendsystem. Alleine in Leipzig gab es mehr als einhundert Jugendclubs. Als dann die Wende kam, ging es vor allem darum, etwas von dieser Landschaft zu bewahren. Mittlerweile sind wir wieder bei 39 Jugendclubs. Gerade in den letzten Jahren hat sich Leipzig sehr gut entwickelt, auch ökonomisch. Das hat uns einen positiven Schub gebracht.
kreuzer: Welche Rolle erfüllt Ihre Organisation heute?SCHWIEGER: Wir versuchen, eine starke Stimme zu sein, für die Interessen junger Menschen und der Organisationen, die bei uns Mitglied sind. Außerdem wollen wir Mittler sein zwischen der Basis vor Ort, also den jungen Leuten, die etwas machen wollen, und der Politik.
kreuzer: Wie sind die jungen Menschen durch den Lockdown gekommen?SCHWIEGER: Sozialkontakte und Freundschaften sind für junge Menschen besonders wichtig. Das war für viele nicht leicht: über Wochen niemanden zu treffen. Ansonsten ist das sehr unterschiedlich und abhängig von der jeweiligen Lebenssituation. Kinder aus eher bildungsnahen Schichten wurden, was beispielsweise das Lernen angeht, häufig von ihren Familien aufgefangen. Gleichzeitig gab es junge Menschen, die abgetaucht sind. Wo man feststellen muss, da hat die Schule sich nicht drum gekümmert und gleichzeitig haben die Jugendlichen sich nicht gemeldet. Jetzt sieht man, dass viel Stoff liegen geblieben ist. Das wird zu einer größeren Schere zwischen den Milieus führen.
kreuzer: Sie setzen sich für eine Kindergrundsicherung ein. Wieso?SCHWIEGER: Wir haben in Leipzig einen gleichbleibenden Anteil von einem Fünftel junger Menschen, die als arm gelten. Mit dieser Armut gehen Nachteile einher. Die Ernährung ist oft schlechter, die Bildung funktioniert nicht so. Die Möglichkeiten, an Freizeit und Kultur teilzunehmen, sind begrenzt. Eine Kindergrundsicherung würde die verschiedenen Leistungen, die es für junge Menschen gibt, in sich vereinen. Wenn das in einer ausreichenden Höhe geschieht, wäre viel geschafft im Kampf gegen Kinderarmut. Das ist aber eine Sache, die auf Bundesebene entschieden werden muss.
kreuzer: Die Rechte von Kindern sollen in Leipzig in Zukunft in einer Kindercharta aufgelistet werden. Was könnte das verändern?SCHWIEGER: Als Stadtjugendring finden wir das super, weil es Kinderarmut und die Problemlagen junger Menschen in den Blick der Stadtöffentlichkeit rückt.
kreuzer: Bald wird der neue Etat für die Jugendhilfe verhandelt. Befürchten Sie Einbußen?SCHWIEGER: Schwieriger wirds auf jeden Fall. Die Gewerbesteuereinnahmen zwischen März und Juni sind ja eingebrochen. Da wird es ein riesiges Loch geben. Wir hoffen das Beste und sind gespannt, aber auch bereit für die nächsten harten Verhandlungen. Wenn es sein muss, auch für neue Demonstrationen und Aktionen rund ums Rathaus.
kreuzer: An welcher Stelle sollte Leipzig noch jugendfreundlicher werden?SCHWIEGER: Was definitiv ausgebaut werden kann, sind niedrigschwellige Beteiligungsformate, die konkret mit jungen Leuten in ihrem Stadtteil arbeiten. Ein weiteres Thema werden auf Dauer fehlende Räume sein. In der Entwicklung der Stadt gab es immer Möglichkeiten für junge Menschen, Räume zu bespielen. Das ist weniger geworden. Da ist es Aufgabe von Politik, gegenzusteuern.