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Literatur

Schreiben gegen den Kapitalismus

Ein wütendes Buch gegen das Klischee des Sozialschmarotzers

  Schreiben gegen den Kapitalismus | Ein wütendes Buch gegen das Klischee des Sozialschmarotzers

Die Autorin Anna Mayr schreibt über Arbeitslose. Sie erklärt, warum die Gesellschaft sie verachtet — und sie trotzdem braucht. Eine Rezension

Ein Kind wächst in Armut auf und ganz Deutschland guckt ungerührt zu. Das Kind heißt Anna Mayr und arbeitet heute als Journalistin bei die ZEIT. Wie es ist, in einem armen Viertel mit arbeitslosen Eltern aufzuwachsen, beschreibt Anna Mayr anhand ihrer eigenen Biographie, die zwischen ihrer Systemkritik immer wieder aufblitzt. Doch gleich zu Beginn stellt sie klar: »Wer dieses Buch liest, um etwas über ein trauriges Einzelschicksal zu erfahren, über ein armes Kind, das sich hochgearbeitet hat, der wird enttäuscht werden.« Es ist ein wütendes Buch. Die Autorin zeigt darin, dass das System keine Chancengleichheit vorsieht. Sie vollbringt es dabei, weder die Armut zu romantisieren, noch einen Blick von oben herab zu etablieren. Ein Text ohne Samthandschuhe, dafür mit kurzen, prägnanten Sätzen. Arm zu sein in einem reichen Land, das ist die Lebensrealität jedes fünften Kindes in Deutschland. Anna Mayer erklärt: Arme Menschen sind nicht nur einem Dauerstress ausgesetzt, sie sterben auch früher. 

Die Autorin rechnet dem »Sozialstaat« sein eigenes Scheitern vor

Wer arbeitslos ist, ist gesellschaftlicher Verachtung ausgesetzt. Aber das System braucht sie, die Arbeitslosen, die Elenden. Sie müssen den Arbeitenden unheimlich sein, sonst würden diese gar auf die Gedanken kommen, sinnlose Arbeiten niederzulegen oder selbstbewusst bessere Arbeitsbedingungen einzufordern, erklärt die Autorin. Sie will den Leserinnen nicht erst erklären müssen, dass Hartz-IV Empfängerinnen auch Menschen sind, so mit Bedürfnissen, Ängsten und Familien. Diese unterwürfige Haltung will sie nicht einnehmen. Stattdessen zeigt sie: Was hinterher mit dem Berufsfeld der sozialen Arbeit oder psychologischer Betreuung aufgefangen werden soll, wäre von vornherein zu verhindern möglich. Statt jedoch Menschen genug Geld zu geben, um sich genauso selbstverständlich durch die Gesellschaft zu bewegen wie andere, setzt der Staat lieber auf eine totalitäre Überwachung durch das Jobcenter. 

2,27 Euro am Tag für Essen und Trinken

Mit elf Jahren erhält Anna Mayr den gleichen Hartz-IV-Satz wie ein Säugling. Das sind 2,27 Euro pro Tag, die für Essen und Trinken zur Verfügung stehen. Mit soziologischen Thesen und ihrer eigenen Biografie schreibt sie gegen das Klischee des Sozialschmarotzer an. Sie erzählt von ihrer Kindheit und dem Kollegen, der sich zwischen zwei Jobs mal etwas Zeit nehmen wollte zur Orientierung doch bei Treffen immer nur müde war, obwohl er so viel schlafen konnte, wie er wollte. Den Anekdoten aus ihrem Leben als argumentatives Manöver fehlt es zwar manchmal an wissenschaftlicher Aussagekraft, dafür vermenschlicht sie damit ein unmenschliches System. Die Autorin entlarvt ein System, das »Sanktionen« sagt und damit meint, Menschen in prekären Lagen möglichst noch besser schikanieren zu können.

Eine simple Lösung

Anna Mayrs Lösung ist fast zu simpel. Sie erklärt, arme Menschen brauchen einfach nur eines: Geld. Lösungsansätze wie Bildung hält sie für zynisch. Von Bildung kann man sich kein Essen kaufen und keine Rechnungen bezahlen und wenn Bildung für ein armes Kind einen »Aufstieg« bedeutet, dann erst nach Jahren, die es in Armut gelebt hat. Die Leerstelle im Geldbeutel, die Schere zwischen arm und reich erklärt sie als durch den Kapitalismus gewollt. Mit ihrem Buch zeigt Anna Mayr wie das funktionieren kann, das Schreiben im Kapitalismus.


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