Leipzig wächst nicht nur, die Stadt wird auch immer heller. Damit trägt sie unter anderem zum Insektensterben bei, weshalb Fachleute mehr Dunkelheit fordern. Aber manche Menschen fühlen sich dann nicht mehr sicher. Dem Konflikt zwischen Umweltschutz und Sicherheitsempfinden will die Stadt Leipzig mit einem Lichtmasterplan begegnen. Hier veröffentlichen wir die Titelgeschichte aus der Dezember-Ausgabe des kreuzer.
Der Leipziger Friedenspark, südöstlich des Zentrums: Wo tagsüber Menschen die Sonne genießen oder mit ihren Hunden spazieren gehen, trauen sich nachts viele nicht hin. Denn während die Laternen der nahe liegenden Straßen nun wieder früh am Abend leuchten, bleibt es im Park finster. Auf Nachfrage erzählt eine Frau, dass ihre abendliche Jogging-Runde regelmäßig vor dem Friedenspark endet. »Ich komme bis zu diesem Park, aber ich laufe nicht rein, weil es wie ein dunkles Loch ist.« Eine andere Passantin fände gerade im Winter Laternen gut, die im Park stehen. Ansonsten würde sie auch nicht hineingehen, »weil es mir zu dunkel ist«.
René Sievert freut sich hingegen über die nächtliche Dunkelheit. Der Vorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) Leip-
zig ist gegen die zunehmende Ausleuchtung des städtischen Raums. »Wir haben Schutzgebiete, in denen man aufpassen muss, dass dort kein Licht ist. Die Parks sind das bisschen Natur in der Stadt, in dem Tiere nachts unterwegs sind und dabei ihre Ruhe haben«, sagt der Umweltschützer. Wenn künstliche Lichtquellen den Nachthimmel erleuchten, sprechen Naturschutzverbände und Wissenschaft von »Lichtverschmutzung«. Zu viel Licht in der Nacht führt nicht nur dazu, dass die Sterne in der Stadt kaum zu sehen sind. Es beeinträchtigt auch die Umwelt. Das Problem wird schon seit Jahrzehnten erforscht und ist nicht nur in Leipzig Thema, sondern auf der ganzen Welt. Mit jedem Jahr strahlen Städte ein bisschen heller, das hat Folgen für Tiere und Umwelt. Es gibt viele Untersuchungen darüber, wie Lichtverschmutzung auf die Umwelt wirkt. Im November veröffentlichte das Fachmagazin Nature, Ecology and Evolution eine Metaanalyse dieser Studien. Sie wiesen für alle Arten von Lebewesen Effekte nach. Etwa, dass sich der Hormonspiegel verändere, wie auch die Zeiten, zu denen Tiere aktiv sind.
Doch das Licht kommt nicht allein von den Straßenlaternen. Hinzu kommen beleuchtete Gebäude, Leuchtreklamen und Schaufenster. Aber auch private Gartenlampen und nachts erleuchtete Zimmer tragen zur Lichtverschmutzung bei. Eine Studie des Deutschen Geoforschungszentrums legt sogar nahe, dass die Straßenbeleuchtung nur ein Fünftel der Lichtemissionen ausmache. Das ergaben zumindest die Messungen in der Stadt Tucson im US-Bundesstaat Arizona. Christopher Kyba, Leiter des Forschungsteams, erklärt dem kreuzer jedoch auf Nachfrage, dass sich die Ergebnisse nicht eins zu eins auf Leipzig übertragen ließen: »Alle Städte haben etwas unterschiedliche Beleuchtungen.« Und in Tucson werde das Straßenlicht nachts gedimmt – anders als in Leipzig. Je besser das Straßenbeleuchtungskonzept einer Stadt, desto weniger spielen die Laternen bei der Lichtverschmutzung eine Rolle.
Doch bisher verschlimmert sich das Problem – mit schwerwiegenden Folgen. Wissenschaftlerinnen gehen davon aus, dass die gestiegene Lichtverschmutzung dazu beiträgt, dass sich die Biodiversität verringert. Die sogenannte Krefelder Studie stellte 2017 fest, dass sich in den vergangenen 30 Jahren die Biomasse von Fluginsekten in Deutschland um 75 Prozent reduziert hat.
