anzeige
anzeige
Stadtleben

»Es bedarf mehr Mut«

Der ADFC-Vorsitzende Robert Strehler im Interview

  »Es bedarf mehr Mut« | Der ADFC-Vorsitzende Robert Strehler im Interview

Der Leipziger Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) wird dieses Jahr 30 Jahre alt. Im Interview mit dem kreuzer spricht der ADFC-Vorsitzende Robert Strehler über die aktuelle Situation für Radfahrende in Leipzig, Herausforderungen als Interessenvertretung und den neuen temporären Fahrradweg auf der Jahnallee.

kreuzer: Auf die Frage, wie Sie die gegenwärtige Lage des Radverkehrs in Leipzig beurteilen, antworteten Sie vor zwei Jahren diplomatisch: Es gibt Flecken, wo die Situation gut ist und andere, wo sie weniger gut ist. Hat sich seitdem etwas an Ihrer Sicht verändert?ROBERT STREHLER: Damals habe ich gerade angefangen im ADFC zu arbeiten. Ich war ein Quereinsteiger und habe alles aus der Sicht eines Radfahrenden betrachtet. Das Bild, was ich damals hatte, war recht positiv: Ich kann in Leipzig gut Rad fahren und muss keine Angst davor haben, über den Haufen gefahren zu werden. Diese Sicht habe ich auch heute noch. Durch die Arbeit beim ADFC ist sie aber vielschichtiger und komplexer geworden. Ich habe seitdem mehr Einblicke dazu gewonnen. Es gibt so viele Meinungen zum Thema Radverkehr, Radfahren und Radpolitik! Mir war damals noch nicht bewusst wie komplex und dramatisch das Thema ist.kreuzer: Warum dramatisch?STREHLER: Jeder hat zum Thema Radfahren seine eigene Geschichte. Da kommt dann auch die aktuelle Debatte der Rechtsabbiegeunfälle ins Spiel. Das war mir damals in dieser Tragweite noch nicht bewusst, deswegen konnte ich damals auch das pauschale Urteil treffen, dass es in Leipzig sicher ist, mit dem Rad zu fahren.

kreuzer: Als Vorsitzender des ADFC vertreten Sie die Interessen der Radfahrenden in der Stadt. Welchen Herausforderungen begegnen Sie?STREHLER: Angenommen, es gibt einen Unfall zwischen einem rechtsabbiegenden LKW und einem Radfahrer oder einer Radfahrerin. Als Privatperson ist man dann dazu geneigt, zu fordern: LKW raus aus der Stadt. Ganz so leicht ist das aber nicht. Bei solchen Forderungen spielen sehr viele Akteure eine Rolle. Die müssen alle an einen Tisch und eine Entscheidung treffen, die dann eine konkrete Aktion mit sich bringt, wie zum Beispiel Abbiegeassistenten für LKW. Die Stadt Leipzig kann das für die LKW der städtischen Betriebe machen, weil sie dafür verantwortlich ist. Für alle anderen LKW, die in der Stadt herumfahren, kann sie das nicht einfach bestimmen.

kreuzer: Wie viel Macht hat der ADFC in Leipzig in 30 Jahren gewinnen können? STREHLER: Der ADFC ist jetzt 30 Jahre lang als Akteur in Leipzig tätig, seit 31 Jahren gibt es zudem die AG Rad, ein gemeinsames Gremium zwischen städtischen Akteuren: Polizei, Umweltverbänden und dem ADFC. Hier arbeiten wir gemeinsam an Themen wie dem Radverkehrsentwicklungsplan und dem Hauptnetzplan. Das ist sehr viel Lobbyarbeit.

kreuzer: Wie klappt das in Leipzig?STREHLER: An manchen Stellen gut, an manchen Stellen nicht. Ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit aller Akteure ist die neue Protected Bike Lane auf der Jahnallee. Wir sprechen immer von vier Verkehrsteilnehmenden: Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer und öffentlicher Nahverkehr. Alle müssen immer ein bisschen verzichten. In dem Fall müssen auf Höhe der Zeppelinbrücke die Autofahrer auf eine Spur verzichten, wodurch dann alle ihre eigene Spur haben. Das funktioniert super. Da kann man natürlich auch noch streiten, ob die Einkehrungen an den richtigen Stellen gesetzt sind. Aber hier sieht man, dass auf Forderungen reagiert wird, weil Sicherheit ein Kernthema des Radverkehrs ist.

kreuzer: Von Radfahrenden gab es vor allem Kritik in Richtung stadtauswärts: Der Fahrradweg endet hier abrupt auf der Autofahrspur. Muss hier noch nachgelegt werden?STREHLER: Ja, wenn man das macht, dann muss man das natürlich konsequent machen. Und auch zu Ende denken. Ein anderes Beispiel dafür ist die Käthe-Kollwitz-Straße, eine Verbindung zwischen Zentrum und Leipzig-West, wo es für den Radverkehr kein Verbindungsstück gibt. Wir sagen: Schafft eine generelle Abmarkierung, wo es keine gibt, damit Radfahrer wissen, wo sie lang fahren können. Da müssen die Autofahrer dann zeitweilig darauf verzichten, nebeneinander zu fahren.kreuzer: Was ist Ihr nächstes Ziel in Leipzig?STREHLER: Wir haben uns mit der Stadt ja für ein Nachhaltigkeitsszenario entschieden, bei dem alle vier Verkehrsteilnehmenden zu gleichen Teilen berücksichtigt werden sollen. Das ist ein guter Kompromiss. Wenn man aber ins reale Bild eintaucht, sind wir da noch lange nicht. Ich kann nicht oft genug sagen, dass mehr Mut her muss, und dafür müssen eben manche auch mal verzichten.


Kommentieren


1 Kommentar(e)

Klaus H. 22.08.2020 | um 14:48 Uhr

Hallo Herr Strehler, tolles Interview! Es wird Zeit, dass wir Radfahrer mehr Rechte erhalten und sie auch einfordern können. Ich bin täglich und bei Wind und Wetter mit dem Rad unterwegs und kenne die Tücken von plötzlich endenden und praktisch nicht befahrbaren Radwegen. Wir können ja nicht einfach stehen bleiben oder das Rad weiter schieben. Schließlich leisten wir Radfahrer einen Beitrag zur Verbesserung von Luft und Umwelt, den sich Motorisierte nicht auf die Fahne schreiben können. Ich suche nach Ausweichstrecken für meine Fahrten, um sicher unterwegs zu sein. Wo kann ich einen Stadtplan erhalten, in welchem alle Radwege eingezeichnet sind. Kann ich zur Not und ausnahmsweise auf den Gehwegen die Lücken der Radwege schließen und dort fahren? ToiToiToi für die Raddemo heut abend wünscht Klaus