Wenn Menschen kein deutsch sprechen, kann der Gang zum Arzt unmöglich werden. Ob die Dolmetscherkosten erstattet werden, hängt jedoch nicht vom Sprachlevel der Patientinnen ab, sondern von ihrer Aufenthaltsdauer. Eine Leipziger Hochschulgruppe schließt diese Lücke im System.
Kommunikation in der medizinischen Behandlung ist elementar. Wenn die Kommunikation nicht funktioniert, können Fehldiagnosen gestellt werden. Die Leipziger Hochschulgruppe »Communication in Medical Settings«, oder kurz »CoMedS«, begleiten Menschen, die kein Deutsch sprechen, ehrenamtlich zu Arztbesuchen. Denn wer sich keine Dolmetscherin leisten kann, steht blöd da.
»Ich finde es wichtig, einen Diskurs darüber zu haben, dass Sprache in der Medizin eine große Rolle spielt«, sagt Anastasia Hoffmann. Die Medizinstudentin, die zweisprachig aufgewachsen ist, arbeitet seit April in der Leipziger Hochschulgruppe »CoMedS«. Als Sprachmittlerin geht sie mit ins Behandlungszimmer und übersetzt. Dabei unterliegt sie der Schweigepflicht. In der Praxis der Augenärztin im zweiten Stock in Paunsdorf wechselt sie zwischen dem Deutschen und Russischen hin und her. Es sitzen sich im Dreieck die Augenärztin Nadine Gaschke, die Mutter des Patienten Anya, die eigentlich anders heißt und lieber anonym bleiben möchte, und Anastasia Hoffmann gegenüber. Der kleine Patient ist zwei Jahre alt, aber wegen seines Skianzugs sieht er größer aus, erklärt seine Mutter Anya. Er hockt auf ihrem Schoß und ist genervt von der Ärztin, die vor seinen Augen herum fuchtelt, um seine Sehfunktion zu prüfen. Ob er immer so über die Brille schaue statt durch die Gläser, will die Ärztin wissen und Hoffmann übersetzt.
Die Raufasertapete der Praxis ist gelb gestrichen. Auf dem Regalbrett sitzen Plüschtiere. Wenn ein Kind ein Augenpflaster braucht, kann es zwischen allen möglichen Disney-Motiven wählen. Wie angenehm ein Besuch bei der Ärztin doch sein kann! Vorausgesetzt natürlich, man hat eine Krankenversicherung und kann sich verständigen.
Das Sozialamt Leipzig verfügt über ein Budget für die Sprachmittlung. Auf Nachfrage des kreuzer, wie hoch dieses ausfällt, gab das Sozialamt keine Auskünfte. Es heißt, dass es sich durch die verschiedenen Finanzierungsformen und Zielrichtungen nicht ermitteln lasse. Zwar übernehmen die Sozialhilfeträger die Kosten für die Sprachmittlung – allerdings nur, wenn sich die Personen im Asylverfahren befinden. Nach 18 Monaten des Aufenthalts in Deutschland und ohne Verfahren steht ihnen keine Kostenübernahme mehr zu. Die Krankenkassen erstatten die Kosten für die Sprachmittlung nicht. »Da greifen wir dann ein. Bisher arbeiten wir vor allem mit der Gemeinschaftsunterkunft für geflüchtete Menschen in der Waldstraße zusammen«, erklärt Hoffmann. Drei bis vier Anfragen erhalte sie in der Woche, meist dann, wenn die Patientinnen durchs Raster des Erstattbaren fallen.
In Leipzig hat Anya bisher gute Erfahrungen mit der medizinischen Versorgung gemacht. In Chemnitz, wo ihr Sohn operiert wurde, soll aufgrund der Sprachbarriere auch die Versorgung schlechter gewesen sein. Derzeit haben Anya und ihr Sohn den Aufenthaltsstatus einer Duldung, das heißt, sie können jederzeit abgeschoben werden. Ihr Sohn braucht jedoch eine weitere Operation und der Termin wurde von November auf Januar verschoben. Es ist ungewiss, ob sie ihn werden wahrnehmen können.
»Es gab mal so eine Aussage: Unser Ziel ist es, uns selbst abzuschaffen. Ja klar, aber im Moment ist die Sprachmittlung noch nötig«, sagt Hoffmann. Sie wünscht sich, dass auch im Medizinstudium die Ärztinnen in spe dafür sensibilisiert werden, dass es Menschen gibt, die kein Deutsch oder Englisch sprechen. »Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber wenn Anya erzählt, dass ihr Sohn aufgrund der Sprache in Chemnitz schlechter behandelt wurde, dann regt mich das auf, enttäuscht mich und macht mich traurig.« Im Krankenhaus habe niemand Zeit, sich eine halbe Stunde mit sprachlichen Hürden auseinanderzusetzen, weil es nicht wirtschaftlich ist. »Da kann man jetzt ein ganzes Fass aufmachen: Ist unser Gesundheitswesen zu ökonomisiert?«
In der Praxis der Augenärztin in Paunsdorf sollen knapp ein Fünftel der Patientinnen fremdsprachig sein. Oft würden auch die Kinder der Patientinnen übersetzen, die besser deutsch sprechen, erzählt die Augenärztin Gaschke, »dann gibt es keine Probleme«. Allerdings, so erklärt es Hoffman, werden die Kinder dafür auch aus der Schule genommen und verpassen etwas. Sie findet es problematisch, wenn Familienangehörige übersetzen. »Es kann gut gehen, es kann aber auch zu Abhängigkeitsverhältnissen führen. Gerade wenn es um intime Sachen geht und es nur eine Ansprechperson gibt, entsteht durch die Sprache ein Machtgefälle. Wenn eine Frau etwa zur Gynäkologin will und der einzige Ansprechpartner ein Mann ist.«
Gegen Ende der Sprechstunde wird es für Hoffmann schwieriger zu übersetzen. Die Augenärztin macht nicht mehr so viele Pausen zwischen dem Gesagten. Anya, ihr kleiner Sohn und Hoffmann gehen aus dem Behandlungszimmer. Draußen übersetzt Hoffmann den Rest. Das Herumfuchteln, das ins-Auge-Leuchten und Auf- und Zuhalten scheint vergessen. Anyas Sohn läuft wieder freudestrahlend durchs Wartezimmer, während auf das Rezept gewartet werden muss. Die Sprechstundenhilfe fragt Hoffmann, ob sie auch beim nächsten Termin dabei sein wird.