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Kultur

Sachsen first

Die Überhöhung der sächsischen Identität führt zu einer Sonderstellung, in der es menschenfeindliche Einstellungen leicht haben

  Sachsen first | Die Überhöhung der sächsischen Identität führt zu einer Sonderstellung, in der es menschenfeindliche Einstellungen leicht haben

In unserer Titelgeschichte vom 02/2022-kreuzer haben wir uns gefragt: Wie gehts sächsisch – und warum? Bereits zwei Jahre zuvor hatte eine Reihe von kreuzer-Autorinnen und Autoren die sächsische Identitätsbildung beleuchtet und diskutiert. Zur anstehenden Landtagswahl packen wir all unsere Sachsentexte auf unserer Themenseite wieder aus.

Kaum ein Bundesland – ich korrigiere mich: kaum ein Freistaat wird von außen wie von innen so unterschiedlich, gleichwohl so stark, an seiner spezifischen Identität gemessen wie das einstige Königreich. »So geht sächsisch« ist der Versuch, das Sächsische entpolitisiert als Marke ins Schaufenster zu stellen und die kleine, nur vermeintlich harmlose Schwester jenes sächsischen Exzeptionalismus, der das Sächsische überhöht, in dem es eine Besonderheit reklamiert, die andere nicht haben.

Beides steht dabei in einem disparaten Verhältnis zu dem, was unter »sächsischer Demokratie« und »sächsischen Verhältnissen« verhandelt wird: Jenes dahingehend spezifisch sächsische Gefühl — weil nochmals gesteigert und durch etliche Beispiele und Beobachtungen unterlegt — es gäbe eine Blindheit großer Teile der politischen Kultur und der Sicherheitsbehörden gegenüber einer in dieser Ausprägung in der Bundesrepublik wohl einmaligen Dichte rechter Manifestation. Dresden, Chemnitz, Freital, Heidenau, Clausnitz: Wer noch nie in Sachsen war, kennt doch jene Orte, die in der offiziellen Selbstbeschreibung des Freistaates allenfalls als touristische Ziele beworben werden.

»Wir sind nicht Osten, wir sind Sachsen« Was also ist sächsische Identität und wie passt sie sich in die beschriebenen Pole ein? Schauen wir auf eine Figur, die es auf den Punkt bringen müsste, auf ein Amt, das für alle Sachsen und Sächsinnen sprechen sollte: den Ministerpräsidenten. »Wir sind nicht der Osten, wir sind Sachsen«: Das Zitat steht auf einer Broschüre, die eine Rede des Ex-Ministerpräsidentenkönigs Kurt Biedenkopf einleitet. Nun mag es eine Macke westdeutscher Ministerpräsidenten im Osten gewesen sein, regionale Identität groß zu machen, weil sie das aus ihren Herkunftszusammenhängen so kannten. Aber in Sachsen traf und trifft das gleichwohl auf frenetische Begeisterung.

Biedenkopf war im Jahr des Zitats gerade mit 54 Prozent wiedergewählt worden, trotz Treuhand und massivem westlichen Elitentransfer. Auch weil er im Gegensatz zu seinem damaligen Nachfolger die Rolle des bisweilen vermissten Königs auszufüllen vermochte. Und auch wenn Michael Kretschmer dieses Format fehlt, auf der Klaviatur des Sächsisch-Seins als Politikersatz spielt er so inflationär wie auch peinlich oder virtuos (das liegt im Auge des Betrachtenden). Nun könnte das als trauriger und hilfloser Versuch gelesen werden, die sächsische Glorie zu erretten, würde das Spektakel im luftleeren Raum aufgeführt. Wird es aber mitnichten, wie auch der Blick in den Sachsenmonitor zeigt: Trotz einer neuen Konjunktur ostdeutscher Identitätsnabelschau ist sächsisches Bewusstsein vor allem eines: ein Differenzbewusstsein.

