Diese Woche geht es um Revolte, die Wirtschaft, Singen als Hilfe gegen die Sehnsucht und einen Brückenwurf. Mit Empfehlungen, um jeden Tag ins Kino zu gehen. Bevor ein zweiter Lockdown kommen könnte.
Als die chilenische Regierung im Oktober 2019 in Santiago de Chile den Fahrpreis für den öffentlichen Nahverkehr erhöhte, war dies der Startschuss für umfangreiche Proteste der Bevölkerung. Dabei ging es nicht allein um die Kosten für den Transport, generell wurden gesellschaftspolitische Missstände, wie die Privatisierung des Wassers, LGBTQ-Rechte und das Bildungssystem zum Thema gemacht. Hunderttausende gingen trotz Ausgangssperre auf die Straße und wurden von den staatlichen Sicherheitskräften gewaltsam zurückgedrängt. Die Dokumentarfilme »Chile in Flammen« und »Chile in Revolte« zeigen die Hintergründe der Proteste auf und geben einen Überblick über die Ereignisse, die folgen sollten. Beide sind Teil des Chilenischen Fokus‘ der Lateinamerikanischen Tage, die am 11. Oktober bereits zum elften Mal in Leipzig starten. Das umfangreiche Programm besteht aus über 20 Lang- und Kurzfilmen, zudem gibt es Workshops und Filmgespräche.»Lateinamerikanische Tage«: 11.–25.10., Cineding, Schaubühne Lindenfels, Mühlstraße 14
Wie funktioniert unser Wirtschaftssystem? Was hält es am Laufen und – wie entsteht Geld? Grundlegende Fragen, die man sich im Alltag eher selten stellt. Zumindest vertrauen die meisten Menschen darauf, dass die Ökonomie funktioniert. Bis sie kollabiert wie zuletzt beim großen Bankencrash 2008. Wie konnte es soweit kommen und wie weit sind wir von einem endgültigen Kollaps entfernt? Das sind einige der Fragen, die sich Carmen Losmann stellte. Wie bereits in ihrem Debüt »Work Hard Play Hard«, der mit dem Kritikerpreis des Dok Leipzig ausgezeichnet wurde, dringt sie auf der Suche nach Antworten in eine reine Männerwelt vor. Diese Antworten fügt man sich am Ende der rund 90 Minuten schließlich selbst zusammen. Losmann geht es darum, das System dahinter zu begreifen und verständlich zu machen. Eine Herkulesaufgabe, die acht Jahre mühevoller Recherche nach sich zog. Unzählige Türen blieben ihr verschlossen, kaum jemand wollte reden, noch weniger vor der Kamera. Die Gesprächspartner von BMW, Allianz und EZB, die es dann doch wagten, sind so sehr Teil dieses Systems, dass sie sich die Frage nach dem Warum überhaupt nicht stellen, geschweige denn verstehen. Losmann rekonstruierte die Dialoge und Telefonate, um ihre Quellen zu schützen. Die Erkenntnisse sind erschreckend. Wir bewegen uns in einem Kreislauf, in dem alle mitspielen müssen, sonst reißt er alles in den Abgrund. Ein dokumentarischer Horrorfilm.»Oeconomia«: ab 15.10., Passage Kinos, am 20.10. Premiere in Anwesenheit der Regisseurin Carmen Losmann
»Man braucht irgendetwas zu tun« – Dieses Motto galt schon bei Peter Cattaneos »Ganz oder garnicht«, wo eine Handvoll arbeitsloser Stahlarbeiter ihre Leidenschaft fürs Strippen entdeckte. Es ist seitdem zum Leitsatz zahlreicher Sozialkomödien geworden und gilt auch für die Frauen in »Mrs. Taylor's Singing Club«. Sie sind die Mütter und Ehefrauen von Soldaten im Kriegseinsatz, zurückgelassen in einem künstlichen Städtchen und in der Ungewissheit, ob sie ihre Lieben jemals wiedersehen werden, wenn sie mit geschnürtem Rucksack in den frühen Morgenstunden das Haus verlassen. Der einzige Weg, in den kommenden Wochen nicht verrückt zu werden, ist Beschäftigung. Das weiß Kate Taylor (Kristin Scott Thomas) nur zu gut. Schließlich hat sie ihren Sohn in einem Einsatz verloren und ihr Mann zieht, wie viele mit ihm, an die Front in Afghanistan. Deshalb fasst die zielstrebige Ehefrau des Offiziers den Entschluss, einen Chor mit den anderen zurückgelassenen Frauen zu bilden. Kate übernimmt selbstverständlich die Leitung. Sie kann allerdings nicht sonderlich