»Schätzungen zufolge sterben pro Nacht wahrscheinlich mehr als eine Milliarde Insekten in Deutschland an Straßenlampen«, sagt Sievert. Viele Insekten fühlen sich nämlich von dem künstlichen Licht angezogen. Normalerweise dienten ihnen Mond und Sterne zur Orientierung. Die künstliche Beleuchtung werde für die Nachtinsekten zur Falle: Sie umkreisen die Lichtquelle so lange, bis sie erschöpft zu Boden fallen und sterben.Josiane Meier arbeitet im Bereich der Stadtplanung in Berlin und setzte sich in ihrer Doktorarbeit mit der Diskussion um Stadtbeleuchtung auseinander. Nachtbeleuchtung allgemein sei auch immer eine Abwägung von Nutzen und Kosten, erklärt sie. Oft habe Licht einen gesellschaftlichen Nutzen: Zum Beispiel findet nachts viel Arbeit statt, von der wir meist nur wenig mitbekommen – die aber auf Beleuchtung angewiesen ist. Vor allem natürlich innerhalb von Gebäuden: So könnten Krankenhäuser nicht in völliger Dunkelheit Kranke und Verletzte versorgen. Und das Licht strahle eben häufig durch die Fenster nach draußen. Aber auch außerhalb ist Beleuchtung – abgesehen vom Sicherheitsempfinden – in Städten an vielen Stellen unerlässlich, beispielsweise für die Verkehrssicherheit. Hinzu kämen kulturelle Aspekte: Licht gelte als etwas Positives und ein beleuchtetes Gebäude als schön. Vom privaten Vorgarten bis zum Dom, alles werde angestrahlt oder strahle von sich aus. Dunkelheit gelte hingegen als negativ, erklärt Meier: »Wer umnachtet ist, ist eben nicht besonders helle.« Selbst in fiktionalen Geschichten spiele die Nacht keine positive Rolle. Sie schütze Ungeheuer und Bösewichte. Menschen bräuchten als »Augen-Tiere« Licht, um sich sicherer zu fühlen. Dann glauben sie, die Situation unter Kontrolle zu haben.
Der Wunsch nach mehr Licht spielt auch in der Leipziger Lokalpolitik immer wieder eine Rolle. Im November 2019 brachte Marcus Weiss (Die Partei) das Thema in den Stadtrat ein. Er forderte die Stadtverwaltung auf, zu prüfen, ob und wie sie die Hauptwege im Friedenspark beleuchten könnte. Eine ausschweifende Begründung sparte er sich. »Ein nächtlicher Spaziergang« durch den Park »sollte eine ausreichende Beschreibung des Sachverhalts sein«, schrieb er in seinem Antrag.
Ein Argument, das die Verwaltung nicht gelten ließ. Schließlich gebe es beleuchtete Wege um den Park herum, die kaum länger seien und ebenso zum Ziel führten. Deshalb sei es der Stadt an der Stelle wichtiger, die Umwelt zu schützen. Weil die Mehrheit der Ratsmitglieder für Weiss’ Antrag stimmte, muss die Verwaltung nun trotzdem nach einem Kompromiss suchen — zwischen Umweltschutz und dem Sicherheitsbedürfnis der Parkgäste.
Im Juni einigte sich der Stadtrat außerdem auf den sogenannten »Lichtmasterplan«. Seine Umsetzung soll dazu beitragen, die Lichtverschmutzung in der Stadt zu verringern. Allerdings dauert es voraussichtlich noch zehn Jahre oder länger, bis der Plan völlig umgesetzt ist, erzählt Michael Mahler (s. Interview S. 20). Er ist der Sachgebietsleiter für Straßenbeleuchtung im Verkehrs- und Tiefbauamt Leipzig. Der Plan betreffe ganz unterschiedliche Verwaltungsbereiche und erfordere daher viel Kommunikation unter den Ämtern. Unter anderem will die Stadt bestehende Leuchten umweltgerecht umbauen und keine weiteren künstlichen Lichtquellen in festgelegten »lichtempfindlichen Gebieten« installieren. Dazu zählen der Clara-Zetkin-Park, die Uferwege am Kulkwitzer See und auch der Friedenspark. Doch es kann Ausnahmen geben, in denen trotzdem Lampen gebaut werden oder hinzukommen sollen – etwa aus Sicherheitsgründen.
