anzeige
anzeige
Kultur

Zwischen Theater und Computer

Paul Becker vom Theatrium Leipzig-Grünau im Gespräch über neue Projekte

  Zwischen Theater und Computer | Paul Becker vom Theatrium Leipzig-Grünau im Gespräch über neue Projekte

Im Theatrium Leipzig-Grünau erarbeiten Kinder und Jugendliche eigene Theaterstücke und werden dabei pädagogisch betreut. In Zeiten von Corona muss das Team des Theatriums abseits der üblichen Pfade denken, um gehört und gesehen zu werden. Paul Becker sprach im Interview mit dem kreuzer über neue Formate und ein besonderes Konzert in seinem Treppenhaus.

kreuzer: Wer bist du und was machst du im Theatrium?PAUL BECKER: Ich bin Paul, 29 Jahre alt. Ich mache hier im Theatrium die Öffentlichkeitsarbeit und leite ein Jugendtheaterprojekt.

kreuzer: Was für ein Projekt?BECKER: Also der Arbeitstitel ist »Kaltland«. Es geht um eine fiktive Reise zum Nordpol, eine Expedition um 1850. Das Ganze ist ein bisschen angelehnt an die Expedition der HMS Terror und HMS Erebus. Das waren zwei Schiffe, die wollten die Nordwestpassage durchqueren und sind dabei verlustig gegangen und wahrscheinlich wird es unserer Expedition ähnlich gehen. Die wollen zum Nordpol und werden dann dort im Eis eingefroren sein. Und wir wollen so ein bisschen schauen, was Isolation mit Menschen macht. Und der Ausgang ist ungewiss, aber vermutlich gibt es kein Happy End.

kreuzer: Das Stück beschäftigt sich also unter anderem mit dem Thema der Isolation. Beruht das auf der aktuellen Pandemie-Situation oder hattest du die Idee unabhängig davon?BECKER: Die Idee hatte ich unabhängig davon, aber fand es auch sehr passend.

kreuzer: Und wie weit seid ihr mit den Proben?BECKER: Wir haben bisher vier Proben gehabt, sind also noch nicht sehr weit.

kreuzer: Warum dürfen denn im Theatrium die Proben weiterhin stattfinden?BECKER: Weil laut Sächsischer Allgemeinverfügung pädagogisch betreute Projekte stattfinden können und darauf stützen wir uns. Natürlich immer mit einem leicht faden Beigeschmack. Es gibt tatsächlich auch mehrere Leute, die sich fragen, ob das gerade in Ordnung ist. Aber wir sind übereingekommen, dass es uns wichtiger ist, dass die Leute hierherkommen können und vielleicht mal den Stress zu Hause oder in der Schule vergessen können. Ich denke und hoffe, dass wir nicht einfach nur Freizeitbespaßung sind, sondern tatsächlich ein Ausgleich.

kreuzer: Die Proben können ja allerdings nicht wie zuvor stattfinden - was habt ihr geändert, wie geht ihr vor?BECKER: Es muss mit großem Abstand geprobt werden, es darf sich nicht berührt werden. Wir müssen die ganze Zeit Maske tragen und dürfen auch nur noch im großen Bühnensaal proben, weil wir dort eine Lüftung haben. Und die läuft die ganze Zeit auf Volllast. Es ist also ein sehr eingeschränktes Probengefühl im Gegensatz zu sonst. Aber, zumindest für mein Gefühl, noch immer um einiges fruchtbarer als online zu proben.

kreuzer: Ansonsten gibt es ja hier im Haus gerade auch noch einige digitale Projekte. Was ist denn da so los?BECKER: Also die Geburtsstunde davon war der erste Lockdown im Frühjahr. Da haben sich zwei Kolleginnen hier aus dem Haus entschieden, ein eigenständiges Kurzprojekt anzubieten. Das haben sie den »Digitalen Defibrillator« genannt und das fand dann ausschließlich online statt. Und dabei ist ein Film herausgekommen, den kann man sich auch nach wie vor auf der Website des Theatriums anschauen. Und um einfach den Kontakt zur Zielgruppe nicht zu verlieren, gerade in Zeiten wo unsere sonstigen Angebote nur begrenzt möglich sind, habe ich mir noch ein paar andere Formate ausgedacht. Da gibt es zum einen eine Interview-Serie, die nennt sich “Einblicke Ausblicke”. Da werden ehemalige, aber auch aktuelle Teilnehmerinnen, Projektleiterinnen, Freundinnen des Hauses interviewt, zu ihrer Person, zu ihrem Verhältnis zum Theatrium und so weiter. Dann haben wir aktuell einen digitalen Adventskalender. Da gibt es sozusagen 24 kleine Süßigkeiten in Videoform, häufig was zum Schmunzeln, zum Staunen oder einfach zum weihnachtlich-schön finden. Und das dritte ist ein neues Format, das heißt »Kultur im Flur«.

