Zuletzt berichtete der kreuzer über die eingeschränkten Möglichkeiten für Schwangerschaftsabbrüche in Polen. Dabei wird auch die Versorgungslage in Deutschland zunehmend kritisiert. Betroffene, Beratende und Aktivisten berichten über die Situation in Leipzig.
Mara* ist vor einigen Jahren nach Leipzig gezogen. Damals, als sie die ersten Anzeichen für eine Schwangerschaft bemerkt, ist sie in einer Fernbeziehung. »Ich musste plötzlich krass viel schlafen, hatte übelst Hunger und mir war oft mordsschlecht«, beschreibt Mara ihren Zustand aus heutiger Sicht. Zunächst nimmt sie die Symptome nicht ernst und verdrängt die Möglichkeit, schwanger zu sein. Als es nicht besser wird, geht sie zu einer Gynäkologin in Leipzig. Bei der Untersuchung stellt sich heraus, dass sie bereits in der neunten Woche schwanger ist. Mara macht der Gynäkologin deutlich, dass sie das Kind nicht bekommen möchte.
Laut dem Statistischen Bundesamt haben im Jahr 2019 insgesamt etwa hunderttausend gebärfähige Menschen in Deutschland einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt, davon mehr als fünftausend in Sachsen. In Deutschland stehen sie laut Strafgesetzbuch zwar unter Strafe, bleiben allerdings straffrei, solange der Abbruch bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche durchgeführt wurde. Außerdem muss vor dem Eingriff ein Beratungstermin wahrgenommen werden. Im Fall von Mara bleiben also noch drei Wochen, in denen sie einen Termin für eine sogenannte Schwangerschaftskonfliktberatung und einen Abbruch wahrnehmen kann.
Wer informiert, wird verklagtWenige Ärzte informieren direkt darüber, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Das liegt auch daran, dass Werbung dafür offiziell verboten ist. Gegen Ärzte, die darüber informieren, einen Abbruch durchzuführen, wird bundesweit immer wieder versucht, gerichtlich vorzugehen. Im Erzgebirge veranstalten christliche Fundamentalisten außerdem jedes Jahr den sogenannten »Schweigemarsch für das Leben« in Annaberg-Buchholz. Viele der Teilnehmenden sind evangelikale Christen und radikale Gegner, die ein – ausnahmsloses – Verbot durchsetzen wollen.
Für eine bessere Informationslage, wer Schwangerschaftsabbrüche durchführt, sollte die im Jahr 2018 eingeführte bundesweite Liste der Bundesärztekammer sorgen. Auf der können sich Ärzte, die Abbrüche durchführen, listen lassen – und zwar freiwillig. Für Leipzig finden sich darauf bisher insgesamt nur fünf Adressen, dabei dürfte es weit mehr Praxen und Kliniken geben. Auskunft über Adressen können die jeweiligen Beratungsstellen für Schwangere geben. Eine davon gibt an, in Leipzig mit insgesamt 11 Praxen und Kliniken in Kontakt zu stehen, die Initiative Pro Choice spricht von insgesamt 18 Anlaufstellen in Leipzig, die ihr bekannt sind.
»Das Gesetz im Nacken«Die Gynäkologin reagiert respektvoll und wertfrei auf ihre Entscheidung, wie Mara heute sagt. Sie gibt ihr zwei verschiedene Kontaktadressen und erklärt ihr das Vorgehen, um den Abbruch durchführen zu können. Als Mara erfährt, dass sie schwanger ist, ist gerade Donnerstag vor einem Feiertag. Bis sie einen Termin für die verpflichtende Schwangerschaftskonfliktberatung bekommen kann, muss sie auf den nächsten Werktag warten – also drei Tage später. Mara bekommt schließlich einen Beratungstermin bei Pro Familia Leipzig, einer von insgesamt sieben offiziellen Beratungsstellen in der Stadt Leipzig. »Ich war mir ziemlich sicher, dass ich das machen will und hatte auch keine großen Fragen. Deswegen war der Beratungstermin irgendwie ein bisschen lästig«, sagt Mara.
»Natürlich haben die zu Beratenden das Gesetz im Nacken, denn es besteht eine Verpflichtung zu einer Beratung. Die Frauen kommen also insofern nicht ganz freiwillig zu uns«, erklärt Romy Nitzsche vom Deutschen Roten Kreuz in Leipzig. Gemeinsam mit vier weiteren Beratenden ist sie Ansprechpartnerin für die Schwangerenberatung. »Es ist wichtig zu sagen, dass ganz viele Frauen vor dem Beratungstermin auch schon entschieden sind«, sagt sie. In einem solchen Fall gehe es oft darum, Informationen zu den durchführenden Ärzten, Methoden und der Kostenübernahme eines Abbruchs zu geben, meint Nitzsche. Sind Personen noch unentschlossen, ob sie die Schwangerschaft fortführen möchten, unterstütze sie diese im Prozess der Entscheidungsfindung. Die Beratenden nehmen dabei eine »absolut neutrale und wertfreie Haltung« gegenüber der schwangeren Person ein, versichert Nitzsche. Die Beratung sei zwar verpflichtend, die Entscheidung der Ratsuchenden liege allerdings voll und ganz bei der zu beratenden Person.
