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Kultur

Landgang

Peter Huchels Gedichte aus dem Havelland zeigen, dass selbst die Natur nicht ohne Politik auskommt

  Landgang | Peter Huchels Gedichte aus dem Havelland zeigen, dass selbst die Natur nicht ohne Politik auskommt

Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz wandert diesmal in Peter Huchels Lebenslandschaft.

Würden die von Lutz Seiler ausgewählten und unter dem Titel »Havelnacht« versammelten Gedichte Peter Huchels mit dem Begriff »Nature Writing« versehen werden, so verlören sie etwas, während der Begriff etwas gewänne. Die Landschaft in Brandenburg, der Huchel Zeit seines Lebens eng verbunden war, besteht mitnichten nur aus »Nature«, die dort lebenden Menschen sind Teil ihres Lebensraums, der Landschaft, sind Teil der beschriebenen »Nature«. Und nicht nur Menschen bevölkern den Ort, es sind auch Erinnerungen, die untrennbar mit ihm in Verbindung stehen. »Die Bildwelt dieser Kindheit auf dem märkischen Land bildete den Quellgrund, aus dem sein Schreiben ein Leben lang schöpfen konnte«, schreibt Lutz Seiler im Nachwort.

[caption id="attachment_119031" align="alignright" width="251"] Cover: Suhrkamp Verlag[/caption]

Und dennoch sind die 50 Gedichte unter dem Begriff des »Nature Writing« fassbar, beinhaltet dieses eben doch stets mehr als nur die Beschreibung der Natur, ist auch immer Geschichte, Politik, Menschenstudie in der subtilsten Form, eingehüllt, ja geradezu verborgen und behutsam herausgeschält. Huchel selbst formulierte es so: »Oft trägt der Mensch dann die Züge der Natur, und die Natur nimmt das Gesicht des Menschen an. Aber nicht so sehr das Hinfinden des Menschen zur Natur, nicht so sehr das Einfühlen oder die Rückkehr in die Natur will in den Gedichten zum Ausdruck kommen, mehr noch ist es die Natur als Handelnde, die auf den Menschen eindringt und ihn in sich hineinzieht.« Und so klingt in Huchels Gedichten in »Havelnacht« vieles an: Die Erinnerungen an eine Kindheit, die nach Birnen riecht und Heu und warmer Erde. Die Sinnlichkeit spricht, Gerüche, Geräusche und Geschmack legen sich auf Haut und Zunge, dringen in die Nase, man erwischt sich beinahe beim Schnuppern. Doch ist da auch Schwere, Schwärze, Dunkles. Die einsamen Jahre der Isolation, bevor die Ausreise aus der DDR gelang, treten durch den Text ins Bild. Das Vokabular bleibt einfach und wirkungsvoll. Da treten auf: Füchse, Eichelhäher, Lupinen, Hunde, Knechte, Mägde, Wind und Wolken, immer wieder Laub, Regen, Schatten. Es ist ein Wortschatz des schlichten Lebens, der mal Einsamkeit und Endlichkeit auszudrücken weiß, mal von kindlichen Lebensfreuden zeugt.

Die Besonderheit dieses Buches besteht nicht nur in der Auswahl der Texte, sondern in deren Verschränkung mit den Fotografien Roger Melis´, der als Kind im Hause Huchels, in seiner Landschaft, lebte. Zwei Generationen, zwei Augenpaare auf die gleiche Welt gerichtet. Der eine blickt schreibend auf die Natur, die er durchwandert, der andere birgt was er sieht im Bild. Melis Fotografien zeigen Huchels Havelnacht in allen Facetten von Grau, wirken fast wie blasse, ausgefranste Scherenschnitte, abgegriffen, verwaschen. Spürbar wird die kalte, klare Luft, der Wind in den Bäumen und überm Feld, die festgetretene Erde der Wege.

Die größte Gefahr im Text-Bild-Verhältnis besteht wohl darin, dass das eine das andere obsolet macht. Und so zeugt es von großem Kunstverständnis, wenn nicht einer damit beauftragt ist, die Gedichte eines andern zu lesen und in der Fotografie umzusetzen, sondern wenn beide Künstler sich am Gelände abarbeiten und gemeinsam aus zwei Blickwinkeln ein ganzes Spiegelkabinett von Perspektiven entstehen lassen.

 


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