»Wir wissen aus kriminologischer Forschung, dass sich Leute in dunklen Regionen unsicherer fühlen als in helleren«, sagt Jan Abt vom Deutschen Institut für Urbanistik. Der Stadtplaner forscht zum Sicherheitsempfinden im öffentlichen Raum. Bei Parks habe sich die Vorstellung vom »gemeinen Mann hinterm Busch« zu einer Art »Urbild« entwickelt. Mit der Realität decke sich dieses Bild jedoch kaum.
»Wenn Sie sich vorstellen, Sie wollen jemanden überfallen, dann setzen Sie sich nicht hinter einen Busch in einen dunklen Park, wo kein Mensch langgeht«, erklärt Abt. Ob sich Menschen unsicher fühlen, habe nur wenig damit zu tun, wie es objektiv um ihre Sicherheit stehe.
Die Angst wachse in der Regel aus Situationen, die schwer einzuschätzen sind, sagt Abt. Verfolgt mich jemand? Wo kam das komische Geräusch her? Guckt die Person, die mir entgegenkommt, böse? In der Dunkelheit lässt sich das nicht erkennen. Das Ergebnis: Unsicherheit. Obwohl dieses Unsicherheitsgefühl keine konkrete Bedrohung als Auslöser haben muss, hat es reale Folgen.
Eine Umfrage des Landeskriminalamts Schleswig-Holstein zeigt, dass sich viele Menschen nachts gar nicht aus dem Haus trauen. Laut der repräsentativen Studie aus dem Jahr 2017 gilt das vor allem für Frauen. Jede fünfte Befragte vermeidet demnach häufig oder immer, das Haus bei Dunkelheit zu verlassen. Noch einmal doppelt so viele gaben an, bestimmte Straßen, Plätze oder Parks zu meiden. Männer fühlen sich sicherer, obwohl ihnen statistisch gesehen mehr passiert. Warum das so ist, dafür gebe es verschiedene Erklärungsansätze, erzählt Jan Abt. Einerseits glauben Männer eher, sich gegen einen Angriff wehren zu können, und andererseits seien Frauen von bestimmten Straftaten viel stärker betroffen – zum Beispiel von sexualisierter Gewalt.
Mehr Licht allein löse das Problem der empfundenen Unsicherheit jedoch nicht. Denn die hänge auch von anderen
Eigenschaften eines Ortes ab – etwa, wie viele Menschen dort bei Nacht unterwegs sind. Eine ungleichmäßige Beleuchtung könne sogar zu mehr Unsicherheit führen; wie auf einer hell erleuchteten Straße, neben der es plötzlich ganz schnell dunkel wird. »Dann ist man selbst erkennbar, aber derjenige – existent oder nicht –, der einem vielleicht was Böses will, nicht«, sagt Abt. Für das Sicherheitsgefühl sei deshalb weniger die Helligkeit als eine gleichmäßige Ausleuchtung entscheidend.
Aber wie lässt sich städtische Beleuchtung gestalten, die für Mensch und Natur mehr Vorteile als Nachteile bietet? Die Stadt Fulda in Hessen hat dafür eine Lichtschutzbeauftragte engagiert. Mit dem Ziel, den sternenreichen Nachthimmel des nahe gelegenen Biosphärenreservats Rhön zu erhalten, tauschte die Stadt viele Straßenlampen aus und dimmte das Licht. Anfang 2019 verlieh die International Dark Sky Association Fulda den Titel Sternenstadt, als erster Stadt in Deutschland.
»Wenn man verschiedene Dinge abwägen muss, fällt der Naturschutz meistens hinten runter«, befürchtet René Sievert vom Naturschutzbund. Den Leipziger Lichtmasterplan bezeichnet er als »eine Art Bestandsschutz« für vorhandene Lampen. Das Konzept sieht zwar vor, alte Beleuchtungsanlagen zu prüfen und gegebenenfalls abzubauen, andere Städte wie Fulda seien mit ihrem Lichtmanagement aber schon weiter.
Wenigstens beim geplanten Umstieg auf LED-Leuchten hat Leipzig laut Sievert etwas richtig gemacht. Die Leuchtdioden würden deutlich weniger Insekten anlocken als herkömmliche Anlagen. Zudem will die Stadt in den Schutzzonen nur noch das umweltfreundlichere warmweiße Licht einsetzen, das eher gelblich erscheint.Insgesamt rechnet die Stadtverwaltung damit, durch die Umrüstung auf LED mehr als die Hälfte der derzeit benötigten Energie einzusparen. Noch stecken in neun von zehn der mehr als 50.000 Lampen und Straßenlaternen in Leipzig konventionelle Leuchtmittel wie Natriumdampfleuchten.
