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Kultur

Sachsens Glanz

Die Staatsregierung schickt die Abrafaxe nach Sachsen – und befeuert einen Geschichtsmythos

  Sachsens Glanz | Die Staatsregierung schickt die Abrafaxe nach Sachsen – und befeuert einen Geschichtsmythos

Was fällt einem als erstes beim Thema Sachsen ein? Natürlich Dresdenbarock und Meißner Porzellan, ein dicker August als Monarch und kluge Köpfchen. Denn: »So geht Sächsisch.« Freilich kann einem eine Menge andere Sachen ins Hirn schießen, denkt man an Sachsen. Aber wenn der Freistaat einen Marketing-Comic finanziert, dann landen die Abrafaxe eben am Dresdner Hof und erleben dort Sachsens Glanz hautnah. Ab nächster Woche wird an dieser Stelle in loser Folge von Texten die sächsische Identitätsbildung näher beleuchtet.

Zum 30-Jährigen hat sich der Freistaat ein Jubelheft des Mosaiks geleistet. Und das ist ja auch kein schlechter Move. Die Comic-Hefte mit den drei Kobolden sind generationsübergreifend beliebt. Ihnen haftet etwas DDR-Nostalgie für die einen an, beinhaltet spannende Abenteuer durch die Geschichte für die anderen. Und das macht das Mosaik geeignet, nach innen wie außen für Sachsen zu werben – die Sachsenausgabe liegt dem aktuellen Heft gratis bei und man kann sie extra bestellen. Kein Problem, wenn das sehr einseitig ausfällt und Dresden einmal mehr dominiert. Immerhin erfährt man in der Story noch, dass die Kaffeefiltertüte hier erfunden wurde genauso wie die Dampfwaschmaschine. Dass der ebenfalls erwähnte weltweit erste FCKW-freie Kühlschrank der sächsischen Firma kein Glück gegen die kapitalistische Nachwendekonkurrenz brachte – geschenkt. Wer will schon auf Brüche zeigen, wenn es ums Identitätsstiften geht?

Und hier sind wir beim eigentlichen Problem. Klar, Urlaubern Elbflorenz anzudrehen, mag aus landeshauptstädtischer Regierungsperspektive legitim erscheinen. Die Investition ins Disneyland des Pseudobarocks soll sich ja auch gelohnt haben. Und immerhin werden ein paar fast ausnahmslos historische Ausflugsziele im angehängten Infoteil vorgestellt. Aber die Innenwirkung – jenseits des Tourismusmarketings –, ist doch erschreckend. Da kommen zum Beispiel die Sorben gar nicht vor. Sachsen glänzt durch seinen Erfindungsreichtum (»fischelant« wird natürlich zitiert) und die Geschichte. Letztlich schrumpft der Freistaat aufs Elbtal zusammen. Dass Sachsen fast immer auf Seiten der Verlierer stand, wird nicht erwähnt. Dafür zieht eine falsche Geschichtsdarstellung einen Bogen von den durch die Römern erwähnten Sachsen bis zum Freistaat. »Wie die Sachsen nach Sachsen kamen« heißt der irrlichternde Text. Jedoch kamen die Sachsen – einen Germanenstamm dieses Namens hat es ohnehin nicht gegeben – nie hierher, es vollzog sich lediglich allmählich ein Namenswandel. Und das heutige Sachsen heißt erst seit ein paar hundert Jahre so.

Diese Wahrheit kann man den unter der sächsischen Flagge Versammelten – das Wappen ist übrigens aus Bernburg, der Löwe aus Hessen-Thüringen – aber nicht antun. Also entstellt man bewusst die Geschichte. Sonst kränkt man ja den Sachsenstolz. Weil Aufklärung und Kritik der erste Weg zur Besserung sein können, soll diese exklusive sächsische Identitätsbildung ab nächster Woche auf kreuzer online in einer losen Folge von Texten beleuchtet und auseinandergenommen werden. Warum fühlt man sich in Sachsen so besonders und bildet das nicht genau auch den Boden für besonders eklige Phänomene der Gegenwart? Was also sind die sächsischen Verhältnisse? Den Anfang macht kommende Woche ein Text, der klärt, wie der Name Sachsen in die Mark Meißen kam und der Freistaat aber auch gar nichts mit jenen Messermännern zu tun hat, die die Römer beschrieben.


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2 Kommentar(e)

Christoph Böwing 14.10.2020 | um 00:23 Uhr

@Robert Löffler: Vielen Dank, dass Sie dem "Kreuzer" so genau auf die Finger gesehen und erneut den grundsätzlich erst einmal an allem und jeden herummäkelnden "journalistischen Move" dieses Magazins offengelegt haben. Dies gilt besonders für Themen, in die in irgendeiner Form offizielle oder halboffizielle Stellen involviert sind (Stadt Leipzig, Sächsische Staatsregierung, Wirtschaftsförderung, Tourismuswerbung etc.). Da wird der Kreuzer-Redakteur ganz schnell zum hyperkritischen, die Stirn runzelnden Oberlehrer, der ein vom Freistaat finanziertes, harmloses 52-seitiges Marketing-Comic offenbar mit einem multiperspektivischen, 520-seitigen Professorenwälzer zur Geschichte Sachsens verwechselt.

Robert Löffler 03.10.2020 | um 19:57 Uhr

Haben Sie den Text zur Geschichte Sachsens überhaupt gelesen, oder nur die Überschrift? Alles was Sie als angeblich falsch kritisieren wird dort angesprochen: * "Dass Sachsen fast immer auf Seiten der Verlierer stand, wird nicht erwähnt." – Das zu lange Festhalten am Bündnis mit Napoleon und die daraus folgende starke Verkleinerung von Sachsen steht im Text (S. 41 Mitte). * "Jedoch kamen die Sachsen – einen Germanenstamm dieses Namens hat es ohnehin nicht gegeben – nie hierher, es vollzog sich lediglich allmählich ein Namenswandel." – vom Wandern des Volkes steht im Text ebenfalls nichts. Unten auf Seite 40 steht klipp und klar, dass nur der geografische Begriff "Sachsen" elbaufwärts wanderte. * "Den Anfang macht kommende Woche ein Text, der klärt, wie der Name Sachsen in die Mark Meißen kam und der Freistaat aber auch gar nichts mit jenen Messermännern zu tun hat, die die Römer beschrieben." – Den Namen haben sie immerhin schonmal von ihnen geerbt, und was anderes steht im Text auch gar nicht. Natürlich kann man mit mehreren Beiträgen oder dicken Büchern tiefer in die Materie eintauchen, aber das war an der Stelle gar nicht ausführlicher möglich. Sie können es gerne mit weniger oder gleichviel Wörtern in halbwegs einfacher, kindgerechter Sprache versuchen. Und den Comic haben Sie offenbar ebensowenig gelesen. Nicht ein Bild spielt am in barocker Pracht am Dresdner Hof. Der Kurfürst geht in die Werkstätten von Tschirnhaus und Böttger und muss sich am Ende sogar von den Abrafaxen verspotten lassen. Aber es natürlich einfacher, wenn man sich eine vorgefasste Meinung von der Realität nicht verderben lässt. Ein bisschen sorgfältiges Lesern schadet nicht, bevor man solche Kritik äußert, an der bei Lichte besehen nur wenig dran ist.