gut mit ihren Mitmenschen umgehen und ist auf die Hilfe von Lisa (Sharon Horgan) angewiesen, die jedoch vollkommen andere pädagogische Vorstellungen hat. So geraten die beiden Frauen immer wieder aneinander, doch der Chor hat Potential und in wenigen Wochen sollen sie bei einer Veteranen-Veranstaltung in der Londoner Royal Albert Hall auf der Bühne stehen. Jeder Schritt bis dahin ist vorhersehbar und das Finale erwartungsgemäß. Dennoch trifft Cattaneo, der sich hier 22 Jahre später neben charmanten popkulturellen Referenzen vor allem selbst zitiert, meist den richtigen Ton. Die Figuren sind stereotyp, der Pathos regiert, aber die wahre Geschichte des Frauenchors, der sogar einen Nummer eins-Hit landen konnte, ist dennoch berührend und beschwingt erzählt und glänzend besetzt.»Mrs. Taylor's Singing Club«: ab 15.10., Passage Kinos
So richtig rund läuft es nicht für Silke: Ein junges Mädchen verschwindet in unmittelbarer Nachbarschaft, kurz darauf wird sie von einem Unbekannten über ein Brückengeländer geworfen und dann steht auch noch Moni vor der Tür. Ganz geheuer scheint ihr die Rückkehr ihrer großen Schwester nicht, weiß sie doch, dass Moni nicht freiwillig nach 20 Jahren vom sonnigen Mallorca in die triste Potsdamer Plattenbausiedlung zurückgekehrt ist. Kurzum schickt Silke sie lieber ins Hotel, anstatt sie bei sich auf der Couch schlafen zu lassen. Doch als es Moni durch einen Zufall gelingt, den Nachbarn René als möglichen Brückenschubser zu identifizieren, beschließen die Schwestern ihn gemeinsam zur Rede zu stellen. Michael Fetter Nathanskys Langfilmdebut »Sag du es mir« erzählt die Geschichte von Moni, René und Silke aus drei Perspektiven und entwickelt sich dabei von einer Komödie immer weiter ins Dramatische. Durch die unterschiedlichen Blickwinkel werden scheinbar logische Brüche nach und nach umgekehrt und aufgelöst. Der junge Regisseur nimmt sich aber auch die Freiheit, einige Erzählstränge nicht auszuerzählen oder ins Leere laufen zu lassen. Für ein Debüt ist das eine mutige Entscheidung, über die dadurch entstandenen Längen innerhalb der Handlung kann die sehr gute Besetzung rund um Gisa Flake und Christina Große aber leider nicht vollständig hinwegspielen.
HANNE BIERMANN
»Sag du es mir«: ab 15.10., Schaubühne Lindenfels, am 15.10. in Anwesenheit des Regisseurs
Weitere Filmtermine der Woche
Katrins HütteAm Beispiel der Abwicklung der thüringischen Maxhütte begleitet die Langzeitdoku die Blockwalzerin und Volkskammerabgeordnete Katrin Hensel in den Jahren des Endes der DDR. – Globale15.10., 20 Uhr, UT Connewitz
OyoyoOyoyo (1980) ist ein Filmporträt eines internationalen Bildungsansatzes mit Studenten aus Chile, Guinea-Bissau, der Mongolischen Sowjetrepublik, Kuba und Bulgarien, die Ende der 1970er Jahre an der "Hochschule für Ökonomie Berlin- Karlshorst" Wirtschaft studierten.15.10., 20 Uhr, KV – Verein für zeitgenössische Kunst Leipzig
Porträt einer jungen Frau in FlammenAuf einer abgelegenen Insel in der Bretagne am Ende des 18. Jahrhunderts entwickeln sich Gefühle zwischen der Pariser Malerin Marianne und der künftigen Braut und ehemalige Klosterschülerin Héloïse. Bildgewaltige, sensibel erzählte Liebesgeschichte. – 27. Leipziger Lesben Treffen15.10., 18 Uhr, Kinobar Prager Frühling (OmU)
KurzfilmprogrammZum 27. Leipziger Lesben-Treffen mit »Revolvo« (D 2019), »Fest« (D 2018), »Le nom du fils« (F 2019) u. v. m.16.10., 18 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Shorts Attack: UrlaubsflirtsMal wieder trampen!? Fragt sich nur, wohin. Am Pool die Liebe entdecken, im Gebirge die Murmeltiere herausfordern, im Museum auf Audiotour gehen und auf der Berghütte einen Heiratsantrag stellen. Die Liebste kann im Hotel auch mal verloren gehen, Taxifahrer in Brüssel lieben Stadtrundfahrten und am Meer gibt es bisweilen optische Täuschungen. Auf der Landstraße steht schon mal ein Tigerkäfig quer und schwule Flamingos tanzen im Wasser auf einem riesigen Rave. 10 Filme in 80 Minuten. – Kurzfilmprogramm16.10., 20 Uhr, UT Connewitz