Für die Einrichtung von Beratungsstellen hat Mara zwar Verständnis: »Ich glaube, es ist gut, dass es das gibt. Sie wollen vor allem auf Menschen abzielen, die das Kind nicht bekommen wollen, weil sie glauben, sie könnten das nicht finanzieren und bieten in dem Fall eben Hilfestellung an.« Dass es allerdings eine Pflicht zur Beratung gibt, hält Mara für eine Bevormundung. Denn erst nachdem sie beraten wurde, erhält sie einen sogenannten Beratungsschein, der den jeweiligen Ärzten erlaubt, einen Eingriff bei ihr durchzuführen. Außerdem muss sie nun drei Tage warten, bis sie einen Termin zum Abbruch wahrnehmen darf. In dieser Zeit soll Mara die Möglichkeit haben, ihre Entscheidung zu überdenken.
Die Initiative Pro Choice Leipzig steht diesen Regelungen kritisch gegenüber: Sie findet, dass die Entscheidung für einen solchen Eingriff Teil des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung sein sollte. Deshalb fordert sie eine völlige Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, also eine Abschaffung der Pflicht zur Beratung und der Zwölf-Wochen-Frist für die straffreie Durchführung eines Abbruchs. Beratungen sollten zwar weiter angeboten werden, aber eben auf freiwilliger Basis. Sollen schwangere Personen also zu jedem beliebigen Zeitpunkt abbrechen dürfen? Mary und Lara von Pro Choice Leipzig finden ja. Sie geben aber auch zu bedenken: »Wenn man sich entschieden hat, dass man die Schwangerschaft nicht weiterführen will, will man ja in der Regel nicht bis zum achten Monat schwanger bleiben. Die meisten Menschen versuchen den Eingriff nach Bekanntwerden so schnell wie möglich durchführen zu lassen.«
Unter medizinischer AufsichtMara ist mittlerweile in der elften Schwangerschaftswoche. Nach einer ersten Untersuchung bei der durchführenden Ärztin wird klar, sie kann immer noch den medikamentösen Weg des Abbruchs wählen. Sie erhält ein erstes Medikament und kann zunächst nach Hause gehen. »Das war ein bisschen so, als würde man eine Droge nehmen. Ich habe mich total gut gefühlt«, beschreibt Mara ihr Gefühl nach der Einnahme. Zwei Tage später muss sie erneut zur Ärztin: Dort bekommt sie wieder ein Medikament, dieses Mal, um die befruchtete Eizelle abzuführen.
Die Durchführung des Eingriffs findet bei Mara in einer gewöhnlichen gynäkologischen Praxis in Leipzig statt: Anmeldung, Wartezimmer, Behandlungszimmer und eine Toilette. Nur hier, unter medizinischer Aufsicht, darf sie den Abbruch durchführen. Nachdem sie das abführende Medikament genommen hat, muss sie eine halbe Stunde in der Praxis warten. Mit ihr warten etliche andere für eine Routineuntersuchung oder ihr Abbruchmedikament. Was man ihr sagt: Sie solle sich ein bisschen bewegen. Was man ihr nicht sagt: Wie plötzlich und heftig die abführenden Blutungen einsetzen. »Das macht mich im Nachhinein richtig sauer, dass es keinen Raum gibt, wo man für sich ist oder wenigstens eine weitere Toilette«, sagt Mara. Heute würde sie jeder Person in ihrer Situation raten, vorher bei der behandelnden Ärztin nachzufragen, wie ein Abbruch dort gehandhabt wird.
Im April letzten Jahres hatte die taz über eingeschränkte Möglichkeiten berichtet, während der Corona-Krise Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Bundesweit seien elektive Eingriffe, wozu auch Abbrüche gehören, verschoben oder abgesagt worden, wie das Klinikum Saalekreis in Merseburg mitteilte. Das Universitätsklinikum in Leipzig teilte erst vor einigen Monaten mit, dass verschiebbare Behandlungen aufgrund der COVID-Versorgung reduziert würden. »Schwangerschaftsabbrüche«, heißt es vom Klinikum, »gehören nicht zu den aufschiebbaren OPs. Sie werden in den frühen Wochen durch das MDZ (Medizinische Versorgungszentrum, Anm. d. Red.) versorgt und in den späten Wochen hier am Uniklinikum.« Auch Beraterin Nitzsche versichert, dass die Schwangerenberatung beim Deutschen Roten Kreuz während der Pandemie wie gewohnt stattfindet – unter Einhaltung der Hygieneregeln.
Maras Eingriff ist mittlerweile mehr als drei Jahre her. Vier Wochen nachdem die Schwangerschaft festgestellt wurde, hat Mara ihren letzten Arzttermin zur Kontrolle. »Danach ging es mir lange nicht gut, sowohl körperlich als auch psychisch«, sagt Mara heute. Eine psychische Nachsorge findet nicht statt. Auf eigene Faust sucht sie nach Selbsthilfegruppen und muss feststellen: »Es gibt in Leipzig zu fast allen Themen eine Selbsthilfegruppe, aber nicht dazu. Ich wusste auch nicht, an wen ich mich wenden kann, außer an private Kontakte.«
*Name von der Redaktion geändert