Berlin als Reibefläche Drei von vier Sachsen sind der Meinung, den Sachsen gehe es besser als dem Rest des Ostens. Vier von fünf Sachsen sind der Meinung, das Land bräuchte den Vergleich mit den westlichen Bundesländern nicht zu scheuen. Überhaupt sind 88 Prozent der Befragten stolz auf das in Sachsen seit 1990 erreichte. Wechselt die Frage die Perspektive, ob sich die Befragten als Ostdeutsche (nicht als Sachsen) als »Bürger zweiter Klasse« fühlen, dann stimmt mehr als jede und jeder zweite Befragte zu. Auf die Frage, ob sie »weniger als den gerechten Teil erhalten«, kann fast jede und jeder zweite Befragte ein »Ja« hervorzaubern. Ohne hier überinterpretieren zu wollen, verweisen die Zahlen auf sächsische Identität als Differenzmerkmal. Sachsen ist nicht gleich Osten – »East Gender man, mein soziales Geschlecht ist ostdeutsch« (Ralle in »Warten auf’n Bus«) dürfte zumindest sächsisch gebrochen werden.

Deutlich wird dies an einer dauermobilisierbaren Reserve sächsischer Identität, die Gegnerschaft zu »Berlin«. Die Kapitale des einstigen Rivalen Preußen, sie ist immer mobilisierbar, wenn Politik als »sächsisch = unumstößlich richtig« imprägniert werden soll: Wir brauchen keine Ratschläge aus Berlin, maulte im Zuge der Coronakrise Ministerpräsident Kretschmer bei Twitter, wissend, was er da – wie zuvor im Kampf gegen den Kohleausstieg – mobilisierte.

Nun könnte das alles als Schrulligkeit abgetan werden, würde diese auf Abgrenzung, Selbstüberhöhung und Differenz abstellende sächsische Identität hier ihr Ende finden. Unzählige Studien zu Rechtsextremismus in Ostdeutschland, zu politischer Kultur in Sachsen und zu Pegida – wie die Forschung zu den Kehrseiten kollektiver Identität unisono – kommen zum Ergebnis, dass kollektive Identitäten eben nicht nur Momente des Empowerments innewohnen, sondern im Aufwerten auch immer Abwerten steckt. Vor allem dann, wenn Identität nicht auf objektive Diskriminierungserfahrung trifft, sondern allein und essenzialistisch auf Herkunft basiert.

Sachsen first So verweisen auch neuere Ansätze zu Theorien kollektiver Identität auf die Dynamik und die strategische, politische beziehungsweise manipulative Seite von Ethnizität – also Zieldurchsetzung gegenüber »konkurrierenden« Kollektiven, ein Primat der Grenzziehung gegenüber realen Unterschieden der Lebensweise, die erst durch die Grenzziehung entsteht, indem das Eigene als das Andere konstruiert wird. Wobei diesen Prozessen innewohnen kann, dass das andere Eigene in Konkurrenz zu einer dritten Gruppe gebracht wird. Und da schließt sich der Kreis zu den sächsischen Verhältnissen: Kaum ein Zweifel kann daran bestehen, dass sächsische Identität in ihrer Selbstüberhöhung andere Identitäten zu bedrängen vermag – die Zustimmung zu menschen- und demokratiefeindlichen Positionen im Sachsenmonitor, die Anzahl rechter Terrorgruppen, rechter Aufmärsche, rechter Übergriffe bis hin zu Morden sind hier seit Jahren Phalanx.

Nur, wer dieses Bündel anspricht und mit Ereignissen unterlegt, dem wird schnell vorgeworfen, unsächsisch zu handeln. Schuldabwehr statt kritischer Aufarbeitung. Es ist dies die größte Hürde, solch identitären Abwehrdiskurse – das Verdrängen von Schuld durch Aufrechnen, Externalisieren, Ausblenden, Schweigens und oder Umfälschen – zu brechen. Man schaue nur auf Dresden, in der der Opfermythos die lange, tiefbraune Täterbiografie so erfolgreich verdrängte, dass die »Opferstadt« an der Elbe zur Kapitale neu-rechter Aufwallung werden konnte. Ein Schuldeingeständnis aber müsste am Beginn einer kritischen Auseinandersetzung stehen. Einer Auseinandersetzung mit den Schattenseiten der, ständig und selbst auf höchster politischer Ebene perpetuierten, sächsischen Identitätskonstruktion, die wahlweise unpolitisch daherkommt oder aber via sächsischen Exzeptionalismus überhöht. Und damit die sächsischen Verhältnisse befeuert.


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