Der LoraxDie Suche nach echten Bäumen in einer baumlosen Welt.17.10., 14.30 Uhr, Schaubühne Lindenfels
Fritzi – Eine Wendewundergeschichte17.10., 13 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Die RüdenVier Insassen einer entlegenen Strafanstalt werden mit drei beißwütigen Hunden zusammengebracht. Ein faszinierendes filmisches Experiment.18.10., 17 Uhr, Regina Palast
Goodbye, AmericaEpisodenfilm über russische Einwanderer in den USA... – Russisches Kino im Original18.10., 17.30 Uhr, Cineplex (OF)
In unser aller NamenEin Film über die Konflikte im Hambacher Forst. – in Anwesenheit der Filmemacher Thomas Meffert und Dagmar Diebels18.10., 15 Uhr, Galerie KUB
Martin Margiela – Mythos der ModeDokumentation, die Einblick gewährt in das Leben des Designers, der sich hier selbst erinnert.18.10., 15.30 Uhr, Passage Kinos
Miles Davis: Birth of the CoolDokumentarfilm über einen der wichtigsten und einflussreichsten Jazzmusiker des 20. Jahrhunderts. – 44. Leipziger Jazztage18.10., 18 Uhr, Kinobar Prager Frühling
All These Sleepless NightsDie Kunststudenten Kris und Michael driften durch das Nachtleben von Warschau. Ein mit fiktiven Elementen gefütterter Dokumentarfilm um das Heranwachsen vor dem Hintergrund eines generationsüberwindenden Konflikts. – Off Europa: Identität Polska19.10., 21 Uhr, Cinémathèque in der Nato
Opera about Poland + A Stranger on my Couch»Opera o Polsce – Opera about Poland« ist eine musikalisch geschnittene Montage aus älterem und jüngerem Filmmaterial. »Obcy na mojej kanapie – A Stranger on my Couch« zeigt die polnische Hauptstadt Warschau aus der Perspektive von Couchsurfern. – mit Einführung – Off Europa: Identität Polska19.10., 19 Uhr, Cinémathèque in der Nato
Schlingel FilmfestivalDas in Chemnitz beheimatete Internationale Filmfestival SCHLINGEL findet jährlich im Herbst auch in den Passage Kinos Leipzig statt. An mehreren Tagen gibt es exklusiv erstklassige und topaktuelle internationale Filme zu sehen, in Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Kinder- und Jugendfilmdienst e.V. in Chemnitz.17.–31.10. Passage Kinos
CousinsLucas lebt in der Provinz bei seiner Tante. Das ereignisarme Leben wird aufgeführt, als sein Cousin Mario aus dem Gefängnis entlassen wird. – Queerblick21.10., 20 Uhr, Passage Kinos
Der lachende Mann - Bekenntnisse eines MördersSiegfried Müller, bekannt unter dem Namen »Kongo-Müller«, war Anfang der 1960er Jahre als Söldner an der Niederschlagung des Simba-Aufstands im Kongo beteiligt. – (Globale)21.10., 20 Uhr, Ost-Passage Theater
IdaStilles und dabei ungemein intensives polnisches Drama, das im europäischen Kino derzeit seinesgleichen sucht. Oscar 2014. – Off Europa: Identität Polska21.10., 18 Uhr, Kinobar Prager Frühling
parasound IIDie Filmische Initiative Leipzig FILZ und das GEGENkino präsentieren zusammen mit der Cinémathèque Leipzig herausfordernde, experimentelle Kurzfilme mit Einführung.21.10., 19, 22 Uhr, Cinémathèque in der Nato
Loving VincentDer erste komplett in Ölfarben gemalte Langfilm rekonstruiert die letzten Monate Vincent van Goghs anhand eines detektivischen Plots und kunstvoller Tableaus, inspiriert vom Meister. – Off Europa: Identität Polska22.10., 17 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Toxic Business
Internationale Chemiekonzerne verkaufen in Kenia giftige Agrarpestizide, die in Europa längst verboten sind. Denn viele ihrer Wirkstoffe sind krebserregend und stellen eine große Gefahr für Natur und Umwelt dar. – Filmgespräch u. a. mit Marius Stelzmann (Geschäftsführer »Coordination gegen BAYER-Gefahren«) – Globale22.10., 20 Uhr, Neues Schauspiel Leipzig