Die haben neben dem höheren Stromverbrauch einen weiteren Nachteil: Ihr Licht streut mehr. Dadurch beleuchten sie auch, was eigentlich dunkel bleiben soll – zum Beispiel Schlafzimmer oder den Nachthimmel. Aber selbst bei den konventionellen Lampen lässt sich die Lichtverschmutzung verringern, wenn sie so gebaut sind, dass sie gerichtet nach unten strahlen. Welchen Unterschied das für die Insekten macht, untersucht zurzeit das Forschungsprojekt »Tatort Straßenbeleuchtung« an vier Orten in Deutschland. Dazu sammeln die Forscherinnen zusammen mit Anwohnerinnen und Anwohnern Insekten, die von Versuchslaternen angezogen werden. Zunächst sind das heute übliche Straßenlaternen. Doch nach zwei Jahren werden sie gegen moderne Laternen mit gerichtetem Licht ausgetauscht und dann wird verglichen, ob sich tatsächlich weniger Insekten anlocken lassen. Die Studie startete allerdings gerade erst und läuft noch vier Jahre.
René Sievert hat aber bereits seine Meinung: »Alles, was direkt nach oben leuchtet, müsste man stilllegen.« Und mit dieser Ansicht ist er nicht allein. Die Bundesregierung plant ebenfalls ein Gesetz, das Himmelsscheinwerfer einschränken soll. Weil diese insbesondere Vögeln schaden, wie es im Gesetzentwurf steht. Das würde bedeuten, dass an der Russischen Gedächtniskirche direkt neben dem Friedenspark das Licht ausgeht oder zumindest komplett umgebaut werden muss. Unscheinbare, aber starke Strahler zu ihren Füßen erleuchten das Bauwerk Nacht für Nacht. Genauso wie einige andere Leipziger Sehenswürdigkeiten. Und trotz Lichtmasterplan: Die Stadt plant weitere Lichtinszenierungen, um Stadtsilhouette und Quartiere optisch für Touristen und Leipzigerinnen aufzuwerten. Aber zumindest dürfen die dort eingesetzten Lampen nur von oben nach unten strahlen.
Sievert kritisiert, dass die Beleuchtung überhandnehme. Zwar könne man hier und da argumentieren, eine Stadtsilhouette müsse auch in der Dunkelheit was hermachen, aber »man muss eben nicht jede Kirche anleuchten«. Dass es neben hell beleuchteten Gebäuden wie der Gedächtniskirche noch dunkle Ecken wie den Friedenspark gibt, sei sehr wertvoll. »Das darf man nicht verschlechtern.«
Der Lichtmasterplan der Stadt Leipzig
Das Dezernat Stadtentwicklung und Bau entwickelte den Lichtmasterplan als Grundlage für die Planung der öffentlichen Beleuchtung in Leipzig. »Energieeffiziente LED-Technologie« soll Ressourcen schonen, die Verkehrsbeleuchtung soll die »Qualität im öffentlichen Raum« erhalten und ebenso eine »sichere Stadt« schaffen. Gleichzeitig stehen »Erhalt und Verbesserung der Umweltqualität« bei den Zielen – der Lichtmasterplan soll einen verantwortungsbewussten Umgang mit Licht vorschreiben. Die umweltgerechte Beleuchtung muss dabei fünf Kriterien erfüllen: Sie muss nach oben abgeschirmt und auf den Boden gerichtet sein. Die Lichtpunkthöhe soll zwischen 4 und 5 Metern für Wegbeleuchtung liegen. »Bodenleuchten« sind verboten und das Licht soll unter 3.000 Kelvin liegen, also eine warmweiße Farbe haben. Ähnliches gilt für die Fassadenbeleuchtung »bedeutender Bauwerke«. Die Innenstadt betrachtet den Plan separat, da es sich um »das Aushängeschild« handelt, das auch für Touristen attraktiv sein soll. Dafür soll »die Inszenierung sowohl entlang wie auch innerhalb des Promenadenrings« vervollständigt werden.
DAVID MUSCHENICH