kreuzer: Guter Name!BECKER: Ja, dazu gibt es auch eine kleine Anekdote: Ich kam eines Nachmittags nach Hause und wir wohnen im Dachgeschoss und ich hörte schon unten im Treppenhaus, dass bei uns oben irgendwas los ist. Und dann bin ich hochgekommen und traf dort unseren kleinen Nachbarsjungen mit seiner Mutti. Und der hatte sich so ein paar kleine Kinderstühle in den Flur gestellt und hatte zwei Essstäbchen in der Hand und trommelte damit auf diesen Stühlen herum. Und seine Mutti musste auf dem Schuhlöffel Gitarre spielen. Und meine Freundin, unser Kind und ich wurden dann auch eingebunden und haben Schuhtrompete gespielt. Und da schoss mir einfach dieses Stichwort »Kultur im Flur« durch den Kopf und ich dachte, das wäre doch eine coole Sache.

kreuzer: Und was ist dabei jetzt rausgekommen?BECKER: Dass wir Kultur aus jeder Sparte, ob Musik, Tanz, Literatur, ich könnte mir auch Ausstellungen und Modenschauen vorstellen – dass wir das hier im Theatrium im Flur abfilmen und regelmäßig in den Äther schicken.

kreuzer: Von wem sollen die Beiträge denn stammen?BECKER: Am Anfang sicher vor allem von Theatriums-Beteiligten, ich kann mir aber auch gut vorstellen, das zumindest für unser Netzwerk noch weiter zu öffnen. Und wenn das großen Anklang findet, darf auch gerne Ricky Martin hier mal was machen. (lacht)

kreuzer: Was ist denn für 2021 im Theatrium so geplant?BECKER: Also geplant ist, dass wir all die Jugendtheaterprojekte, Kindertheaterprojekte und Werkstätten fristgerecht in die Premiere schicken können. Das ist aber eher eine Frage des Hoffens, da haben wir wenig Einfluss drauf. Ansonsten steht eigentlich unser 25-jähriges Jubiläum an. Da wird es wahrscheinlich keine große Feier geben, aber eventuell ein Projekt dazu. Ich darf noch nicht so viel verraten, aber soviel sei gesagt: Wir würden uns mal wieder aus unserem Stadtteil herausbewegen.

kreuzer: Wie geht es euch gerade generell, wie ist die Stimmung im Haus?BECKER: Erstaunlich gut. Zu der Corona-Situation kommt noch hinzu, dass eine Kollegin seit dem Sommer ausfällt, weil sie sich das Bein verletzt hat, die kommt Anfang nächsten Jahres wieder. Und unsere liebe Chefin Almut ist derzeit im Mutterschaftsurlaub. Ihre Stelle haben wir jetzt sozusagen auf uns alle aufgeteilt, also wir arbeiten derzeit alle ein bisschen mehr. Da hatte ich anfangs ein bisschen Bammel, weil es sowieso gerade eine anstrengende Zeit ist – die Premieren aus der letzten Spielzeit mussten noch nachgeholt werden und so weiter – aber ich habe das Gefühl, dass wir das alle ganz gut wegstecken und uns gut mit der Situation arrangieren.

kreuzer: Hast du aufgrund der besonderen Situation etwas Neues gelernt?BECKER: Also abgesehen davon, dass ich vorher noch nie Interviews geführt habe, habe ich vielleicht gelernt, wieder etwas mehr außerhalb der Sparte »Theater« zu denken. Was auch gut ist, denn wir wollen uns ja der Welt präsentieren und das vielleicht auch mit anderen Sachen als wir normalerweise machen. Aber was hier nicht passieren wird, ist, dass wir Mitschnitte von Theaterstücken online stellen, weil das meines Erachtens nicht Sinn und Zweck der ganzen Geschichte ist.

kreuzer: Theater ist also aus deiner Sicht dazu gedacht, live erlebt zu werden?BECKER: Definitiv. Es wird sicher in letzter Zeit Angebote gegeben haben, die vielleicht auch auf einem Computerbildschirm funktionieren. Aber das geht dann in so eine Richtung von Mixed Media-Theater, was wir hier eigentlich nicht so viel anbieten. Ich glaube momentan nicht, dass wir sowas dauerhaft ins Programm nehmen werden.

kreuzer: In einer Zukunft, wo der Betrieb hier im Haus wieder normal laufen kann – worauf freust du dich da am meisten?BECKER: Nach einer gelungenen Vorstellung ins Foyer zu kommen und die ganzen Leute angeregt sprechen zu sehen. Und dann kommen die Spielerinnen dazu und werden beglückwünscht und es ist eine super Stimmung im Haus – da freu ich mich sehr drauf. Einfach wieder das zu tun, was wir lieben und das passiert eben hier vor Ort und nicht am Computer.


Kommentieren


0 Kommentar(e)